«Ich habe nicht vier Händen»

Jeder Mensch ist ein einzigartiges Individuum. Jeder Mensch hat seine eigene Herkunft und lebt eine Kultur oder vielleicht Religion. Dass sich Menschen begegnen kann nicht vermieden werden und ist einfach nur menschlich.

Umso wichtiger ist es daher, dass kein Mensch je einen zwischenmenschlichen Widerstand verspüren muss, wenn er jemandem gegenübertritt. Es ist unumgänglich, sich gegenseitig zu akzeptieren und zu respektieren. Das gilt nicht nur für Erwachsene, sondern beginnt bereits im jungen Alter.

Wir möchten die ersten Schritte der Integration von jungen Asylsuchenden in der Schweiz dokumentieren. Zudem möchten wir denjenigen Menschen, welche eher eine antipathische Haltung gegenüber Asylsuchenden in der Schweiz haben, zeigen, wie sich jugendliche Asylsuchende um eine gute Integration bemühen.

(fms)

Kritik
von Chiara Lardelli und Jennifer Müller

Idee

Begonnen hat alles damit, dass Jennifer im Sommer 2017 einen Freiwilligen-Job in einem Auffangzentrum für unbegleitete minderjährige Asylsuchende angenommen hatte. In diesem Auffangzentrum finden die jungen Flüchtlinge zumindest vorübergehend ein neues Zuhause, lernen Deutsch und gewöhnen sich an die Schweiz. So wurde Jennifer auch auf das Projekt der Rudolf Steinerschule Ittigen aufmerksam. Dieses Projekt brachte die jungen Asylsuchenden mit gleichaltrigen Schweizer Schülern zusammen. Sofort schnupperten wir den Digezz-Wind und fanden Gefallen daran, einen Film über Integration von Flüchtlingen zu realisieren. In einer Art Dokumentation wollten wir aufzeigen, wie sehr sich die jungen Ausländer um eine gute Integration bemühen. Ohne Off-Text und nur mit Sprechertext aus Interviews sollten sowohl Flüchtlinge als auch Schweizer von ihren Erfahrungen des Zusammentreffens erzählen. Der Film soll auf eine Seite die schwierige Situation der Flüchtlinge darstellen und dass die meisten wirklich um eine gute Integration bemüht sind. Auf die andere Seite soll der Zuschauer ein Gefühl dafür kriegen, wie einfach Integration eigentlich wäre und was er oder sie selber dafür tun kann.

Planung

Das schwierigste in der Vorbereitungsphase war, an die entsprechenden Protagonisten heranzukommen. Weil die Flüchtlinge alle Minderjährig sind und noch mitten im Asylverfahren stecken, gibt es strikte Regeln, was das Filmen betrifft. So mussten wir in einem ersten Schritt ein professionelles Konzept schreiben, das vorzeigbar ist. Dieses Konzept wurde dann über verschiedenste Pulte und Behörden gereicht und schliesslich abgesegnet. Es fielen auch etliche Sitzungen mit den jeweiligen zuständigen Bezugspersonen an, damit ganz genau erklärt werden konnte, was wir filmen dürfen und was nicht. Leider dauerte dieser Abklärungsprozess ziemlich lange, und so verschob sich unser Drehtermin ziemlich weit nach hinten. Zum Vorbereitungsprozess gehörte aber auch, dass wird einen Tag im Vorhinein mit den Flüchtlingen verbrachten. Ohne Kamera, nur zum „Abtasten“. Dieser Tag war im Nachhinein sehr wertvoll, denn wir wussten bereits, wie wir uns beim Filmen verhalten sollten und kannten die Darsteller persönlich.

Als wir nach 2 Monaten endlich die Filmgenehmigung erhielten, legten wir vier Drehtage fest. Wir überlegten uns gründlich, welche Fragen wir den Flüchtlingen und den Schweizern stellen sollten und wie sich die Antworten wohl am besten ergänzen würden. Mit den Fragen und ziemlich viel Technik im Gepäck reisten wir schliesslich in den Kanton Bern und begannen den Dreh.

