Sehr Guet

Mit ihrer Schreib- und Denkplattform sehrguet.ch wagen drei MMP-Studenten ihren Einstand in die Autorenszene der Schweiz. Sie toben sich in verschiedenen Textgattungen aus und versehen ihre Worte mit vielseitigen Illustrationen. Einzelne der Texte werden auch in direkter Zusammenarbeit geschrieben.

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Wie es zustande kam? Das fragen wir uns heute noch manchmal, wie gerade jetzt, bei einem guten Glas Rotwein auf der Veranda des Weingutes eines Freundes im Piemont. Egal wie die Antwort ausfällt, ein Grinsen können wir uns nie verkneifen. Viel Zeit ist vergangen seit dem ersten geschriebenen Wort. Die manchmal willkürlichen, aber immer amüsanten Entstehungsmythen rund um unsere Textart-Plattform sehrguet.ch amüsieren uns nach wie vor. Wir dementieren oder bestätigen diese auf keine Art und Weise. Stattdessen fügen wir dem ganzen eine weitere Variante hinzu – unsere.

Es waren einmal zwei kleine, unschuldige Mädchen, die nichts mehr liebten, als die Welt mit Pinsel und Papier festzuhalten. Ihre Zeichnungen zeigten die Welt als Idyll. Unheil und Sorgen waren ganz aus der Schöpfung gebannt, die sie zu Papier brachten. Beide hatten sie ihren eigenen Stil, der ihnen von ihren Müttern weitergegeben wurde und ihren Müttern von ihren Grossmüttern. Während die Familie Yazumins den Stil des vornehmen Pinsels vertrat, liebte die wilde Seera alle Farben der Welt und begegnete auch dem Unbekannten mit offenem Auge und Herzen. Trotz der Gegensätze waren der rebellische Rotschopf und die elegante Frau von Welt beste Freundinnen. Viele Tage duellierten sie sich freundschaftlich und überboten sich gegenseitig mit Werken von nahezu unglaublicher Schönheit und Präzision.

Mit ihrer Kunst vermochten sie alle in ihren Bann zu ziehen, vom ärmlichen Bauer bis zum tapferen Ritter. An ihren Gemälden sollten auch zwei nichtsnutzige Raufbolde Gefallen finden, die tagein tagaus von Taverne zu Taverne zogen und allen Töchtern im Dorfe schöne Augen machten. Doch es dauerte nicht lange, und die beiden verfielen einer gewissen Melancholie, der sie mit sinnlosen Raufereien Ausdruck gaben. An einem dieser Tage wollte es das Schicksal so, dass der Wind eine Zeichnung zwischen die Faust des einen und das Gesicht des andern trug. Wie zu erwarten bremste sie den Aufprall nicht ab und fiel blutverschmiert zu Boden. Als die beiden Rabauken die Schönheit der Zeichnung erkannten, liessen sie vom Kampf ab. Sie staunten so sehr, dass sie gleich alle Töchter im Dorfe vergassen. Und nicht nur das, auch die Pöbeleien verloren ihre Dringlichkeit. Viel wichtiger schien ihnen, den Urheber dieser Zeichnung ausfindig zu machen. So begaben sich die zwei Jünglinge auf eine Reise durch die dunkelsten Schluchten, windigsten Ebenen und verschneitesten Gipfel des Landes. Dann endlich, nach beschwerlicher und langer Suche und dem Aufgeben nahe, stiessen sie eines Tages unverhofft auf eine einfache, bescheidene Hütte an einem Waldrand.

