«Digital Natives» auf Kriegsfuss mit analoger Fotografie

Lorenas Eltern stehen kurz vor dem Umzug. Beim Ausmisten des alten Dachbodens kommen zwei analoge Kameras zum Vorschein. Eine älter, als die andere. Als «Digital Native» und Multimedia-Production-Studentin ist sofort klar: Unbedingt ausprobieren!

Schon am nächsten Tag überzeugt Lorena ihre Freundin Laura im nu. Was und wie genau fotografiert werden soll, ist nun die Frage. Sie entscheiden sich, neben den analogen auch eine Systemkamera mitzunehmen. Konnten sie mit den alten Kästen wirklich Ähnliches erreichen, was eine neue Kamera kann?

Einige Wochen sind vergangen, das Shooting steht vor der Tür, aber die beiden haben bis jetzt nur die Outfits organisiert. Das Thema ist nach Gutdünken der Initiantinnen gewählt: Die goldenen Zwanziger. Gott sei Dank sind Lauras Eltern Kostümparty-Fans und haben passende Kleider dieser Epoche im Schrank hängen.
Haben sie wirklich an alles gedacht? Kleider, Location, analoge Kameras, Stativ, Licht, Systemkamera – die Filmrollen! Fast hätten sie diese vergessen. Ein wenig verloren stehen die zwei im Fotogeschäft. Dass man noch Filme für Fotokameras kaufen kann, grenzt für sie an ein kleines Wunder. Aber welche Filme sie dann für ihre fast 50 und 70 Jahre alten Kameras (Cosina Hi-Light ca. 1958 // Agfa Solette II ca. 1945) brauchen würden, bzw. ob es die Entsprechenden überhaupt noch gibt – steht für beide in den Sternen. So verstaubt wie das Geschäft ist, kommt auch die Verkäuferin daher. In ihrem mausgrauen Polo, den beigen dreiviertel Hosen und ihrer Pieps-Stimme passt sie wunderbar in den Laden. Fachmännische Auskunft gibt sie dann doch und verkauft den zwei Unwissenden die richtigen Filme.

kameras

v.l.n.r. Sony Alpha 6000, Cosina Hi-Lite, Agfa Isolette II

Der Shooting Tag startet mit ersten Schwierigkeiten: Wie legt man eigentlich so einen Film in diese Kamera ein? Wo wird was eingespannt? Sie dachten, sie beherrschten das Fotografieren – und scheiterten bereits beim Einlegen des Films. YouTube sei Dank! Durch die Videoplattform haben sie es dann doch noch geschafft. (Hättet ihr das gekonnt?!)

Die Kameras bringen weitere Tücken mit sich: Die eine lässt sich nicht scharf stellen, da der Fokus klemmt. Somit muss konsequent zweieinhalb Meter Abstand gehalten werden. Währenddessen man bei der anderen auch nie so genau weiss, ob mit den entsprechenden Rädchen die gewünschten Einstellungen getroffen wird. Das Shooting nahm trotzdem seinen Lauf, und wären die Filme nicht nach 36-mal knipsen voll gewesen, hätte das Ganze nie ein Ende genommen.

Am nächsten Tag bringen Laura und Lorena die Kameras ins erwähnte Fotogeschäft. Mit der Absicht, dass Frau Graue-Maus die Filme aus den Kameras nimmt, legen sie sie auf den Tisch. Da die alten Kästen ein wenig schwer zu öffnen sind, will Lorena helfen. Leider mit etwas zu viel Effort. SCHOCK Nr. 1: Die Filmklappe der 50 Jahre alten Kamera springt auf, und der Film ist futsch. Überbelichtung par excellence. Zum Glück nimmt Laura es locker, und lacht über das Missgeschick von Lorena. Nun gilt es, auf die Bilder der anderen Kamera zu hoffen.

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Unterdessen erfreuen sich die beiden Freundinnen an den Resultaten der Systemkamera. Kurzerhand lernen sie, GIFs zu erstellen: Stägeli uf, Stägeli ab.

