Eine vom Chreisel

Im Zusammenhang mit Geflüchteten werden vielfach Begriffe verwendet, die eine anonyme, homogene Masse von Menschen beschreiben. Die weltweit 65,6 Millionen Menschen, die dahinterstecken, deren individuellen Geschichten, Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen bleiben verborgen. Wir möchten dir einen dieser Menschen vorstellen.

Anas ist neunzehn Jahre alt. Heute lebt er bei uns in der Schweiz. Es ist bald drei Jahre her, als er mit seinem Bruder und seiner Schwägerin seine Heimat Syrien verlassen musste. In der Hoffnung auf Sicherheit und ein besseres Leben haben sie sich auf den risikoreichen Weg nach Europa gemacht. Sie konnten nur das Nötigste mit sich nehmen und mussten alles, was ihnen lieb ist, hinter sich lassen.

Was ist genau der Konflikt in Syrien? Wie ist Anas in die Schweiz gekommen? Was hat ihn bei uns erwartet? Anas erhoffte sich in der Schweiz einen Neuanfang. Gibt es für ihn bei uns eine Zukunft?

Er und die anderen Asylsuchenden sind als «Die vom Chreisel» bekannt, denn das Asylzentrum, in dem sie Unterschlupf gefunden haben, liegt direkt neben einem Kreisverkehr. Wenige nahmen sich die Zeit, sie kennenzulernen – so sind und bleiben sie unbekannte Nachbarn.

Nimm du dir die Zeit und höre zu.

(lhu)

Kritik
von Simone Steiner und Giada Zacheo

Etwas bewirken

Die Welt ist ungerecht. Während wir ein unbeschwertes Leben, gestört von Scheinproblemchen führen, sind weltweit 65,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Für uns war von Anfang an klar, dass wir mit unserem Projekt etwas dagegen „bewirken“ wollten. Doch was heisst „bewirken“? In welcher Form können wir, zwei kleine, unbedeutende Studentinnen, mit einem Digezz-Projekt etwas zur Flüchtlingsthematik beitragen? Wir sammelten Ideen von selber vor Ort zu gehen und darüber zu berichten, bis zu Projekte organisieren, in denen wir aktiv helfen. Mit der Zeit kristallisierten sich zwei wichtige Schwerpunkte heraus, die unser Projekt beinhalten sollte. Es störte uns, dass Flüchtlinge als eine grosse, anonyme Masse beschrieben werden, in der individuelle Geschichten, Träume und Sorgen untergehen. Darum entschieden wir uns, etwas zu „bewirken“ indem wir die Reichweite von Digezz nutzen, um einen Beitrag zu erstellen, der dieser anonymen Masse, ein Gesicht gibt. Zum andern entschieden wir uns in der Schweiz zu bleiben, weil unser Wissen und der Bezug zur Thematik hier viel grösser ist. Daraus arbeiteten wir die genauere Idee heraus, eine Reportage über eine Person und deren Integrationsgeschichte bei uns in der Schweiz und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu starten. Das Ganze wollten wir in Form einer Multimedia-Reportage auf einer selbst programmierten Webseite erzählen.

Einarbeiten in die Thematik

Der nächste Schritt brauchte irgendwie Mut, es galt diesen Menschen zu finden. Nach verschiedenen Versuchen an unterschiedlichen Orten, stiessen wir auf Anas. Zuerst ging es darum Anas kennenzulernen, mit ihm Gespräche zu führen und herauszufinden wie das Leben für ihn in der Schweiz, ein fremdes Land für ihn, ist. Was fällt Anas leicht bezüglich der Integration in der Schweiz und wo machen sich Schwierigkeiten bemerkbar? Um Anas Leben und seine Situation besser zu verstehen, recherchierten wir viel. Um uns einen noch besseren Überblick zu verschaffen, führten wir zusätzlich Gespräche mit Anas Asylkoordinatorin, einem Sozialarbeiter der Gemeinde, der Betreuerin des Deutschkurses, welcher Anas besucht hat und einen Jurastudenten. Danach konnten wir die genauen Inhalte definieren. Damit auch unsere Leser, Hörer und Zuschauer Anas besser verstehen, beschlossen wir Informationen zu seiner Herkunft und zum Schweizerischen Asylverfahren in Form von Texten und Grafiken in unsere Reportage einzubauen.

Umsetzung

Über mehrere Tage begleiteten wir Anas beim Sport, zu Hause, im Deutschkurs, auf einem Ausflug und bei der freiwilligen Arbeit in einem Sprachkaffee und hielten alles filmisch und fotografisch fest.