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Friedlich zog Yazumin an ihrer Krautpfeife, während sie die Ankunft der beiden Strolche bereits mit Pinselstrichen festhielt. Alleine die Gegenwart von Yazumin und der Duft ihres Krautes raubte den beiden ihre Sinne. Spätestens mit der Erscheinung von Seera war es um das letzte Fünkchen Verstand der beiden geschehen. Auch die zwei Meisterinnen der Malerei waren, aus bis heute unerklärlichen Gründen, angetan von den beiden Lausbuben. Die vier verstanden sich auf Anhieb und es sollte nicht lange dauern, da teilten die beiden Buben die Faszination des gemalten Bildes mit den Mädchen. Sie zeichneten wie wild drauf los und konnten nach einer gewissen Übung auch das eine oder andere Strichmännchen vollenden. Ihre Werke jedoch blieben stets hinter jenen der beiden Mädchen zurück. So griffen sie bald nicht nur zum Pinsel, sondern auch zur Feder. Seera fand Gefallen an den poetischen Gehversuchen, doch Yazumin war eine Freundin der Tat, nicht des Wortes, und bald wurde sie der Gesellschaft der beiden Jünglinge überdrüssig. Sie wusste zwar, dass die beiden sie sehr mochten, doch konnte sie ihre Freunschaft nicht erwidern, zu wenig bot die Malkunst der beiden, zu sehr huldigten sie dem geschriebenen Wort.

Dabei war Yazumin nicht nur im ganzen Lande für ihre Pinselschwünge bekannt, auch ihr Umgang mit dem Wallholz sorgte für Staunen weit und breit. So war es nicht weiter verwunderlich, dass die beiden Lümmel ihrer freundlichen Einladung nachkamen, am nächsten Tag von ihren Güetzi zu kosten. Doch Yazumins Absichten sollten dunkler sein als ihr langes Haar.

Bis zur späten Stunde stand sie in der Hüttenküche und bereitete den Jünglingen ihr letztes Mal zu. Voller Hass versetzte sie ihr knuspriges Gebäck mit tödlichem Gift. Das anmutige Mädchen hatte sich in ihrer Verachtung auf die beiden Möchtegernpoeten heimlich in eine boshafte Hexe verwandelt. In ihrem Wahn näherte sie sich dem Feuer, auf dem sie die köstlichen Güetzi backte, um mitzuerleben, wie ihr teuflischer Plan aufging. Immer näher rückte sie an die Flammen und heimtückische Freude überzog ihr erhitztes Gesicht. Doch plötzlich, während Yazumin noch voll dunkler Erregung auf die Güetzi starrte, fiel ein Feuerfunken auf eine ihrer Haarsträhnen. Ohne von ihr bemerkt zu werden, breitete er sich rasch aus und bald stand bald ihr halbes Haar in Flammen. Vor Schmerzen schreiend rannte sie in der Hüttenküche herum und stürzte sich im Todestanz von Wand zu Wand. Seera und die beiden Jünglinge wurden darob jäh aus ihrem Schlaf gerissen und als sie sich zu dritt zur Hüttenküche begaben, fanden sie nur die verbrannten Überreste Yazumins vor. In grosser Trauer begruben sie ihre geliebte Freundin hinter der Hütte im Wald. In ihr Grab legten sie ihren Pinsel und die Güetzi, die sie ihnen in ihrer Liebe hatte zubereiten wollen. Ihr Tod vereinte Seera und die beiden Jünglinge so sehr, dass sie sich dazu entschlossen, in Yazumins Andenken gemeinsame Werke zu veröffentlichen – Seera zeichnete fortan zu den Worten der Schreiberlinge. Nie erfuhren sie von den bösen Absichten ihrer damaligen Wegbegleiterin. In Gedenken an Yazumins Pinsel-Künste veröffentlichten sie ihre Texte unter dem Begriff, der ihre geschätzte Freundin am besten in Worte gefasst hatte: sehr guet.


Über die Plattform:

Auf der Text-Art-Plattform sehrguet.ch veröffentlichen Sven Schnyder und Tobias Imbach regelmässig Gedanken, Ideen und Fantasien in verschiedenen Textgattungen (von der Glosse über die Kurzgeschichte bis zum Fortsetzungsroman). Die Texte entstehen entweder in individueller Arbeit oder sind Resultat direkter Kollaborationen. Diese Zusammenarbeiten erfolgen je nach dem zeitgleich, zeitlich versetzt oder auf Kapitel/Abschnitte aufgeteilt. Zum Zeitpunkt des Webseiten-Launches stehen folgende Texte zur Lektüre bereit:

Windstille (Kapitel I) – Fortsetzungsroman, Tobias Imbach
Sollievo – Kurzgeschichte, Sven Schnyder
Bawler (Kapitel I, Teil der Orphans-Trilogie) – Fortsetzungsroman, Sven Schnyder und Tobias Imbach
Chursee – Kolumne, Sven Schnyder

Sarah Vettori versieht jeden der Texte mit Illustrationen, die in verschiedenen, zu den Texten passenden Stilen gehalten sind – so auch bei obigem Text. Dieser erklärt in Form einer Binnenerzählung, einer Geschichte in einer Geschichte, wie die Idee zu dieser Denk- und Schreibfabrik geboren wurde.