Dreh

Am ersten Drehtag konnten wir mit einem 20-jährigen Flüchtling sprechen, der schon 6 Jahre in der Schweiz lebt. Er sollte unser Musterbeispiel  für eine gelungene Integration werden. In einem ersten Teil filmten wir ihn bei seinem Hobby, dem Schiedsrichtern. Im zweiten Teil stand dann das Interview an. Was immer etwas problematisch ist, wenn man auswärts filmt, ist, dass man die Räumlichkeiten nicht kennt. Und es trat ein, was eintreten musste: auf dem Sportplatz konnten wir keinen einzigen geeigneten Raum für unser Interview finden. Entweder waren die Räume zu dunkel oder es hallte zu fest. Die beste Option war schlussendlich, das Interview draussen durchzuführen, wo uns aber bald mal der starke Wind einen Strich durch die Rechnung machte.

Am zweiten Drehtag trafen wir uns mit jüngeren Flüchtlingen aus Somalia, Gambia und Eritrea. Das Interview gestaltete sich hier etwas schwieriger, weil ihre Deutschkenntnisse noch nicht so gut waren. Das Interview wurde zum Glück von einer Lehrerin und Bezugsperson für die Flüchtlinge durchgeführt. Sie konnte ihren Schülern jeweils weiterhelfen, wenn sie eine Frage nicht genau verstanden hatten. Während dem Dreh wurde viel gelacht, mit der Technik hatten wir wenig Probleme. Allerdings waren wir nicht mit drei Lavaliermikrofonen ausgerüstet, weshalb wir die Audioaufnahmen mit dem Zoom machten. Wie sich später herausstellen sollte, war das ziemlich verheerend. Im Anschluss an die Interviews fingen wir noch einige Stimmungsbilder von den Flüchtlingen im Schulzimmer ein, wie sie Deutsch lernen. Wir versuchten, möglichst ästhetische Bilder aufzunehmen, damit der Film nicht nur mit der Botschaft überzeugt, sondern auch visuell etwas zu bieten hat.

Der dritte Drehtag fand in der Rudolf Steinerschule Ittigen statt. An jenem Tag standen vier der Schweizer Schüler, die an dem gemeinsamen Projekt teilgenommen hatten vor unsere Kamera. Sie erzählten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen. Problematisch war hier wiederum die Örtlichkeit, denn rund um ein Schulhaus ist es einfach nie ruhig. So mussten wir einzelne Aussagen sehr oft wiederholen lassen, um eine brauchbare Audioaufnahme zu erhalten.

Eigentlich war geplant, die Flüchtlinge und Schweizer noch am selben Tag zusammen vor die Kamera zu bringen. In diesen Bildern sollte klarwerden, dass die Interview-Aussagen nicht einfach so dahingesagt wurden, sondern dass sich alle Beteiligten wirklich um eine gute Integration bemühten. Die Flüchtlinge und Schweizer Schüler sollten zusammen Sport treiben und etwas Bewegung in unser sonst eher statisches Video bringen. Dies kam allerdings nicht zustande, weil die Hälfte der Protagonisten fehlte. Deshalb musste spontan noch ein vierter Drehtag eingerichtet werden, um das Beroll-Material einzufangen. Schlussendlich hatten wir alle nötigen Szenen im Kasten – endlich.

Postproduction

Nach vier Tagen voller Interviews und sonstigen Drehs hatten wir natürlich unglaublich viele Aufnahmen. Es kostete uns viel Zeit, jedes Interview noch einmal komplett durchzuhören und die besten Aussagen auszusortieren. Dazu musste jeweils auch die entsprechende Sequenz aus dem anderen Kamera-Winkel rausgefiltert werden. Das Resultat dieses Filtervorgangs: mehrere hundert Statements in gebrochenem Deutsch, die völlig zusammenhangslos irgendwo verteilt waren.

Da ein System rein zu bringen stellte sich schwierig heraus. Wir begannen, die Aussagen nach Thema zu ordnen und entsprechend einzufärben. Dann sassen wir zusammen und hörten alle Statements gemeinsam durch. Wir bestimmten einen Beginn und ein Ende. Schrieben heraus, welche Aussagen auf keinen Fall fehlen durften und versuchten einen Ablauf und eine Art Story festzulegen, ein roter Faden, dem der Film folgen sollte. – Die Begegnung!

Im nächsten Schritt mussten die Äusserungen ausgeschnitten und in die richtige Reihenfolge gebracht werden. Erstaunlicherweise ergänzten sich die Sätze teilweise ziemlich gut, was wohl daran lag, dass wird den Interviewten jeweils ähnliche Fragen gestellt hatten.

