Kufa

Erdbeben

Was macht eine Event-Veranstalterin, wenn sie keine Events mehr veranstalten darf? Ich habe bei der einzigen Event-Veranstalterin, die ich persönlich kenne, nachgefragt.

«Gäll, du hast jetzt frei? Ist bestimmt ganz gemütlich, so mit Lockdown und so.» Nein.

Gemütlich findet sie’s ganz und gar nicht. Daniela Eicher-Hulliger ist Geschäftsleiterin der KUFA Lyss, die Kulturfabrik, die mit ihren Konzerten, Partys, Theatervorstellungen und weiteren Events rund 45’000 Gäste pro Jahr anzieht. Der Lockdown war für sie alles andere als Ferien und Zurücklehnen.

«I mim Hirni isch nume no Ärdbebe gsi,» sagt mir Daniela am Telefon. Seit einem knappen halben Jahr arbeite ich nun in der KUFA. Als Jackenaufhängerin, Kabelträgerin oder Bandbetreuerin, was es halt eben gerade braucht. Seit kurzem sogar am Lichtpult als stolzes Mitglied eines grossen Ganzen. Das Gefühl, wenn das Licht die richtige Stimmung angibt, die Musik ertönt und schlussendlich der letzte betrunkene Partygänger sanft von der Garderobe Richtung Ausgang geschoben wird, ist unbeschreiblich. Und nun, wo das alles weg ist, fehlt es ungemein.

Doch für Daniela war nicht nur plötzlich all das weg, woran man sich im Eventbereich am Ende des Tages freuen kann, sondern es war auch auf einmal unheimlich viel Arbeit da. Und dabei war da am Anfang bloss eine WhatsApp-Gruppe.

Chaos vor dem Sturm

«I cha mi no mega guet erinnere…», fängt Daniela am Telefon an zu erzählen. Ich sitze mit meinem Handy in der Hand auf meinem Balkon und höre von nun an eine halbe Stunde lang nur noch zu.

Der Booker der Kufa habe früh einen Verdacht geäussert. Irgendein Virus, von irgendwo her. Für Daniela schien das noch nicht wirklich greifbar: «Hä? Was söu da uf üs zuecho?» Ihr ging es, wie wohl den meisten Menschen in der Schweiz. Im öffentlichen Leben hatte sich noch nichts verändert. Alles nahm seinen gewohnten Gang. Wie immer wurden KUFA-intern Partys geplant, Bands gebucht, Arbeitspläne erstellt. Ein grosser Posten Arbeit, der sich früher oder später auszahlt und ein einem gelungenen Event entlädt.

Doch dann war da auf einmal dieser Gruppenchat mit anderen Clubbetreibern von Bern, der auf Danielas Handy auftauchte. Irgendetwas mit Corona. «U när isches losgange.»

Als Daniela ihren Laptop einschaltet, trifft sie eine Flut von Nachrichten. «Es isch gsi wines Erwache.»

Der Verdacht des Bookers hat sich bestätigt. Das Virus hat Europa und – so fürchtet man – auch die Schweiz erreicht. Der Bundesrat beschliesst erste Massnahmen. Veranstaltungen mit über 1000 Personen sind verboten.

«I ha nume no id Taschte ghoue. I ha denkt: I chume gar nümm nache, was hie geit.» Daniela sitzt den ganzen Tag an ihrem Laptop. Sie versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen. Die Mitbewohnerin versorgt sie in regelmässigen Abständen mit einem Glas Wasser.

«Machen wir etwas, das wir nicht dürfen?»

Auf den ersten Blick scheint die Einschränkung vom 28.Februar kein Problem zu sein: Die KUFA fasst keine 1000 Gäste. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Denn auch für Veranstaltungen unter 1000 Personen muss eine Risikoabwägung durch die zuständigen Behörden vorgenommen werden.

Auf dem Spiel steht für die Kufa die grosse Schaltjahresparty – 29.Februar. Beide Räume der KUFA geöffnet. Erwartet werden bis zu 900 Partygäste.