Dazu verwendeten wir folgendes Material:

  • Canon EOS 5D Mark 3 Set
  • Canon XF105 Set
  • Mikrofon Rode VideoMic
  • Mikrofon Lavalier Voice Technologies T506
  • Funkset Sennheiser AVX
  • Audiorecorder Zoom H6

Danach begannen wir bereits mit dem Schneiden der Videos.

Anas Geschichte änderte sich - so auch unsere

Während unserer Arbeit mit Anas ereigneten sich wichtige Momente in seinem Leben. Dadurch realisieren wir, dass der Schwerpunkt in Anas Leben in erster Linie gar nicht auf der Integration liegt wie wir glaubten. Vielmehr ist es die Unsicherheit, ob er überhaupt hierbleiben darf sowie die endlose Zeit, die er totschlagen muss, weil er keine Arbeit findet. Wir wollten keine „schöne Geschichte“ erzählen, sondern die Realität aufzeichnen. Darum entschieden wir uns, unseren Fokus zu wechseln und dort weiter zu graben.

Da wir zu diesem Zeitpunkt dachten, dass wir nicht mehr mit Anas weiterarbeiten können, beschlossen wir einen kurzen Dokumentarfilm, mit dem bereits gesammelt Material zum neuen Schwerpunkt zu schneiden. Dazu holten wir uns Hilfe bei einem unserer Dozenten. Doch die vorhandenen Bilder passten nicht zum neuen Thema und erschienen uns zu banal, um den Inhalt, der doch so viele Tiefe hat, zu unterstreichen. Wir mussten einsehen, dass viel der bereits aufgewendeten Arbeit irgendwie nicht mehr brauchbar war und uns noch einmal neuorientieren.

Anas Geschichte hat uns emotional unglaublich berührt. Sie so weiter zu geben war eine Herausforderung.  Schlussendlich kamen wir zu unserer Grundidee, der multimedialen Geschichte, zurück. Durch die Entscheidung das Ganze multimedial zu erzählen, hatten wir die Freiheit immer das Medium zu wählen, welches die Geschichte gerade am besten auf den Punkt bringt. Was die Bilder nicht rüberbringen konnten, konnten wir mit reinem Audio, mit Texten und Grafiken ersetzen und ergänzen. Zum Schluss kam es zur Programmierung der Webseite. Immer wieder holten wir unter einander sowie auch extern hilfreiches Feedback ein.

Learnings: Menschen sind komplex – die Produktion von Filmen auch

Menschen sind komplex. Um sie richtig zu verstehen und tiefgründig und wahrheitsgetreu über sie zu berichten, braucht es viel gemeinsame Zeit. Wir konnten zwar nicht ahnen, dass die Geschichte so verlaufen würde wie sie verlief. Trotzdem werden wir das nächste Mal mehr Zeit für den Prozess des Kennenlernens und den Vertrauensaufbau investieren. In den Gesprächen mit Anas, mussten wir ihn mit persönlichen und zum Teil heiklen Fragen konfrontieren. Dadurch sind wir uns nahegekommen und Anas ist uns ans Herzen gewachsen. Es war uns wichtig Anas Geschichte objektiv zu erzählen. In Bezug auf das Projekt in der Rolle des Reporters zu bleiben und nicht in die des Freundes zu wechseln, war nicht immer einfach.

Und jetzt vom Menschen zur Kamera. Das Filmen hat uns immer wieder ein bisschen in die Bredouille gebracht. Da wir mit den Geräten noch nicht genügend vertraut waren, trafen wir falsche Entscheidungen bezüglich der Materialauswahl und brauchten lange um alles vorzubereiten. Danke Anas für deine Geduld! Bei einem nächsten Projekt werden wir uns mehr Zeit nehmen die Kamera im vornherein besser kennenzulernen. Im Bereich der Filmproduktion war unser Vorwissen allgemein eher gering. So hatten wir auch in der Postproduktion immer wieder Schwierigkeiten. In Zeiten der Verzweiflung war Google unser bester Freund.

Unsere Fehler haben uns zwar Zeit gekostet, aber auch sehr viel gelernt. So wissen wir nun beispielsweise wie man in der Postproduktion Bilder stabilisiert und das Rauschen in den Audiodateien vermindern kann. Nebst neu angeeignetem Fachwissen, sind wir auch persönlich gewachsen.

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar