Langzeitbelichtung bei Tageslicht

Wie wird die Zeit empfunden? Wie kommt es, dass sie manchmal wie im Fluge vergeht und es sich ein anderes Mal so anfühlt, als ob sich die Uhr zurückdrehen würde? Was wird auf einem Foto gesehen? Wie wird Zeit auf einem Foto dargestellt? Und wie kommt es dazu, das gewisse Fotos dem Zuschauer auf einen Blick ein Gefühl von Vergangenheit vermitteln?

Heutzutage hat jeder ein Smartphone mit vergleichsweise guter Kamera. Für den Alltagsgebrauch sind diese auch komplett ausreichend. Kamera-Apps geben darüber hinaus eine mehr oder weniger grosse Auswahl an Einstellungsmöglichkeiten. Von halbherzigem HDR (High Dynamic Range) bis hin zu kitschigen Filtern – die Auswahl ist gross. Nur für ein Problem gibt es keine Lösung: Die Belichtungszeit kann nicht beliebig eingestellt werden. Denn während es möglich ist, die Verschlusszeit sehr kurz einzustellen, ist das Gegenteil nur bedingt möglich.

Bei teuren DSLR oder Systemkameras kann man die Verschlusszeit zwar auf 30 oder mehr Sekunden festlegen. Doch kommt dann ein anderes Problem auf: Diese Einstellung ist nur bei Dunkelheit praktikabel. Die Blende kann nicht beliebig geschlossen werden, um die Verschlusszeit anzupassen. Somit ist bei Sonnenschein mit geschlossener Blende nur mit einer Belichtungszeit von 1/10 einer Sekunde zu fotografieren. Länger geht nicht, da es sonst wieder zu hell wird.

Diese Verschlusszeit war mir zu kurz. Ich wollte die Fotos nämlich länger belichten – und das auch bei hellem Wetter. Das Projekt «In Time» zeigt Fotos, welche am Tage mit einer Verschlusszeit von 45 bis 80 Sekunden aufgenommen wurden. Es entstanden somit Bilder, welche für das menschliche Auge komplett unbekannt sind. Sie vermitteln mir jedoch ein Gefühl von Gelassenheit.

Hier findet ihr das Ergebnis.

Wie ich das Projekt umgesetzt habe und welche Schritte dafür nötig waren, erfahrt ihr in der Kritik.

(fms)

Kritik
von Marius Baumgartner

Idee / Einführung
Ich wollte die Langzeitbelichtung am Tage schon lange ausprobieren. Nur kostet ein guter physischer Objektivfilter, welcher für das Projekt essentiell war, zuviel für ein kleines Projekt. Durch das Equipment in der Ausleihe war es mir jedoch endlich möglich, dieses Projekt auszuführen. Während sich viele an die Astrophotographie wagen, ist die Langzeitbelichtung am Tag noch nicht so verbreitet. Wie genau ich das machen wollte wusste ich noch nicht. Und auch die Motive waren mir am Anfang noch nicht im Kopf. Somit ging es in die Testphase und das Konzipieren.

Testphase
In der Testphase machte ich mich schlau, wie genau die Langzeitbelichtungsfotografie funktioniert. Mir war klar dass das Objektiv abgedunkelt werden musste. Nach einer Recherche fand ich heraus, was alles benötigt werden und auf was geachtet werden musste.

Equipment
Das Equipment ist wahrlich überschaubar.

DSLR Kamera Canon 5D MKIII
Ich entschied mich für die Full Format Kamera. Alle Filter der Ausleihe sind auf die Objektive der FF Kamera angepasst. Ausserdem sind die Einstellmöglichkeiten vielfältiger.

Samyang 24 f.1/1.5
Das Samyang Objektiv war meine erste Wahl weil die Blende manuell geschlossen werden konnte. Die Schärfe der Randbereiche der Fotos sind auch besser als bei dem Kit-Objektiv. Ausserdem kann nicht aus Versehen gezoomt werden, was den Fokus wieder verändern würde.

Funkfernauslöser mit Timer SRT-100
Dieses Schmuckstück ist essentiell für die Ausführung der Fotos. Der Fernauslöser lässt sich beliebig programmieren. Ob Verzögerung, Belichtungszeit, Intervall oder eine Kombination von allem zusammen, alles kein Problem.
Sogar per Funk, sodass die Kamera möglichst wenig berührt werden muss.

