Delere - Ein Kurzfilm von Björn Buck und Gawin Steiner

Delere

Das Handy ist allgegenwärtig in unserer Gesellschaft. Aber ist das Mobiltelefon ein Fluch oder ein Segen? Und wieso boykottiert Hollywood dieses technische Wunderwerk?

«Hey sorry, ich hab’ den Zug verpasst. Komm’ ’ne halbe Stunde später!» Wer kennt das nicht? Früher konnte man sich grobe Verspätungen schlicht und einfach nicht erlauben, heute reicht ein kurzer Anruf mit dem Handy und die Welt ist schon fast wieder in Ordnung.

Doch nicht nur für Verspätungsmeldungen wird das Handy gebraucht. Überall quatschen und tratschen die Menschen über das drahtlose Gerät mit ihren Freunden und Bekannten, leisten Seelsorge oder tauschen Neuigkeiten aus. Ein Gewinn für die Gesellschaft oder ein Armutszeugnis und Verlust der zwischenmenschlichen Interaktion? Erfährt man durch blosse Worte die ganze Wahrheit? Ist der Stimmlage allein zu entnehmen, ob es jemandem wirklich gut geht? Ist das Ignorieren oder Wegdrücken eines Anrufs die Körpersprache unserer schönen neuen Welt?

Telefoniert wird oft und der Ort spielt dabei keine Rolle: An der Tramstation, beim Einkaufen, im Club und selbst abends im Bett. Im Jahr 2012 waren 95 Prozent der Schweizer Haushalte mit mindestens einem Handy ausgestattet, so sagt es das Bundesamt für Statistik. Oder in Zahlen ausgedrückt: Ende 2012 hatten die drei grössten Schweizer Mobilfunkanbieter Swisscom, Sunrise und Orange (heisst jetzt Salt)rund 10‘000‘000 Abonnenten. Vermutlich sind mindestens ebenso viele Handys in der Schweiz tatsächlich in Gebrauch. Das sind mehr, als die Schweiz Einwohner hat! Und heute dürften nochmals mehr dazugekommen sein, die kleineren Anbieter noch nicht einmal hinzugerechnet.

Mit anderen Worten: Das Mobiltelefon hat sich in unserer Gesellschaft etabliert und festgekrallt. Und es ist sicher nicht falsch, es als eines unserer wichtigsten «Instrumente» zu bezeichnen. Wie sieht es aber in der Filmindustrie aus? Wenn Filme unsere Realität widerspiegeln sollen und Geschichten von gestern, heute und morgen erzählen, sollten diese dann nicht auch am oder mit dem Handy erzählt werden? Aber ist das überhaupt möglich oder würden dabei zwangsläufig jede Menge Probleme aufkommen? Wie kann die Heldin oder der Held am Telefon die Welt retten? Würde James Bond einfach im Büro sitzen, die Bösewichte anrufen und mit ihnen diskutieren? Was würde Bond machen, wenn sie einfach auflegen?

Denn das ist die Realität. Am Telefon kann man einfach auflegen. Das ist viel einfacher, als jemandem den Rücken zuzudrehen und wegzulaufen.

Wie mächtig ist das eigene Telefon noch, wenn sich die Person am anderen Ende weigert, mit einem zu reden? Wie gut ist die Verbindung wirklich, wenn man von seiner eigenen Tochter am Telefon nicht mehr wiedererkennt wird und sie nicht so reagiert, wie man es sich gewohnt ist? Dann nützt einem der günstigste Flatrate-Vertrag nichts mehr:

Eigentlich sollte unser Film nur ein Versuch sein, eine Geschichte ausschliesslich per Handy zu erzählen. Er zeigt aber auch die Probleme, die entstehen, wenn man sich nur noch am Telefon begegnet: Wie soll man am Telefon erkennen, wie es dem Gesprächspartner wirklich geht? Katharina, im Film die Schwester von Emily, merkt nicht einmal, dass ihre Schwester zum Zeitpunkt ihrer Anrufe unter der seltenen psychischen Störung «Dissoziative Fugue» leidet. Durch die Störung verlässt Emily ihre vertraute Umgebung und nimmt vorübergehend eine neue Identität an. Ihren Vater, ihre Mutter, die Schwester und ihren Freund erkennt sie nicht wieder. Und auf einmal ist das Mobiltelefon kein mächtiges Werkzeug mehr.

Kritik
von Gawin Steiner und Björn Buck

Planung

Wir wollten unseren Film genau so durchplanen, wie es die ganzen Empfehlungen verlangen, von der Idee zum Exposée über das Drehbuch, Storyboard, Equipmentliste bis hin zum Dreh. Mit dem Schreiben des Drehbuchs haben wir persönliches Neuland betreten. Wie sieht ein Musterdrehbuch aus? Welches Layout verwendet man, sodass eine A4-Seite ziemlich genau einer Minute im Film entspricht? Viel, wenn auch interessante, Recherche und Lektüre war dafür nötig, aber schliesslich kamen wir dann zu einem guten Endprodukt – vermeintlich. Beim Dreh und bei den Nachvertonungen haben wir dann gemerkt, dass ein Teil der Sätze, die in geschriebener Form bestens funktionieren, beim Sprechen nicht gehen. Entweder haben uns die betroffenen Sprecher darauf aufmerksam gemacht oder wir haben selbst gemerkt, dass da was nicht rund klingt.

