Lights over Lapland – Jagd nach Nordlichtern

Eisiger Wind peitscht über den gefrorenen See. Dunkle Bäume werfen mystische Schätten auf den kahlen Boden. Einzige Lichtquelle: die schmale Sichel des Mondes am Nachthimmel. Handschuhe an. Mütze auf. Warten. Die gefühlten –30°C lassen den Atem eisig werden. Wie ein seidener Schleier verfärbt sich der Himmel über dem Lappland. Als würde ein leiser Geist vorbeiziehen.

Ein spektakuläres, surreales Zeitraffervideo der Nordlichter im hohen Norden Schwedens – eingefangen von Simon Reinker und Tobias Grimm.

Bildergalerie der Nordlichter

Kritik
von Simon Reinker und Tobias Grimm

Idee

Simon Reinker hat 2011 für 9 Monate in Norwegen gelebt und hat damals bereits die Polarlichter live erlebt. Seit diesem Zeitpunkt träumte er davon, eines Tages den Polarkreis hinter sich zu lassen und die Nordlichter in ihrer vollen Intensität zu erleben. Im zweiten Semester im MMP Studio hat Simon mit dem Projekt «Light in Motion» viel über Timelapse und Long-Exposure Fotografie gelernt und war nun bereit für eine neue Herausforderung. So kam die Idee für dieses Timelapse Video mit Polarlichtern. Tobias Grimm war begeistert von dieser Idee und entschied sich eine Woche vor Abreise diese Produktion zu begleiten.
Planung

Location

Die erste Idee für eine Destination war Tromsø, Norwegen. Diese Gegend ist jedoch häufig mit Wolken bedekt, was für diese Expedition ein zu grosses Risiko bedeutete. Durch jegliche Internet-Foren und Erlebnisberichten kamen wir auf ein kleines Dorf namens «Abisko» im hohen Norden Schwedens, ca. 2 Stunden Autofahrt nördlich von Kiruna, welches den nördlichsten Flughafen Schwedens beherbergt. Abisko ist an einem See gelegen, mitten in einem atemberaubenden Naturschutzgebiet und hat somit keinerlei Lichtverschmutzung. Zudem ist Abisko im Inland von Schweden, da ist es weniger häufig bewölkt als an der Küste. Dank der Unterkunft, einer grossartigen Jugendherberge in Abisko, stand der Polarlicht-Expedition nichts mehr im Wege.

Entscheidende Faktoren:
– Nördliche, Kalte Gegend
– Kühle Lufttemperatur (KP < 3)
– Erschwingliche Reisekosten
– Wenig Lichtverschmutzung
– Klares Wetter, wenig Nebel
Polarlichter

Dass eine solch aufwändige Expedition nicht vergebens war, verdanken wir der wichtigen und sorgfältigen Planung und Vorbereitung auf die Reise. Dazu gehörte die Beobachtung der Sonnenaktivität. Hohe Sonnenaktivität = Hohe Wahrscheinlichkeit für Polarlichter. Rund zwei Monate lang haben wir täglich mithilfe des Apps «Aurora Forecast» und der Wetterlage in Abisko beobachtet, wann der geeignete Zeitpunkt für den Start der Expedition wäre. Allerdings musste die Reise spontan angetreten werden, da die Tendenz der Aktivität von Polarlichtern maximal zehn Tage vorausgesagt werden kann. Ende November war es dann soweit: Für die nächsten fünf Tage zeigte die App hohe bis sehr hohe Aktivität voraus. So wurde alles stehen und liegen gelassen, Termine verschoben, und mit entsprechenden Dozenten abgesprochen startete die Polarlicht-Expedition und somit die Reise gegen Norden.

Equipment

– Canon 60D mit Sigma 18-35 1.8F
– Canon 60D mit Sigma 35mm 2.0F
– Canon 5D Mark 3 mit 24mm 1.2F
– Manfrotto Tripod
– 3 Meter motoriesierter Timeplapse Slider (CineMoco System)

Herausforderungen

Wilde Tiere

Ein «How to behave when you meet a bear – Tutorial» auf Youtube gehörte zur Vorbereitung. Allerdings wurde uns erst vor Ort bewusst, dass Bären glücklicherweise einen Winterschlaf machen und sich Wölfe über dem Polarkreis nicht wohl fühlen und somit aufgrund der nördlichen Lage ebenfalls nicht anzutreffen sind.