Der Tag war gekommen, die entwickelten Bilder waren da. SCHOCK Nr. 2: Anstelle von klaren, analogen Fotos haben Lorena und Laura doppelt und dreifach belichtete Bilder vor sich. Unabsichtlich ist Kunst entstanden. Was alles dabei rausgekommen ist, seht ihr hier:

Fotoaufnahmen mit der Agfa Isolette II

Fotoaufnahmen mit der Sony Alpha 6000

Die goldenen 20er Jahre

Stell dir vor, du sitzt in einem dunklen Lokal. Der Raum ist erfüllt mit starken Parfümen von all den edlen Damen rundherum, die an ihren Champagner-Flöten schlürfen. Dein Tischchen ist ein wenig erhöht, vor dir breitet sich das Tanzparkett aus. Auf der Tanzfläche bewegen sich fünf Frauen zum live-gespielten Charleston. Bei jeder Drehung schwingen die Fransen nach aussen, die Perlenketten prassen aneinander, die Federn, ihre Hüte verbiegen sich leicht. Fühlst du es? Die goldigen Zwanziger sind im vollen Gange.

Um diese goldenen Jahren wieder hervorzurufen, haben wir uns entschieden, diese mit einem Fotoshooting wieder präsent werden zu lassen. Dafür sind Kleidung sowie Umgebung besonders wichtig.

Stil der 20er Jahre

Die Mode der 20er Jahren spiegelt die gesellschaftliche Revolution der Menschen wider. Die Frauen verabschiedeten sich von engen Korsetts und zogen locker geschnittene Kleider an. Arbeiten und Sport treiben war keine fremde Tätigkeit mehr. Die Damen rauchten mit einer Zigarettenspitze in der Öffentlichkeit und gingen in Diskotheken, um zu tanzen. Ihre Haare wurden zu eleganten Wasserwellenfrisuren frisiert, oder sie schnitten sich die Haare zu einem «Bubikopf». Unterdrückung oder sich verstecken zu müssen, wollten die Frauen nicht mehr. Sie zeigten sich stark, und präsentierten sich in ihren tollen Kleidern der Menge.

Fotografie der 20er Jahre

Neben der wirtschaftlichen Entwicklung in den 20er Jahren, tat sich auch in der Fotografie etwas. Sie entwickelte sich von einer reinen Kunstform, die nur von Kunstkritikern beurteilt wurde, hin zu einer Kunst, die nicht nur nach vorgegebenen Regeln funktionierte. Die dabei entwickelte Stilrichtung wurde das «Neue Sehen» genannt. Dabei ging es darum, weg vom statischen hin zum dynamischen zu kommen. Konventionelle Normen sollten gebrochen, starre Kompositionen aus Licht und Beleuchtung aufgelockert, und Neues ausprobiert werden. In dieser Phase entstanden viele Collagen und neuartige Werke, wie sie vorher noch nicht existierten hatten.

Quellen

(mm)

Kritik
von Laura Glanzmann und Lorena Pati

Idee
Die Idee startete mit dem Erhalt zweier alten, analogen Kameras. Wir waren fasziniert, wir wussten dass wir damit etwas anfangen mussten: Sofort musste ein Digezz Projekt her.

Wir bewegen uns Tag ein, Tag aus in der digitalen Welt und obwohl wir die analoge Zeit noch angeschnitten haben, ist sie uns teilweise trotzdem fremd. Die Kameras boten die perfekte Möglichkeit das Analoge und Digitale miteinander zu verbinden und zu vergleichen. Um dem Projekt eine Grundlage zu geben, haben wir uns für Bildmotive im Stil der 20er Jahre entschieden. Outifits aus dem goldenen Zeitalter und ein ca. 100 Jahre altes Gebäude empfanden wir als den perfekten Rahmen.

Umsetzung
Bei Beginn war unser Fokus die analogen mit den digitalen Aufnahmen zu vergleichen. Um unser 20er Jahre Motto umzusetzen, haben wir zwei Models für ein Shooting engagiert. Zudem mussten noch die passenden Kostüme her, damit die Bilder authentisch wirkten. Die Kleidung haben wir bei einem Zürcher Kostümverleih ausgesucht, insgesamt für CHF 350.-. Die Location sollte nun im selben Stil daher kommen. Eines unserer Models empfahl das Bally-Haus, welches aus unserer Sicht auch sehr passend erschien, da dieses in den 20er Jahren eröffnet wurde. Die analogen Kameras mussten mit neuen Batterien und Filmen ausgestattet werden. Wir waren uns nicht sicher, ob wir für die ältere Kamera überhaupt einen Film finden würden. Geschweige denn, ob die Kameras an sich noch in Takt waren.

