Sexy oder sexistisch?

Wann ist Werbung sexistisch? Wann einfach sexy? Diese Frage stellt sich aktuell überall, wenn man mit offenen Augen durch die Strassen von Bern oder Zürich geht. Unterwäsche-Models blicken von riesigen Plakaten lasziv auf einen herunter, ausgehungerte Körper fordern uns dazu auf unseren “sexy” zu “sharen”, was auch immer damit gemeint ist: Es ist Weihnachtszeit. Und damit Hochkonjunktur für Unterwäsche-Werbung. Der richtige Moment also, um geschlechterdiskriminierende Werbemechanismen zu entlarven.

Sexy ist nicht gleich sexistisch. Sexistisch ist eine Werbung dann, wenn sie Geschlechter auf stereotype Weise darstellt, wenn sie Unterwerfung als tolerierbar zeigt oder wenn eine Person als rein dekorativer Blickfang inszeniert wird. So sagen es zumindest die Kriterien der eidgenössischen Lauterkeitskommission. Sie ist das Selbstregulierungsorgan der Werbebranche und Beschwerdestelle bei sexistischer Werbung in der Schweiz.

Aber wo liegt denn das Problem? Wen sexistische Werbung stört, soll doch einfach wegschauen, so ein oft angeführtes Argument in der Debatte um sexistische Werbung. Doch so einfach ist es nicht, denn Werbung wirkt subtil: Die Bilder, die täglich auf uns einprasseln, konstruieren und verfestigen Geschlechterstereotype nachweislich. Wenn Frauen auf Plakaten und im Fernsehen ständig als shoppingsüchtig oder technisch unbegabt dargestellt werden, prägt dies das gesellschaftliche Bild der Frau nachhaltig. Genau so gilt für Männer: Stark und leistungsfähig muss Mann sein. Allzeit bereit seine Potenz unter Beweis zu stellen, wenn nötig mittels Gewalt.

Bilder mit ernsthaften Folgen

Sexistische Werbung führt dazu, das Menschen sich ‘von aussen’ zu betrachten beginnen. Man nennt das Phänomen Selbst-Objektvierung. Und das wiederum steht in direktem Zusammenhang zu psychischen Folgen wie Essstörungen, Depressionen oder Körperscham. Wenn nämlich von allen Seiten her Körper-Schönheitsideale vermittelt werden, die kaum je real zu erreichen sind, so kann das immense negative Folgen für die Psyche (meist) junger Frauen haben. Weiter ist es sehr eindrücklich zu erfahren, dass eine Frau im Schnitt alle 30 Sekunden (!) überprüft wie sie aussieht, ob die Haare noch sitzen oder wie ihre Beine arrangiert sind. Das dabei ein grosser Teil der Aufmerksamkeit und Denkleistung verpufft bleibt nicht ohne Folgen: So schneiden Studien zufolge stark selbst-objektivierte Leute deutlich schlechter ab in Prüfungssituationen und trauen sich weniger politische Einflussnahme und Führungsfähigkeiten zu. Wundert sich da noch jemand ob einem Frauenanteil von 9.1% im Topmanagement von Schweiz Firmen? Wohl kaum.

All diese Fakten sind seit langer Zeit bekannt. Und trotzdem bleibt der öffentliche Aufschrei aus, wenn die nächste Garde von Magermodels die neueste Winterkollektion präsentiert oder Victoria’s Secret zur aktiven Teilnahme am Schlankheitswahn aufruft. Ändern können dies vor allem Werbetreibende in der Schweiz. Sie entscheiden, welche Bilder und Ideale auf Plakaten und in Spots zum Einsatz kommen. Doch solange der Umsatz unter Einsatz von nackter Haut und stereotypen Bildern so einfach zu holen ist, wird sich daran kaum etwas ändern. Hier käme die Lauterkeitskommission ins Spiel. Sie ist die Instanz die Werbetreibende rügt, wenn eine Werbung als sexistisch eingestuft wird. Doch offenbar hat die Selbstregulierung versagt: Von dreizehn Beschwerden wegen geschlechterdiskriminierender Werbung wurden letztes Jahr neun abgelehnt, auf vier wurde nicht eingetreten. Der Grund dafür sind die Kriterien, wonach sexistische Werbung beurteilt wird. Sie sind lassen viel Spielraum für Interpretation. Zu viel.

Was ist sexistisch?