Kritik
von Tobias Imbach, Sven Schnyder und Sarah Vettori

Idee und Konzept (Tobias, Sven)

Inspiriert von unseren zwei Studienkolleginnen Sarah Vettori und Yasmine Sihite, die sich auf Instagram dreissig Tage lang eine Sketch-Challenge lieferten und jeden Tag eine Zeichnung veröffentlichten, beschlossen wir unsere Schreibskills zu schärfen, indem wir täglich an Texten arbeiten und diese online publizieren. Das Fach Schreiben & Sprechen unter Heiner Butz hatte uns beiden sehr am Herzen gelegen und den Wunsch geweckt, weiter frei zu schreiben, auch wenn es der Stundenplan nicht mehr erfordert.

Thematische oder stilistische Einschränkungen sollte es nicht geben, wir wollten uns alle Freiheiten lassen. Zudem interessierte uns der Aspekt des kollaborativen Schreibens. Ob dieses nun zeitgleich oder zeitlich versetzt erfolgen würde, liessen wir ebenfalls offen. In gemeinsamen Gesprächen legten wir die Hintergründe für zwei Kollaborativ-Projekte fest: eines soll in der Stadt Zürich spielen, ein anderes im Süden Frankreichs.

Darüber hinaus publizieren wir auf sehrguet.ch weitere Texte, unter anderem auch solche, die wir in den ersten beiden Semestern des Studiums unter Heiner Butz geschrieben haben. Die Plattform soll zudem auch offen für Gastbeiträge anderer Schreibbegeisterter sein, etwa Studienkollegen.

Fortan soll jede Woche ein neuer Text veröffentlicht werden.

Wahl und Gestaltung der Publikationsplattform (Tobias)

Als mögliche Instagram-Alternative für Autoren hätte sich facebook angeboten. Doch sobald wir mit dem Schreiben ihrer ersten Texte angefangen hatten, schien es durchaus angebracht, diese auf einer separaten Plattform zu veröffentlichen und Facebook oder Twitter stattdessen als Verbreitungskanäle zu verwenden.

Wir sicherten uns eine Domain, suchten auf Wordpress ein passendes Theme und modifizierten es nach unseren Wünschen. Zum Zeitpunkt des Webseiten-Launches ist von den verschiedenen Fortsetzungsgeschichten jeweils nur ein Kapitel publiziert. Bevor die nächsten Kapitel veröffentlicht werden, gilt es das Wordpress-Theme insofern weiter anpassen, dass die Anordnung der Kapitel bei Kategorienaufruf vom Leser selbst bestimmt werden kann. Er soll zwischen einer Sortierung von ‘älteste zuerst - Kapitel I, Kapitel II, ...’ oder ‘neueste zuerst - Kapitel V, Kapitel IV, …’ auswählen können. Aktuell wird immer der neueste Artikel an oberster Stelle angezeigt. Zudem würde es den Lesekomfort steigern, wenn in jedem Kapitel automatisch alle anderen vorhandenen Kapitel der Geschichte aufgelistet sind. Diese Möglichkeit muss ebenfalls noch von Hand coden, sobald eine Geschichte wie Windstille oder Orphans eine Fortsetzung erhält. Passende Widgets oder Plug-Ins, die diese Option bieten, haben wir leider noch nicht gefunden.

Ergänzung mit Illustrationen (Sven, Tobias)

Bei der Konzeptionierung wurde uns schnell klar, dass ein einfacher Schreib-Blog weder die Anforderungen für eine Publikation auf digezz.ch erfüllen, noch unseren eigenen Ansprüchen genügen würde. Erst versahen wir unsere Texte mit eigenen Fotos, die wir unseren Archiven entnahmen oder eigens für die Geschichten schossen. Diese Fotos kommen immer noch zum Einsatz, aber der Fokus beim begleitenden Bildmaterial sollte sich verlagern: Im Austausch mit Sarah und Yasmine entstand die Idee, unsere Geschichten mit stimmungsvollen Zeichnungen zu unterstützen. Sarah Vettori schloss sich kurz darauf dem Team an.

