Adis grosse Reise: Ein Märchen

Bilder, Geschichten und Märchen von unseren Eltern erzählt. Es gibt fast keine schöneren Erinnerungen an die Kindheit. In unserem Alter liest man diese aber leider kaum einmal – bis wir eigene Kinder haben. Ich wollte genau so etwas kreieren. Deshalb habe ich in diesem Beitrag einen Text von mir in ein Märchen verwandelt.

Papa Frank erzählt dem kleinen Franz die Geschichte seines Urgrossonkels Adi.

Vor langer, langer Zeit lebte dein Urgrossonkel Adi. Er musste den lieben langen Tag arbeiten und kam nie vom Fleck. Der böse Drache bewachte ihn und sorgte dafür, dass Adi sich an die Regeln hielt.

Eines Tages hatte Adi aber genug: Als der Drache schlief, kaufte er sich ein magisches Streitross und flog weg, um die Welt zu erkunden.

Adi war sein ganzes Leben unterwegs. Er besuchte alle Kontinente und sogar den Mond. Nach 75 Jahren vermisste er aber seine Heimat und stellte sich dem bösen Drachen.

Das erbitterte Gefecht währte Stunden und endete in einem Unentschieden. Aber schliesslich schlossen Adi und der Drache Frieden. Adi beschloss, noch einmal auf sein treues Pferd zu steigen und verliess diese Welt.

Das Märchen ist eine freie Interpretation des folgenden Textes:

Das letzte Bier

Der dicke Schaum hat sich herabgesetzt, vereinzelte Bläschen durchwandern die gelbe Flüssigkeit. Ein grauhaariger Mann, Mitte 60, Hermann Fassbinder, greift sich das durch Kondensation feuchte, aber noch immer kühle Glas. Es ist ein heisser Sommertag. Er trinkt einen kräftigen Schluck Bier. «Aaah das tut wohl», sagt er zu einem jungen Studenten, seinem Sohn. Dieser sieht ihn an und fragt: «Weisst du, für die Schule soll ich eine Novelle schreiben, hast du eine Idee für eine spannende Geschichte?» «Hast du eigentlich schon mal von meinem Grossonkel Adolf F. gehört?», erwidert Hermann. Als der Sohn den Kopf schüttelt, beginnt er zu erzählen:

Adolf F. wächst mit zwei Brüdern und einer Schwester auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf in der Schweiz auf. Als zweiter Sohn erbt er den Hof nicht. Adolf F. wird Schreiner. Schon bald hat er ein eigenes Geschäft. Frau und zwei Kinder folgen. Alles scheint auf ein normales, erfolgreiches Schweizer Geschäfts-, Familien- und Politleben hinauszulaufen. Doch die Rechnung geht nicht auf; Adolf F. genügt dieses Leben nicht, er will Freiheit. Deshalb kauft er sich einen Wohnwagen, lässt Frau, Kinder und Geschäft allein und reist durch die Welt.

Mit 75 Jahren ist er zurück. Er lädt all seine Freunde, Bekannte und sogar seine Familie (mich eingeschlossen) ins Restaurant Schlachthaus zu einem grossen Festmahl ein. Beim Dessert ergreift Adolf F. das Wort: «Liebe Freunde, ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid. Wir sind uns hier im Schlachthaus oft begegnet. Heute wird unsere allerletzte Begegnung sein. Ich habe mein Leben selbst bestimmt, danke, dass ihr das alle akzeptiert habt. Ich werde auch mit 75 Jahren noch selbst entscheiden, was mit mir geschieht und nicht warten, bis andere über mich verfügen.» Das versetzt die Gesellschaft in Aufruhr. Laut wird getuschelt und spekuliert. Was zum Teufel hat Adolf die ganzen Jahre getrieben? Nach dem Dessert setze ich mich zu Adolf an den Tisch. Wir stossen an: «auf unsere Freiheit und Selbstbestimmung!»

Adolf ist neugierig: «Bist du Hermann, der Sohn von Markus? Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, warst du noch so klein», er zeigt die Höhe mit der Hand und fragt, ohne meine Antwort abzuwarten: «Wie geht es dir?» Ich antworte, es sei halt so wie es sei, den ganzen lieben langen Tag arbeiten und dann nach Hause, schlafen und am nächsten Tag dasselbe. Adolf nickt und verharrt eine Weile stumm. Er überlegt. «Weisst du Hermann, mein Junge. An der Stelle war ich auch, vor rund 50 Jahren, schon fast ein halbes Jahrhundert ist das!» Er nimmt einen Schluck Bier. Dann deutet er auf die Flasche. «Weisst du wofür diese Flasche steht? Sie steht für die Entscheidungen, die wir treffen. Ich könnte auch auf Alkohol und Tabak verzichten, schliesslich sagt mein Arzt, es sei schlecht für mich. Aber warum sollte ich? Wir alle verabschieden uns früher oder später von dieser Welt. Ich möchte meine Zeit so nutzen wie es mir gefällt. Wir leben tagein tagaus in dieser festgefahrenen Schiene von Schule, Arbeit, Familie und das, so sagt man, sei die Vollendung, das Glück des guten Schweizer Bürgers. Selten wird das hinterfragt. So, basierend auf Tradition, funktioniert unsere Welt, unsere Gesellschaft. Darüber wird gar nicht weiter nachgedacht. Und warum auch? So drehen sich die Räder der Menschheit weiter. Ist ein Mensch glücklich, ist das auch gut so, wunderbar. Ich habe auch nicht darüber sinniert. Mit meiner Familie war ich zufrieden, glücklich sogar. Meine Schreinerei florierte, nach der Meisterprüfung stellte ich fünf Gesellen an und einen Lehrling. Ich dachte, ich mache genau, was ich wollte. Eines Tages kam ich von der Arbeit nach Hause und meine Frau sagt mir, mein kleiner Bruder Franz sei tot, er sei plötzlich krank geworden. Das Herz soll es gewesen sein.» Adolf verstummt.