ND 3.0 Filter
Ein ND 3.0 Filter war wichtig, um dem Sensor die benötigte Dunkelheit zu liefern. Dunkelheit gibt es nicht als Mass, nur die Abwesenheit von Licht. Und genau das bezweckt der Filter. Er lässt nur 1/1024 des einfallenden Lichtes durch den Filter zum Sensor.
Die Schreibweise des ND-Filters kann jedoch auch anders sein, z.B. ND 110, ND 3.0, ND1024.
Es sind alle identisch.

Stativ
Es wird natürlich auch ein stabiles Stativ benötigt. Die Kamera darf sich während der Aufnahme nicht bewegen, da dies sonst eine Unschärfe erzeugen könnte. Wenn sich die Kamera nach z.B. einer Erschütterung wieder an exakt dieselbe Stelle zurück bewegt (Wackler), passiert jedoch nichts.

Motivsuche
Ich habe mir überlegt, was sich bewegt, und wie das Endprodukt aussehen könnte. Die Auswahl war dann entweder Verkehr oder Wasser. Als Naturmensch war die Wahl sehr schnell klar und ich entschied mich für Wasser. Wasser steht entweder still oder es fliesst. Auf meinen Fotos sollte es jedoch so aussehen, dass fliessendes Wasser still steht.

Motive des Projekts
Kapellbrücke Luzern
Mühelnplatzwehr Luzern
Vierwaldstättersee mit Blick auf Nidwaldner Berge
Reusswehr in Buchrain
Ränggbach (Wasserfall und Portrai)
Cascade de St. Nicolas, Kruth, Elsass
Cascade de la Pissoire, Vagney, Elsass

Ausführung
Die Ausführung ging bei jedem Motiv länger als zuerst angenommen.

Schritt 1
Motiv aussuchen: Das Wasser muss sichtbar sein, jedoch die Umgebung nicht zu kurz kommen.

Schritt 2
Belichtung anpassen: Wie hell das Bild belichtet werden soll. Dieser Schritt ist noch ohne Filter. Es wird die Belichtung so eingestellt wie die Helligkeit am Schluss sein soll.

Schritt 3
Fokus einstellen: Der Fokus muss so eingestellt sein wie auf dem Endbild sein soll. Fokusschalter auf M (Manuell).

Schritt 4
Filter anschrauben, schauen dass der Fokusring nicht berührt wird.

Schritt 5
Mit Android App (ND-Filter Calculator) die neue Belichtungszeit ausrechnen. Könnte auch im Kopf gemacht werden. Einfach die vorher herausgefundene Belichtungszeit mit 1000 multiplizieren. Mit dem Calculator ist es jedoch einfacher.
Prinzip: Im App wird nur die vorher herausgefundene Belichtungszeit und den verwendeten ND-Filter eingestellt und das Resultat wird dann am Funkfernauslöser eingestellt.

Schritt 6
Sucher mit einem schwarzen Klebeband abkleben, damit von der anderen Seite keine Lichtsegmente auf den Sensor gelangen

Schritt 7
Displaymode einschalten. Somit wird der Spiegel vor dem Foto schon hochgeklappt. Bei Auslösung wird lediglich noch der Verschluss geöffnet und nicht auch noch den Spiegel hochgeklappt, was zu einer Bewegung der Kamera führen könnte.

Schritt 8
Jeder ND Filter hat eine Tolleranz was die Lichtdruchlässigkeit betrifft. Somit muss jedes Foto mehrmals mit anderen Zeiten oder Blendenöffnungen aufgenommen werden. Der ND-Calculator gibt nur eine ungefähre Belichtungszeit vor.

Beispiel zur Veranschaulichung
Blende: f/22
ISO: 50
Shutter vor Anbringung des Filters: 1/10s
ND Filter: 3.0
Shutter nach Anbringung des Filters: 1min 42s

Somit kann eine Belichtung von fast 2 Minuten erreicht werden. Man stelle sich ein Nachtfoto welches 30s normale Belichtungszeit hat. Mit einem ND 3.0 Filter werden dazu 8h 30min benötigt.

HDR Kombination
Bei gewissen Motiven (Elsass) war der Wasserstrom sehr hell, und die Umgebung eher dunkel. Ich habe dann die Langzeitbelichtung mit der High Dynamic Range Methode vereinigt. Hat sehr gut funktioniert.

Lightroom und InDesign
Die Fotos habe ich im Lightroom bearbeitet, die HDR zusammengefügt. Im InDesign ergab das ganze dann einen anständigen Bildband mit Zitaten über Zeit und Wasser. Dazu stehen die Belichtungszeiten der jeweiligen Fotos und dessen Aufnahmeort.

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