Mani Matter und das Selfie

Würde die Schweizer Ikone Mani Matter heute noch immer über ein Zündhölzli singen? Diese Frage stellten wir uns mit den Gedanken an die Handy-Generation. Die Schreibfeder gezückt, die Gitarre zur Hand und den digitalen Pinsel geschwungen, schon stand die zeitgenössische Neuinterpretation von Mani Matters grossem Hit: «’Selfie».

Der grosse Schweizer Liedermacher Mani Matter fand in seinen Texten stets die richtigen Worte, um die Gesellschaft mit einem Augenzwinkern kritisch zu hinterfragen. Was würde der Philosoph des Alltags wohl über die heutige Gesellschaft singen?

Kurzerhand schreiben wir eine neue Version von Mani Matters berühmten «I han es Zündhölzli azündt». Einer Generation voller Experten der Selbstinszenierung gewidmet, wird in dem Lied über die Folgen von gedankenlosen Posten von Selfies sinniert. Was wäre, wenn ein solches «Egofoti» tatsächlich zum viralen Hit würde? Gibt es Zündhölzli-artige Folgen oder platzt die virale Blase zum Schluss? Die Antwort findet sich in unserem Animations-Musikvideo ‘Selfie:

(Am besten im Vollbildmodus anschauen)

Lyrics:

I ha es Foti vo mir gschosse
Darum ischs es Selfie gsi
Has den uf die Site gstellt
Für mini lieb Community
Ohni Hose kunt das ah
Das kan jede guet verstah
Und für obe isches besser ohni Wonderbra

Ja mer weis was kan passiere
We me nöd ufpasst mit dem Züg
Drum han is Kollege gschickt
Denn das sind ja gueti Lüt
Doch stellder vor s‘wär ab devo
Bevoris us de Cloud het gnoh
Wär weis öb da nöd no könt e Gschicht entstoh

S’hettet Produzente glütet
A de Mailbox und de Tür
Für es Foti vo mim Füdli
Mit bitz Photoshop und Füür
Und den hetti schnell viel Geld
Und mi kennt die ganzi Welt
Und mis Gsicht wirbt gross ob jedem Fuessballfeld

Alli hettets super gfunde
Und mir ifrig gratuliert
De Bundesrat mit Ehregarde
Stolz und fiirlich salutiert
Het en Ma gha alt und rich und
mich fixiert nurno uf mi
mi mi mi mi mi mi mi mi mi, mi, mi, miiiiiii

Doch langsam hettmer mi vergässe
Willi älter wäri worde
Und im Selbstmitleid versunka
Doch mit Liftings frisch gebore
S’Gsicht mit drisg am Endi nah
Bruch meh Pille als min Ma
nur will ich nöm mis jugendliche Usgseh ha

I ha es Selfie vo mir gschosse
Als Narzisst bisch halt debi
Ha min Körper präsentiert
Für mini lieb Community
Ohni Hose chunt das ah
Das kan jede guet verstah
Doch zum Glück han ich die Hose wieder ufeglah

Kritik
von Sven Schnyder und Sarah Vettori

Idee/Konzept (Sven)

Die Idee entstand an einem verschneiten Winterabend und ist auf eine Mischung aus hellwachem Geistesblitz, verträumtem Dösen und einem kleinen kleinen Tropfen Rotwein zurückzuführen. Den Text schrieb ich noch am selben Abend und sang das Ganze provisorisch ein.

Text/Storytelling (Sven)

Doch bevor unser Text geschrieben wurde, machte ich mich an die Analyse von Mani Matters Text. Dabei fiel mir auf, dass er es wie kein Zweiter verstand, mit kurzen prägnanten Aussagen und Reimen spielerisch ein zugleich lustiges, eingängiges sowie auch gesellschaftskritisches Lied zu erschaffen.