Das Telefon ist nun Danielas ständiger Begleiter – doch sie hängt in der Warteschleife. Die Risikoabwägung wird per Telefon vorgenommen. Immer wieder melden sich Clubbetreiber im Chat und teilen ihre Erleichterung mit: Sie dürfen öffnen. Der Kanton hat ihnen erlaubt, die Veranstaltungen des kommenden Wochenendes durchzuführen. Während der Chat heiss läuft, hängt Daniela immer noch in der Warteschleife. Als Pausenmusik läuft Ballade pour Adeline. Dann ist Daniela doch endlich dran und muss der Frau am anderen Ende der Leitung ein paar Fragen beantworten – die Analyse. Schlussendlich bekommt sie grünes Licht: Die Kufa darf öffnen. Die Dame am Telefon gibt Daniela aber mit auf den Weg: «Ob sie nun öffnen wollen oder nicht, müssen Sie selbst entscheiden.» Die ganze Verantwortung bleibt an ihr hängen.

Ein tödliches Virus hat sich also seinen Weg in die Schweiz gebahnt. Der Bundesrat beschliesst eine Einschränkung der Grundrechte zum Schutze der Bevölkerung. Und Daniela muss entscheiden, ob sie die Tore der KUFA für die jungen, partyhungrigen Gäste öffnet, oder nicht.

«Ich dachte, der Kanton schiebts nun auf mich!», sagt sie am Telefon. Der Satz klang wie eine Frage: Warum? Warum soll ausgerechnet sie diese Entscheidung treffen? Mit dem Gefühl, eine solche Verantwortung zu tragen, kann Daniela fast nicht umgehen.

Schlussendlich entscheidet der Vorstand der Kulturfabrik gemeinsam. Nach intensiver Beratung ist klar: Die Schaltjahres-Party wird durchgeführt. Doch die vom Kanton geforderten Massnahmen fordern zusätzlichen Einsatz: Jeder Partygast wird am Eingang auf Krankheitssymptome befragt – Husten, Fieber? Die Antworten sind hoffentlich ehrlich. Wer sich krank fühlt, darf nämlich nicht rein. Ein paar Meter weiter schreibt notfallmässig aufgebotenes Personal die Personalien der Gäste auf.

Die Szenerie vor den Toren der KUFA erscheint an diesem Abend surreal, beinahe lächerlich. Doch zum Lachen ist den Verantwortlichen nicht zu mute. Einzelne Veranstalter beginnen nun, ihre Events vorsichtshalber abzusagen. Bands verschieben ihre Konzerte in den Herbst. Der Kanton Bern sieht zudem strengere Massnahmen vor als andere Kantone: Künstler aus dem Ausland dürfen in Bern nicht mehr auftreten, stattdessen verschieben sie ihre Konzerte in die Westschweiz – weitere Events fallen. Es ist der dritte März.

Licht aus.

Um sich auf weitere mögliche Einschränkungen vorzubereiten, treffen sich am 13. März rund 50 Clubbetreiber aus Bern im Dachstock der Reithalle zur Beratung. Wie weiter, wenn die Zahl der erlaubten Gäste weit unter 1000 Personen fällt? Die Sitzung geht nahtlos in ein Public Viewing über: Der Bundesrat spricht. Und was er zu sagen hat, reisst den Eventveranstaltern den Boden unter den Füssen weg: Veranstaltungen über 100 Personen werden verboten. Für Clubs und Bars liegt die Grenze sogar bei gerade mal 50 Personen. Für sämtliche grösseren Clubs faktisch ein Veranstaltungsverbot. Dauer: Voraussichtlich bis Ende April.

«Es herrschte eine schräge, unfassbare Stimmung», erinnert sich Daniela. «Wir wussten alle: Jetzt geht jeder nach Hause und sagt alles ab.»