Illustrationsprozess – von der Idee zur Kreation (Sarah)

Wenn Sven oder Tobias einen Text abgeschlossen haben, geben sie ihn mir zum Durchlesen. Zusammen besprechen wir die Ideen für Illustrationen. Die Schwierigkeit für mich liegt darin, herauszuspüren, was sie für Bilder im Kopf haben. Stellen sie sich das Gleiche vor wie ich? Schwebt ihnen ein bestimmtes Sujet oder ein bestimmter Stil vor? Diese Ideen greife ich auf und entwickle sie weiter. Dazu gehört meist ein ausführlicher Rechercherprozess, wo ich Beispiele für meine eigenen Vorstellungen suche. Diese bespreche ich nochmals mit dem Autor und zeige auf, warum ein bestimmter Stil als Illustration für den Text geeignet ist. Bis jetzt funktioniert dieser Ablauf sehr gut. Dies ist unter anderem deshalb so, da Sven und Tobias sehr offen sind, was das Bebildern ihrer Texte angeht. Die Illustrationen setze ich mit meinem Wacom Intuos Pen & Touch im Photoshop um. Hier stellt mein Laptop die grösste Herausforderung dar: Der Screen ist oft zu klein, um sowohl Fenster mit Inspirationsbildern und gleichzeitig genug Zeichnungsfläche im Photoshop offen zu haben. Ohne Kauf eines neues Computers wird sich diese Problem in nächster Zeit kaum lösen. Das fertige Bild bespreche ich mit dem Autor des Textes. Werden Verbesserungsvorschläge angebracht, setze ich diese um, solange sie für mich vertretbar sind. Bis jetzt hat sich diese Arbeit jedoch in Grenzen gehalten.

Um meine Zeichnungsfähigkeiten stetig weiterzuentwickeln, versuche ich möglichst viele unterschiedliche Illustrationsarten zu verwenden. Natürlich muss der Stil zum Inhalt des Textes passen. Das Recherchieren nach Stilrichtungen und Künstlern, nach Trends und Farben nimmt manchmal fast so viel Zeit in Anspruch, wie die Umsetzung eines Bildes.

Die Möglichkeit für die Plattform sehrguet.ch zu zeichnen, dient mir  – abgesehen davon, dass es sehr viel Spass macht -  vor allem dazu, mich im Illustrieren zu verbessern. Ich sehe noch viel Luft nach oben und freue mich über Kritik und Inputs.

Das Google-Drive Ping-Pong-System (Sven)

Klingt komisch, trifft es aber am besten. Mindestens eine der Fortsetzungsgeschichten sollten durch gemeinsames zeitgleiches Schreiben entstehen - dieses Vorhaben stand schon ganz zu Beginn. Google bietet mit seinen Google Docs/Google Drive ein Werkzeug, das gleichzeitiges Bearbeiten eines Dokuments erlaubt. Wir wussten, am Programm scheitert diese Idee also nicht. Aber als wir das erste Mal zusammen auf der Terrasse des Café Maron sassen, hatten sowohl Tobias als auch ich vor dem ersten Wort ein wenig Bedenken, ob diese Idee über eine Seite stand hält. Zwei gute Musiker, die kein Gehör für einander haben, will auch jeder eher einzeln anhören. Schnell zeigte sich aber, dass unser erstes Gefühl uns nicht täuschte und wir als Autoren trotz aller Gegensätze gut miteinander harmonieren, wodurch dieser Schreibprozess sehr spannend wurde. Manchmal schreiben beide am gleichen Satz, ein andermal schreibt jeder einen kleinen Abschnitt. Was immer gleich ist, sind die Diskussionen und Besprechungen über Plot, Wörter, Satzstellungen und Seele der Geschichte - die uns beiden und jedem einzeln zu mehr Qualität verhelfen.

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