Polarlichter

Polarlichter sind schnell. Sehr schnell. Dies stellte die Expedition vor eine grosse Herausforderung, da die Polarlicht-Bilder mit Long-Exposure Fotografie entstehen. Das heisst konkret: Für eine Sekunde Film werden 25 Bilder benötigt. Die Polarlichter jedoch bleiben oftmals 10 bis 20 Sekunden am selben Ort und verschwinden dann bereits wieder aus dem Bildausschnitt. Oftmals wurde die Kamera zufällig in eine Himmelsrichtung platziert und gehofft, dass die Polarlichter in unserem Bildausschnitt erscheinen. Geduld war gefragt.

Physische und Mentale Herausforderung

Landschafts-Fotografie ist immer verbunden mit physischen Herausforderungen. Bei dieser Expedition war es wohl Extremsport. Vier Stunden bei –30°C auf einen Berg zu wandern, um dort die ganze Nacht im Tiefschnee nach Nordlichtern Ausschau zu halten – das war hart, brauchte Geduld und regelmässige gegenseitige Ermutigungen im Team. Physische Grenzen wurden ausgelotet und einige Male ausgedehnt. Die grösste Herausforderung war, dass sich die Kameras nicht gut mit Handschuhen bedienen liessen – so litten die kalten Finger am meisten ab er ausserordentlichen Kälte. Doch das Endprodukt der Aufnahmen aus Schweden lässt alle physischen und psychischen Strapazen vergessen.

Post Production

Die vollen Speicherkarten von den RAW-Aufnahmen aus Schweden summierten sich auf rund 150 GB Bildmaterial. Die Fotos wurden unzählige male aus Adobe Lightroom exportiert, bis schlussendlich ein zufriedenstellendes Resultat entstand. Oftmals mussten die Aufnahmen aussortiert werden, wenn beispielsweise eine helle Taschenlampe oder ein Windstoss die Aufnahmen störten.

Selbstreflexion

1. Die Expedition war ein grosses und lehrreiches Experiment.
Kurz: Inspirierend, spannend, atemberaubend und kalt.

2. Technik: Die Schienen des motorisierten Sliders waren aufgrund der tiefen Temperaturen stets eingefroren und streikten regelmässig. Der zeitliche und finanzielle Aufwand, diesen Slider auf der Expedition mit dabei zu haben, stand in keinem Verhältnis mit dem effektiven Nutzen. Learning: Für eine Expedition dieser Art macht ein motorisierter Schwenkkopf insbesondere aus logistischen Gründen mehr Sinn und dient dem Zweck allemal. Die Aufnahmen der Canon 60D konnten für das Endprodukt kaum verwendet werden, da diese DSLR-Kamera für die dunklen Szenerien der Nordlichter, wie dieser Praxistext zeigt, zu wenig lichtstark war. Ein durchdachteres Technik-Konzept ist auch in einem nächsten Mal gefragt. Beispielsweise würde sich für eine Nordlicht-Expedition aufgrund ihrer Lichtstärke die Sony Alpha 7s eignen. Mit dem technischen Equipment, welches auf dieser Expedition dabei war, musste mit offener Blende fotografiert werden. Dies schaffte oft unnötige Tiefenunschärfe, was wiederum zur Folge hatte, dass beispielsweise die Sterne in einer Unschärfe aufgezeichnet wurden.

3. Musik: Vergebens wurde versucht, die Musikrechte des Songs «Berlin» vom DJ Duo «Klangkarussell» zu erwerben. So hat der talentierte Songwriter Nicolas Stucky einen eigens für diese Nordlicht-Produktion geschriebenen Soundtrack produziert. Dieser Prozess rund um Musikrechte wurde sehr langwierig und hat dem Projekt rund vier Monate Zeit gekostet. Tipp: Soundtrack von Beginn selber produzieren oder von einer Agentur erwerben.