Als nächsten Schritt haben wir ein Produktions-Datum festgelegt und uns um die nötige Ausrüstung gekümmert. Während des Shootings haben wir mit drei verschiedenen Kameras fotografiert. Ziel war es, jede Pose möglichst exakt mit allen drei Kameratypen aufzunehmen. Zu diesem Zweck mussten unsere Models jeweils einige Zeit ausharren. Um die Kameraposition beizubehalten arbeiteten wir erst mit einem Stativ. Relativ schnell wurde uns klar, dass die Kameras zu verschieden waren, um ähnliche Resultate mit den gleichen Einstellungen zu erreichen. Wir haben uns dementsprechend angepasst.

Beim zurückbringen der Filme kam es zu einem Missgeschick. Durch frühzeitiges Öffnen des Kameradeckels wurde ein Film überbelichtet und wurde somit unbrauchbar. Nach dem Entwickeln des anderen kam es zu einer weiteren Überraschung. Mehrere Fotos waren übereinander belichtet worden. Es hat sich herausgestellt, dass wir bei der ca. 70 Jahre alten Kamera den Film jeweils zu wenig auf die andere Rolle gedreht haben. Das hat zur Überlappung der einzelnen Bilder geführt. Obwohl somit das Projekt von seiner ursprünglichen Idee abkam, sahen wir darin keinen Grund, es als gescheitert zu bezeichnen. Anstelle des reinen Vergleiches entstand eine Geschichte, in der wir unsere etwas unbeholfene Handhabung mit analogen Kameras mehr oder weniger wahrheitsgetreu beschreiben und die entstandenen Ergebnisse präsentieren. Erst in der Nachbearbeitung der digitalen Bildern, haben wir uns zusätzlich zur reinen Bildbearbeitung mit der Erstellung von GIFs auseinandergesetzt. Um den Lesern mehr Hintergrundinformationen zu unserer Produktion und unserem Motto zu geben, haben wir einen kleinen Informationsteil im Beitrag erstellt. In diesem beschäftigen wir uns mit der Mode und der Fotografie der goldenen 20er.

Herausforderungen
Wie im Artikel ersichtlich gab es so einige Hürden bei unserem Projekt zu bewältigen.

Vor und während dem Fotoshooting:

  • Unsicherheit, ob die Kameras überhaupt funktionieren
  • Passende Filmrollen und Batterien finden
  • Wir waren ahnungslos, wie man eine Filmrolle einlegt
  • Ob nach dem Drücken des Auslösers ein Foto generiert wurde, lag in den Sternen
  • Fokus von der Agfa Isolette II konnte nicht verändert werden

Nach dem Shooting:

  • Ein Film war unbrauchbar
  • Beim anderen Film waren 2-3 Bilder übereinander belichtet
  • Unser Konzept musste angepasst werden

Material

  • Agfa Isolette II
  • Cosina Hi-Lite
  • Sony Alpha 6000
  • Fotostativ
  • Reflektor
  • Kostüme
  • Batterien
  • Filmrollen

Fazit
Bei einem nächsten Projekt mit analoger Fotografie müsste eine bessere Vorbereitung gemacht werden. Man sollte nicht am Produktionsort ein Youtube-Film anschauen, damit man weiss, wie die Filmrolle eingelegt werden muss. Es war trotzdem ein lustiges Projekt mit ungeplanten Ereignissen. Trotz den vielen Missgeschicken und Herausforderungen kann sich das Ergebnis doch noch sehen lassen. Wir haben unser Projekt nicht nach unseren Vorstellungen durchführen können. Die unerwarteten Bilder zwangen uns, unser Konzept ganz neu zu gestalten. Das führte dazu, dass wir unser Resultat nicht wie geplant als direkten Vergleich sondern in Form von einer Geschichte publizieren.

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