Das Ziel musste es sein, diese Leichtigkeit bei einer zeitgenössischen Interpretation nicht zu verlieren. Jedes Wort wurde doppelt und dreifach hinterfragt, wieder umgeschrieben und endlos geändert. Denn nebst dem neuen Thema sollte die Seele des “Zündhölzlis” bewahrt werden. Ich denke, dies ist mir auch ansatzweise gelungen, was ich zum Grossteil an der umfassenden Analyse zu verdanken habe.

Medienwahl (Sarah und Sven)

Es war von Anfang an klar, dass sich dieses Projekt nicht nur auf ein Lied begrenzt, sondern ein Musikvideo dazu erstellt wird. Was eignet sich besser als Animation? Mit grafischen Elementen können Aussagen einfach und verständlich dargestellt werden. Zusätzlich können die übertriebenen Geschehnisse im Songtext via Ilustration ebenfalls satirisch überspitzt festgehalten werden. Mit realen Footage wäre das nur schwer möglich gewesen. Wo sollten wir so schnell eine Yacht herkriegen oder den gesamten Bundesrat? Ein weiterer Vorteil von gezeichneten Charakteren ist die Möglichkeit, den ganzen Inhalt unschuldig zu halten. Die Story beschreibt ein hypothetisches Geschehen, eine Träumerei, eine Luftblase. Der einfache, kindliche Stil in den Bilder unterstüzt diesen Charakter.

Produktionsweise

Animation (Sarah)

Für mich war klar, dass ich dieses Semester einen von Hand gezeichneten Animationsfilm umsetzen möchte. Der Song «’Selfie» war eine geradezu perfekte Möglichkeit dafür, denn der Stil unterstützt den unschuldigen Charakter des Liedes. Als Anfängerin in der klassischen Animation begann ich den Prozess mit einer ausführlichen Recherche zum Thema. Im Trickfilm werden pro Sekunde 12 Frames gezeichnet. In unserem Film stecken darum über 1’200 Bilder. Als Erstes haben wir zusammen das Drehbuch festgelegt. Welches Bild, welche Aktion passt zu welcher Songzeile? Im Laufe des Zeichnungsprozess habe ich jedoch das Drehbuch zum grössten Teil nochmals abgeändert. Denn erst da erkannte ich, was möglich ist und was nicht. Für jede Strophe zeichnete ich als Erstes die einzelnen Elemente und Figuren, welche es anschliessend Layer für Layer zu verschieben und zu verändern gab. Anschliessend exportierte ich die einzelnen Layers im PNG-Format und importierte sie als PNG-Sequenz im After Effects.

Wichtig war am Anfang, zeitlich genau festzulegen, was zu welcher Sekunde im Film passieren sollte. Das heisst: Frames zählen und hochrechnen, um ein perfektes Timing mit dem Song zu erlangen. Rückblickend sehe ich hier das grösste Verbesserungspotential. Meiner Meinung nach könnte das Timing im Film an gewissen Stellen etwas runder sein, z.B. in der Schlusszene. Doch beansprucht das Zeichnen der Frames sehr viel Zeit, auch wenn es zum Teil nur kleine Verschiebungen des vorherigen Frame sind. Deshalb waren nachträgliche Änderungen oft zu aufwendig.

Die zusammengesetzten Frames habe ich anschliessend als Film aus dem After Effects exportiert und im Premiere mit der Musik zusammengefügt.

Die Erstellung dieses Filmes hat meinen vorgestellten Zeitrahmen gesprengt. Ich ging zu naiv an die Sache ran. Das war auch ein Glück, denn sonst hätte ich mich vielleicht nicht für einen von Hand gezeichneten Film entschieden. Recherchearbeit und Erstellung der Bilder im Voraus beanspruchen ziemlich viel Zeit. Im Animationsfilm stecken mindestens 100 Arbeitsstunden.