4. Positives: Durch die gesamte Expedition und den Prozess vor, während und nach der Reise nach Schweden haben wir vieles durch eigenes Erleben gelernt. So wurde am eigenen Leib und Leben erfahren, was bei einem Projekt in dieser Art die technischen, künstlerischen und physischen Herausforderungen sind. Auch in der Nachbearbeitung durch Lightroom konnte von den erworbenen Erfahrungen profitiert werden. Doch die Freude am Endprodukt lässt alle Strapazen im Schatten stehen und zieht sich wie ein phänomenaler und atemberaubender grüner Schimmer über die Expedition.

Erlebnisbericht

Tag 1: Zürich. Oslo. Stockholm. Kiruna. Ein eisiger Wind peitscht uns entgegen, beim verlassen des Flugzeugs auf das verschneite Rollfeld des kleinen schwedischen Flughafens. Der Himmel: Rabenschwarz. Wie beinahe den ganzen Tag hier im hohen Norden. Gerade mal vier Stunden zeigt sich der Tag in schwammiger Dämmerung. Der Rest: Nacht. Per Mietauto geht’s nach eifrigem enteisen der Windschutzscheibe 150 Kilometer auf einsamen Strassen weiter nördlich nach Abisko. Hier wohnt niemand freiwillig. Ausser man arbeitet für die Tourismusbranche. Die gemütliche Jugendherberge: windgeschützt, warm, mit friedlichen Huskys vor dem Haus und mit vielen abenteuerlichen Menschen aus allen Ländern.

Die Test-Shots am nahegelegenen See begeistern. Es ist kalt, windig, einsam. Doch die Jagd auf die Polarlichter hat begonnen.

Tag 2: Tag ist übertrieben. «Etwas weniger Nacht» wohl die treffendere Bezeichnung. Um 15.00 Uhr werden die malerischen Tannenwälder bereits wieder von der Dunkelheit der Nacht verschlungen. auch die letzte Bergfahrt auf den Hausberg von Abisko ist um 15.00 Uhr Geschichte. So stapfen wir per Muskelkraft durch die schwedische Nacht. Bewaffnet mit Kameras, Slider und Stativen wird der Berg erklommen. Zwischen Schweiss und Eis, zwischen Staunen und Erschöpfung wird der waldlose Gipfel einige Stunden später freudig erreicht. Das wärmende Feuer gelingt aufgrund der Kälte und des Windes nicht. Die Aufbachbrötchen und rohen Würste schmecken jedoch bei Heisshunger auch gut in gefrorener Form. Wenigstens geniessen die wilden Bären aus der Region momentan ihren Winterschlaf. So bleibt nur die eisige Kälte unser Feind. Doch das Spektakel über unseren Köpfen entlöhnt jeden Tropfen Schweiss, jede Sekunde Planung. Die Nordlichter. Grosses Kino

Tag 3: Nächste Nacht. Nächste Jagd. Das spektakuläre Hotel aus Eis ist leider noch nicht fertig gefroren – doch umso gefrorener die Nacht. Diesmal führt uns die Jagd auf die leuchtenden Sonnenstürme mitten in einen Wald. Mit dem Slider an Bäumen vorbei und mit dem idyllischen Setting eines alten Hauses entstehen weitere Timelapse-Sequenzen. Die Begeisterung erreicht einen neuen Höhepunkt, als auf dem kleinen Bildschirm der Canon 5D Nordlichter in Rot zu sehen sind. Ein ausserordentliches Ereignis und Erlebnis hier im hohen Norden.

Tag 4: Neuer Tag. Neues Glück. Diesmal direkt am See. Zwischen malerischen Booten, gefrorenem Wasser, wärmenden Feuer, steiniger Küste und japanischen Hobby-Foto-Touristen. Ein letztes Mal wird das Naturspektakel mit der lichtstarken Linse eingefangen. Bevor es uns wieder in den Süden verschlägt. Zum Auftauen und in Erinnerungen schwelgen.

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