Das Grundgerüst stand nun. Die Flüchtlinge stellen sich zuerst vor, erzählen von ihren ersten Eindrücken in der Schweiz, von ihren Bemühungen Deutsch zu lernen und davon, wie sie mit Rassismus umgehen. Im Kernteil unseres Videos, nämlich dort wo es um die Integration geht, kommen auch die Schweizer Schüler zu Wort. Beide Seiten erklären, was gute Integration für sie bedeutet und wie sie erreicht werden kann.

Unser Film-Skelett haben wir dann noch mit Beroll-Aufnahmen geschmückt. Auch hier war die Auswahl der Clips ziemlich schwierig. Es ist wichtig, dass die Beroll-Szene das Gesagte unterstützt und im Idealfall ist der Sprecher in der Szene zu sehen. Wir waren jedoch sehr froh, hatten wir so viele Stimmungsaufnahmen gemacht, denn sie machten unser Endprodukt um einiges abwechslungsreicher.

Was nun noch fehlte, war das Audiodesign und das Colorgrading. Ersteres wurde zu einer wahren Mühsal. Wie bereits angetönt, hatten wir beim 3er-Interview nicht genügen Lavalier-Mikrofone dabei. In diesen Szenen mussten wir mit dem Ton des Rode NTGs arbeiten und dem Zoom. Diese Aufnahmen haben ein grosses Grundrauschen, extremen Hall und viele Störgeräusche. Vor allem, weil andauernd zwischen Lavalier-Aufnahmen von den anderen Interviews und eben genannten Aufnahmen hin- und hergeschalten wird, fällt der Qualitätsunterschied extrem auf. Aber uns blieb nichts Anderes übrig, als mittels Adobe Audition und Premiere Effekts das Beste herauszuholen.

Schwierigkeiten

Wir hatten nicht damit gerechnet, dass es so lange dauern würde, bis wir die Drehgenehmigung erhalten. So blieben uns zum Ende nur noch 2 Wochen für die gesamte Postproduction und den Schnitt. Bei diesem Projekt war dies wohl der aufwendigste Teil und so bereitete uns dies einige Sorgenfalten. Schlussendlich hatten wir zwar einen Stress, dafür hatten wir keine Zeit den Faden zu verlieren. Manchmal ist es besser, das Gefilmte direkt danach zu schneiden, weil dann alles noch präsent ist.

Wir haben während dem Dreh den Inhalt unseres Filmes an eigenem Leib erfahren. Auch wir setzten uns während diesen drei Tagen direkt mit Integration und ihren Schwierigkeiten auseinander. In unserem Fall äusserte sich dies vor allem in der Sprachbarriere. Manchmal wurden unsere Fragen nicht so verstanden, wie sie gemeint waren, oder sie wurden gar nicht verstanden. Auch die Antworten der Flüchtlinge zielten teilweise komplett an dem vorbei, was wir uns vorgestellt hatten. Allerdings lässt sich mit der richtigen Portion Geduld, Einfühlungsvermögen und Humor Vieles lösen.

Wie bereits erwähnt waren die schlechten Audio-Aufnahmen des einen Interviews ein riesen Problem. Es ist einfach schade, wenn man die perfekten Sounds vom einen Interview den missratenen Aufnahmen des anderen Interviews gegenüberstellen muss. Vor allem, wenn man weiss, dass man eigentlich mit der Technik umgehen könnte und einfach zu wenig Lavaliermikrofone in der Technikausleihe vorhanden waren zu diesem Zeitpunkt. Nächstes Mal müssten wir uns früher um die Reservation kümmern, das ist allerdings schwierig, wenn man die Dreherlaubnis so kurzfristig bekommt. Ausreden hin- oder her, immerhin haben wir auf diese Art und Weise einiges über die Rettung und Verbesserung von schrecklichen Audioaufnahmen erfahren.

Fazit

Zum Schluss bleibt zu sagen, dass es extrem viel Spass gemacht hat mit den Flüchtlingen zu filmen. Es ist wahrlich horizonterweiternd sich in dieser Tiefe mit Integration auseinanderzusetzen. Die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen hat uns zum Nachdenken angeregt und unsere Einstellung zum Thema verändert. Mit dem Endprodukt sind wir, vor allem inhaltlich und was die Botschaft betrifft, sehr zufrieden. In der Umsetzung würden wir das nächste Mal einiges anders angehen.

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