«Und deshalb bist du weggefahren?», fragte ich. «Nein, zunächst verarbeitete ich die Neuigkeit gar nicht», erzählte Adolf weiter, «erst Tage danach kam es mir wieder in den Sinn. Ich fuhr mit dem Auto, dazumal das einzige im Quartier, zu einem Kunden. Plötzlich rannte mir ein Reh vor den Wagen. Ich wich aus und konnte gerade noch rechtzeitig neben der Strasse anhalten. Mir ist nichts geschehen. Mein Herz raste aber wild. Ich war in Schock. Ich weiss nicht mehr, wie lange ich im Wagen sass. Nach einiger Zeit dachte ich mir, was wenn es das gewesen wäre? Ich dachte nicht an meine Frau, Kinder oder die Arbeit. Mein Bruder Fritz. Was der noch alles hätte machen können. Er war erst 17 und hat noch nichts von der Welt gesehen. All die Möglichkeiten. Was ist denn aber mit mir? Ich war einmal in den Ferien im Tessin, das war alles. Ich überlegte weiter; Eigentlich möchte ich mal in den Osten reisen, andere Kulturen erleben, ja vielleicht Chinesisch essen.» Hermann: «So was ähnliches habe ich mir auch schon überlegt, aber wie konntest du deine Familie, alle deine Beziehungen zurücklassen?»

«Nach diesem Erlebnis, eigentlich eine Offenbarung, war das gar nicht so schwierig. Meine Kinder gingen schon in die Berufslehre und redeten nicht mit mir. Meine Frau hat mich nie richtig verstanden, sie hat mich vermutlich nur geheiratet, weil sie bei mir Sicherheit gesucht hat. Wir hatten uns schon lange nichts mehr zu sagen und per Zufall bin ich einer Frau begegnet, die mein Herz höher schlagen liess und bald meine Freundin wurde. Erspartes hatte ich, genug für die Kinder. Ich konnte auch jederzeit zurückkommen. Nach kurzer Suche fand ich einen Käufer, der meinen Betrieb übernehmen wollte. Das liess mir genug Geld für meine Reise. Ich kaufte mir einen Wohnwagen und fuhr ohne Plan Richtung Ostblock.»

Das Glas Bier ist mittlerweile leer, ein paar letzte Reste Schaum kleben am Glasrand. «Ich wollte schon lange über das Leben von Adolf F. schreiben», erzählt Hermann seinem Sohn. «Die Geschichte kann ich kaum fassen Hermann. Ich denke ich werde sie aufschreiben. Du hast das nicht alles frei erfunden, oder?», fragte der Student. «Nun, den Grossonkel gab es wirklich und auch das Fest», antwortet Herman. Sein Sohn ist mit der Aussage nicht befriedigt und hakt nach: «Und was geschah denn nun eigentlich mit ihm nach dem Fest?» Hermann antwortet nüchtern: «Nach dem Festmahl sah ich Adolf F. nie wieder. Er ging nach Hause und erschoss sich mit seinem Revolver. Das war seine letzte Entscheidung.»

(fms)

Kritik
von Daniel Flückiger

Mit diesem Projekt habe ich mir mehr vorgenommen, als ich ursprünglich erwartete. Der Aufwand war deutlich grösser als geplant. Für mich war dies das erste mal, das ich in diesem Umfang Zeichnungen digital erstelle, was man klar an der Qualität der Ilustrationen sehen kann. Es gab zahlreiche Skizzen und Versuche, die ich verwerfen musste und dann wieder neu anfangen konnte. Schlussendlich verging die Zeit aber sehr schnell und ich hatte viel Spass am Projekt.

Vorgehen

Als erstes (nach schreiben von "das letzte Bier") habe ich mir überlegt wie ich das Märchen aufbauen will und was ich konkret zeichnen möchte. Dazu habe ich den Text in Rahmen, Exposition, Hinführung, Höhepunkt und Ende aufgeteilt. Ich habe zwei verschiedene Storylines geschrieben, entschied mich schlussendlich für eine Mischung der Beiden und für ein kinderfreundliches Ende. (Der Protagonist von einem Märchen sollte sich eher nicht erschiessen.)

Danach fing ich an zu skizzieren. Zuerst versuchte ich ein Design für die Charakter zu finden, was recht schnell ging weil ich sie mir schon sehr genau vorgestellt habe.

Alle Zeichnungen und Skizzen entstanden auf meinem Wacom. Gearbeitet habe ich hauptsächlich mit Autodesk Sketchbook und für die Schlussarbeiten mit dem Illustrator.

Schwierigkeiten

Probleme hatte ich vor allem einen einheitlichen Stil zu finden, der mir auch gefällt. Das Coloring gestaltete sich auch deutlich schwieriger als ich dachte und es dauerte lange bis ich einen einigermassen guten Workflow entwickeln konnte.

Mit dem Endprodukt bin ich eigentlich immernoch nicht zufrieden, ich werde diese Erfahrung aber sicher in zukünftige Projekte mitnehmen und weiterentwickeln.

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