Dreh

Aber zum eigentlichen Dreh: Die ersten Takes sind leider im virtuellen Mistkübel gelandet. Zwar haben wir uns wiederum viel überlegt:

  1. Die Protagonistin muss vorwärts fahren, weil sie ja ihre alte Umgebung verlässt und somit ins Neue, also nach vorn, fährt.
  2. Wir wählten einen Zug, der uns erstens von der Optik gefallen hat (einen ICE) und zweitens wollten wir möglichst wenige ungebetene Statisten dabei haben. Entschieden haben wir uns also für den letzten ICE, der unter der Woche von Bern nach Basel fährt (und bis auf zwei schlafende Passagiere war wirklich niemand in unserem Wagon).
  3. Die Tunnels haben wir uns auf einer Karte eingezeichnet, damit die Handyverbindung nicht unterbricht – ja, eigentlich wollten wir das zuerst «live» machen – und trotz der Vorbereitungen brach die Verbindung immer wieder ab, was uns am Ende einen massiven Zeitengpass bescherte.

Aber wegen Unterbesetzung beim Dreh (Björn kämpfte in einem anderen Wagon mit dem Handynetz und Gawin übernahm Ton und die (fixen) Kameras), fiel uns nicht auf, dass sich der Fokus bei der einen Kamera beim wackligen Herausfahren aus dem Bahnhof verstellte. Somit hatten wir eine leicht unscharfe Aufnahme und eine, die grundsätzlich funktioniert hätte. Doch mit der ganzen Hektik wegen der streikenden Handyverbindung waren auch einige Szenen sonst nicht in der von uns gewünschten Qualität (abgesehen von der leichten Unschärfe).

Wir haben das Rohmaterial vor der Vernichtung aber noch in einen Rohschnitt verwandelt und gemerkt, dass wir noch zusätzliche Kameraeinstellungen brauchen, um mehr Dynamik und Vielfalt in den Film zu bringen, etwas, das man auf den unbeweglichen Storyboard-Bildern nicht erkennt.

Obwohl wir für den zweiten Take eine andere Schauspielerin engagieren mussten (die ursprüngliche war mittlerweile wieder nach Deutschland zurückgekehrt), lief dann alles super. Anstatt des «Live»-Telefonierens, gaben wir mit Handzeichen das ungefähre Sprechtempo an und hatten somit vier Augen und vier Ohren für Ton, Text und Video. Das lief dann auch so rund, dass wir in der vorgegebenen Zeit alle vier geplanten Kamerawinkel aufnehmen konnten.

Nachvertonung

Auch die Nachvertonung war für uns Neuland. Wir hatten ursprünglich mit der deutschen Schauspielerin geplant. Da uns Technik und Unachtsamkeit aber einen Streich spielten, fragten wir eine Schweizerin, deren Hochdeutsch eigentlich ziemlich gut klingt. Beim Dreh und in der Postproduktion haben wir dann aber dennoch gemerkt, dass das auch deutsche Digezz-Publikum den Akzent in Windeseile raushören würde. Also mussten wir einerseits die Stimmen über’s Telefon nachvertonen und zusätzlich unsere Schauspielerin mit einer neuen Stimme versehen, was, da wir sie und ihre Stimme kennen, nebst der Schwierigkeit der tatsächlichen Ton-Bildübereinstimmung, auch sehr ungewohnt war. Die Stimmen über’s Telefon aufzunehmen, war, trotz kleiner sprechtempobedingten Kürzungen und Verlängerungen, einfacher zu handhaben.

Postproduktion

Dieses Filmprojekt war auch in Bezug auf die Postproduktion Neuland für uns. Zum ersten Mal mussten wir jeglichen Inhalt separat «generieren»: Wir hatten das Bild, die Sprachaufnahmen, die Tonaufnahmen und verschiedene aufgenommene Effekte und jede Menge Aufnahmen der Lichter (mit diesen wollten wir unbedingt arbeiten), die nun zu einem Arrangement zusammengefügt werden mussten.

Neu war auch die Tatsache, dass wir exakt nach dem Drehbuch arbeiteten - und nur das Videomaterial von einer Person in der gleichen Position und im selben Zug hatten. Wir hatten zwar vier verschiedene Perspektiven, doch schlussendlich blieb es der gleiche Sitzplatz im Zug. Wie sollten wir also Dynamik, Spannung und Abwechslung in den Schnitt bringen? Am Ende hat uns dabei geholfen, dass wir Beispiel-Bilder der verschiedenen Kameras und Szenen ausgedruckt haben und diese nach «alter Schule» auf dem Tisch so angeordnet haben, bis wir einen Ablauf der jeweiligen Szene hatten. Dieses haben wir dann entsprechend im Schnittprogramm umgesetzt.

Learnings

  1. Drehbuch schreiben (nach Regeln)
  2. Nachvertonung und Synchronisation
  3. Umgang mit unkalkulierbaren Umständen (was, wenn sich jemand auf den Platz hinter «Emily» gesetzt hätte?)
  4. Komplexität von Lichtern in der Unschärfe entdeckt (sie haben in der Bewegung eine Eigendynamik, die man in der Postproduktion kaum nachbasteln kann).
  5. Bekanntschaft mit diversen Funktionen in Adobe Premiere, Adobe AfterEffects und Adobe Audition

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