Und das tut sie dann auch. Zusammen mit einer Kollegin aus der KUFA fährt sie zurück nach Lyss. «Wir gehen da jetzt zusammen durch», hatte diese ihr beim Verlassen des Dachstocks gesagt. Und diese Haltung, scheint das KUFA -Team zu teilen: «Das ganze Leitungsteam war auf Platz», sagt Daniela. In dieser ganzen Misere sei das doch etwas sehr Schönes gewesen.

Um 18 Uhr kommt die Nachricht dann auch in der Aussenwelt an. «Wir schliessen bis Ende April», steht in der KUFA-Mail, die völlig unerwartet in meine heile Welt hineinschneit. Ich stehe an der Ampel vor den Türen meiner Migros und heule. Licht aus.

Zu Hause bleiben. Warten.

Die Zeit seit dem 28. Februar beschreibt Daniela wie einen «wachen Traumzustand». In der Zwischenzeit, bevor Mitte März der Lockdown amtlich beschlossen wurde, führte die KUFA den Betrieb mit der nötigen Vorsicht weiter. Doch trotz aller Vorsicht war da diese Angst: «Ich habe mich ständig gefragt, machen wir etwas falsch? Machen wir etwas, das wir nicht dürfen?»

Seit dem Lockdown hat Daniela «nume no büglet». Nebst Absagen und Verschiebungen von Events beschäftigten sie in den letzten Wochen vor allem die Finanzen der KUFA. Kurzarbeit, Ausfallsentschädigung, Crowdfunding – um die Existenz der KUFA und das Auskommen der vielen Angestellten im Stundenlohn kümmert sich das Leitungsteam vom Homeoffice aus.

Wann die Tore der Konzerthallen in der Schweiz wieder öffnen, ist zurzeit noch nicht klar. Daniela hofft auf Klarheit, wenn der Bundesrat am 27. Mai über die dritte Etappe der Lockerungen informiert. Bis dahin hänge die KUFA – wie auch alle anderen Eventlokale – «zwischen Stuhl und Bank».

(bae)

Kritik
von Michelle Blatter

Im November 2019 führte mich meine Suche zum ersten Mal in die KUFA. Ihr Versprechen: Wir nehmen dich, auch wenn du noch nichts kannst - und wir bilden dich aus. Genau danach hatte ich gesucht.

Seither habe ich mich an der Garderobe mit betrunkenen Teenies und Winterjacken rumgeschlagen, kilometerweise Kabel auf- und abgerollt, nebenbei sämtliche technischen Schulungen der Kufa besucht und mich Stück für Stück zur Lichttechnikerin hochgearbeitet. Ein Label, mit dem ich mich ab April auch tatsächlich hätte schmücken dürfen - wäre da nicht etwas dazwischen gekommen.

Um diesem wogenden Ort voller Leben und Musik zumindest in Gedanken ein wenig nahe zu sein, habe ich bei Daniel nachgefragt, wie sie die Lockdown-Zeit erlebt und was die Schliessung der KUFA - für eine nicht absehbare Zeit - für sie bedeutet.

Eigentlich war geplant, dass ich Danielas Bericht bloss in Form einer Comic-Reportage für das Fach Visualisieren einreiche. Nachdem ich aber gehört hatte, was sie alles zu erzählen hatte, entschied ich mich, meine Notizen in einen Sachtext zu verwandeln und diesen auf Digezz zu teilen.

In den letzten Wochen habe ich das eine oder andere Bandraum-Konzert via Skype verfolgt. Aber das Medium Musik lässt sich entgegen allen Annahmen so schlecht digitalisieren. Ein Konzert ist mehr als nur Schallwellen, die sich auch über Kopfhörer empfangen lassen. Livemusik ist eine Welt, die zurzeit im dunklen Backstage darauf wartet, endlich wieder auf die Bühne zu dürfen. Und alle, die in dieser Branche ihr Herz liegen gelassen haben, halten auf unbestimmte Zeit kollektiv die Luft an.

Da kann ein Text darüber, was das für eine Person im Epizentrum bedeutet, nicht schaden.

(Das Teaserbild stammt in unbearbeiteter Form aus dem Pressebereich von kufa.ch.)

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