Mit dem Resultat bin ich zufrieden. Da der Aufwand trotz einfach gehaltener Zeichnungen so gross war, freue ich mich, dass der Film mehrere Farben, Perspektivenwechsel und Kamerafahrten enthält. Schwachstellen sind das zum Teil nicht ganz harmonische Timing zur Musik und das Rütteln. Hier sind die Zeichnungen pro Frame unterschiedlich weit verschoben, was Unruhe im Film hervorruft. Auch dies sollte man im Voraus genau berechnen: Schiebe ich ein Objekt jeweils 20 Pixel oder nur 10 Pixel nach oben? Je genauer man im Voraus die Bewegungen berechnet, desto mehr wirkt der Film zum Schluss wie aus einem Guss.

Musik (Sven)

Bevor überhaupt an eine Aufnahme gedacht werden konnte, mussten zuerst die Rechte abgeklärt werden. Diese liegen im Fall von Mani Matter beim Matter & Co Verlag in Bern. Bei so einem berühmten Schweizer Musik-Urgestein ist es nicht selbstverständlich, eine Bewilligung zu erhalten. Zusätzlich ist unsere Idee nicht nur eine Neuinterpretation des “Zündhölzli”, sondern es wurde auch ein komplett neuer Text geschrieben. Normalerweise ist dies nicht erlaubt und es wird keine Bewilligung erteilt. Bei diesem Projekt konnten wir aber den zuständigen Anwalt von dem nicht-kommerziellen Charakter überzeugen und erhielten eine ausserordentliche Bewilligung, die an gewisse Bedingungen geknüpft ist. Diese Arbeit braucht sehr viel Geduld, Telefonate, Emails und Gespräche. Das Wichtigste dabei ist, den Besitzer der Rechte von dem eigenen Projekt zu überzeugen und ihm ein klares Konzept vorzulegen. In unserem Fall war dies eine Beschreibung der Idee und die Präsentation des Liedtextes.

Bei der Musik war es wichtig, dass der Sound genau so unschuldig wie der Text und die Animation daher kommt. Zusätzlich sollte das Lied in Bündnerdeutsch eingesungen werden. Damit wollten wir den Produktionsort Chur unterstreichen. Nach langer Suche fanden wir mit der jungen Bündnerin Riccarda Caseli die perfekte unschuldige Stimme für unser Projekt. Mit der ersten Aufnahme/Version waren wir sehr zufrieden, doch wir mussten feststellen, dass diese nicht funktionierte mit dem Video und völlig überladen wirkte. Zuviel Streicher, Schlagzeug und Piano. Die Musik wurde dann über zwei Monate immer wieder weiterentwickelt und heruntergebrochen. Am Schluss blieb eine Gitarre, ein Bass und natürlich der Gesang. Das Gitarren-Zupfen des Originals ersetzten wir aber durch ein Schrummen. Wir entschieden uns für diesen Schritt um das Ganze noch ein wenig poppiger und eingängiger zu machen. Die Endversion ist nun roh und ungeschliffen und passt sehr gut zum kindlichen Stil der Animation.

Workflow/Zusammenarbeit (Sarah und Sven)

Dieses Projekt ist unsere erste Zusammenarbeit. Deshalb waren wir beide sehr gespannt, wie es funktionieren würde. Wir stellten schnell fest, dass wir einen sehr ähnlichen Workflow haben. Die Arbeitsaufteilung war sowieso kein Problem, da von Anfang an klar war, wer was macht. Kritik und Verbesserungsvorschläge wurden immer dankend angenommen und auch schnell umgesetzt. Wir würden hier gerne eine Kritik anbringen, aber es funktionierte wirklich sehr gut und ohne Probleme.

Der Workflow verlief folgendermassen: Sven erstellte den Text und nahm eine erste Version mit der Sängerin auf. Anschliessend wurde das Drehbuch gemeinsam besprochen und Sarah begann mit dem Zeichnen und Animieren. Hier gibt es einen Verbesserungspunkt: Die Aufnahme wurde ein zweites Mal gmacht mit einem leicht schnelleren Tempo. Deshalb stimmten die bereits erstellen Bilder der ersten Filmhälfte nicht mehr mit der Musik überein. Diese Probleme liess sich glücklicherweise am Schluss im Premiere im beheben. So wird der erste Teil der Bilder einfach schneller abgespielt.

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