Ein anschauliches Beispiel liefert ein Zürcher Plakat für Sitz- und Liegemöbel mit einer lasziv blickenden Frau auf Sofas. Das Plakat trägt die Überschrift “Verführung”. Hier wies die Kommission die Beschwerde ab. Als Begründung führte sie an, die Frau sei schliesslich bekleidet und wirke selbstsicher. Dies ist nur eines unter vielen Exempeln das deutlich zeigt, dass die Kriterien nicht ausreichend detailliert formuliert sind. Doch wann ist Werbung denn tatsächlich sexistisch? Ich habe im Auftrag der NGO TERRE DES FEMMES Schweiz Kriterien erarbeitet, die eine Antwort auf diese Frage geben sollen.

Bei der Beurteilung einer Werbung ist es wichtig, dass sie in ihrer Gesamtheit betrachtet wird. Das heisst es reicht nicht zu schauen, ob jemand nackt oder angezogen abgelichtet wurde. Wichtig sind immer auch der Kontext und die verwendeten Stilmittel. Das heisst:

  1. Wo wird die Werbung gezeigt? Folgendes Beispiel wäre andernorts unter Umständen weniger drastisch. Die Werbung aber dort zu platzieren wo bis vor kurzem der Zürcher Strassenstrich war, ist schlichtweg herablassend und stigmatisiert eine ohnehin diskriminierte Berufsgattung weiter.

 

Plakatwerbung Dezember 15, Facebook.com

2.  Welche Kameraperspektive wird verwendet? Je nachdem ob Frosch- oder Vogelperspektive werden Leute vor der Kamera geschwächt oder gestärkt.

Online-Werbung, faktenkontor.de

3. Wie sind die Objekte im Bild positioniert? Fast alle Objekte die zwischen Beine, Zähne oder in den Mund genommen werden rufen sexuelle Assoziationen hervor.

Plakatwerbung, allesevolution.files.wordpress.com

Weitere Kriterien zur Beurteilung sexistischer Werbung

1. Geschlechterklischees

  • Frauen sind zickig, shoppingsüchtig, technisch unbegabt oder sehr emotional
  • Männer sind rational, unsensibel, triebgesteuert oder einfach gestrickt

 

Plakatwerbung, werbewatchgroup-wien.at

Plakatwerbung, watchgroup-sexismus.at

2. Darstellung in Arbeits- und Privatleben

  • Männer arbeiten (Familienernährer), Frauen beschäftigen sich (Zuverdienerin)
  • Frauen stets in haushaltsnahen Tätigkeiten: Es wird vermittelt dass Frauen in der Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau ihre natürliche Erfüllung finden
  • Männer tauchen als Experten auf oder sind Ingenieure, Techniker und Führungspersonen
  • Freizeit von Frauen besteht aus Shopping, Schönheit und Kaffeklatsch
  • Männer treiben in ihrer Freizeit Sport, erholen sich vom Arbeitsalltag oder widmen sich der Familie

 

Plakatwerbung 2011, ich-mach-mir-die-welt.de/

Inserat, electrolux.com

Plakatwerbung, jvm.ch

3. Sexualisierung und Gewalt

  • Frauen und Männer werden auf ihre Sexualität reduziert
  • Frauen werden als Konsumartikel dargestellt, Männer als triebhafte Tiere
  • Nur Teile von Körper werden gezeigt (meist Beine oder Brüste)
  • Brutales, aggressives oder asoziales Verhalten wird dargestellt oder es wird dazu aufgerufen
  • Gewaltbereitschaft wird für Männer und Unterwerfung/Duldung für Frauen als wünschenswert inszeniert

 

Plakatwerbung, blick.ch

Plakatwerbung, lol.de

Plakatwerbung, brigitte.de

4. Schönheitsideale und Körpersprache

  • Frauen sind jung, extrem schlank, weisshäutig, langhaarig, kleinkindhaft
  • Männer sind stark, muskulös, reif, markig, omnipotent
  • Schönheit ist herstellbar/machbar und scheint wichtig für Erfolg, Karriere oder ein erfülltes Leben
  • Männer lachen selbstbewusst, selbstzufrieden, stark und überlegen
  • Frauen lächeln unschuldig, unterwürfig, freundlich und verlegen

 

Plakatwerbung, blogrebellen.de

Plakatwerbung, werbewatchgroupwien.at

Plakatwerbung, pinkstinks.de

Plakatwerbung, blick.ch

Rollentausch

Die Beispiele illustrieren die Bandbreite sexistischer Werbung und ihre Facetten anschaulich. Wenn sich die Frage stellt, ob eine Werbung sexistisch ist oder nicht lässt sich oft eine sehr einfache ‘Prüfmethode’ anwenden: der Rollentausch. Man stelle sich die dargestellte Person im anderen Geschlecht vor. Wirkt die Abbildung absurd, unpassend oder lächerlich? Dann ist die Chance gross, dass eine geschlechterdiskriminierende Werbung vorliegt. Hier einige Beispiele:

Original, newsnetz.ch

Fake, woz.ch

Original oben, Fake unten, goodstatic.com

Links Original, rechts Fake, kcci.com

Links Original, rechts Fake, loyoladigitaladvertising.com

Links Orignial, rechts Fake, alistdaily.com

Die Beispiele zeigen, dass bei der Beurteilung von Werbung viel Tiefenschärfe gefragt ist. Erst wenn wir Sexismus aus unserer Gesellschaft verbannen, wird tatsächliche Gleichstellung aller Geschlechter möglich sein.

Mehr Informationen zu sexistischer Werbung, deren Auswirkungen sowie Möglichkeiten sich dagegen zu wehren sind hier zu finden: www.sexismus.ch

Kritik
von David Gerber

Ausgangslage und Idee

Von Juli bis Dezember 2015 war ich bei der NGO Terre des femmes Schweiz (TDF) als Projektleiter angestellt. Die Organisation setzt sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen in der Schweiz ein. Ich wurde damit beauftragt, eine Kampagne gegen sexistische Werbung in der Schweiz zu lancieren. Folgende Vorgaben wurden mir gemacht:

  1. Budget CHF 2'000- darf nicht überschritten werden (externe Kosten)
  2. Visual soll sich von bestehenden Layouts abheben aber den Anschluss an TDF nicht verlieren
  3. Primärzielgruppe sollen junge Medienkonsument_innen der Schweiz sein

Ansonsten war ich komplett frei in Konzeption und Umsetzung. Nach ausführlicher, wochenlanger Recherche über sexistische Werbung in der Schweiz, habe ich mich entschieden den Fokus der Kommunikation auf den Aspekt "Gesundheit" zu legen. Denn die gesundheitsschädigenden Folgen sprechen eine deutlich grössere Zielgruppe an, als beispielsweise die Gleichstellung der Geschlechter. Zudem wurde dieser Aspekt in der Schweiz noch nie öffentlich beleuchtet.

Konzeption

Meine SWOT- und Stakeholder-Analyse ergabt folgendes Fazit:

Es stehen sehr wenige Ressourcen bei gleichzeitig geringem öffentlichem Interesse zur Verfügung. Die Betroffenheits-Hürde ist hoch, das persönliche Involvement der breiten Öffentlichkeit gering, die Thematik in Bezug auf Erklärungsbedarf komplex. Diese Ausgangslage bedingt einen extrem konzentrierten Mitteleinsatz, möglichst wenig Streuverlust sowie eine Reduktion des Wirkungskreises auf die relevantesten Stakeholder.

Kampagnenziele:

  1. Hauptziel: Aufklärung und Sensibilisierung der Rezipient_innen auf sexistische Werbung (SeWe) und deren Folgen
  2. Nebenziel: Anschub der Debatte über SeWe in Schweizer Medien (On- und Offline), angeführt durch TDF (Bekanntheit)

Kommunikationsziele:

  1. Wissen: Primärzielgruppe kennt die negativen Auswirkungen von SeWe und deren Folgen
  2. Wissen: Primärzielgruppe kennt ihre Möglichkeiten zur Intervention gegen SeWe
  3. Wissen: Primärzielgruppe erkennt SeWe als das
  4. Einstellung: Primärzielgruppe lehnt SeWe ab / ist dieser gegenüber negativ eingestellt
  5. Verhalten: Primärzielgruppe meldet SeWe bei TDF oder der Lauterkeitskommission

Copyplattform

  1. Stil / Tonalität: Der Ton der Kampagne soll frisch und unverkrampft sein. Die Botschaften sollen die Empfänger_innen direkt und niederschwellig ansprechen. Es soll dazu eine einfache, verständliche Alltagssprache verwendet werden.
  2. Hauptbotschaft: Sexistische Werbung schadet der Gesundheit
  3. Nebenbotschaft: Mehr Infos Online
  4. Kernaussage: Sexistische Werbung schadet
  5. Einzelaussagen: Non-Sensevergleiche (s. Werbemittel)

Mediastrategie

Kernstück der Kampagne bildet eine Website, die Besucher_innen über die Folgen von sexistischer Werbung aufklärt, zum Mitmachen dagegen auffordert und die politischen Forderungen von TDF portiert.

Aufmerksam auf die Website soll die Zielgruppe über eine Facebook-Kampagne, Aufkleber, Flyers und Bierdeckel werden.

Timing: Die Kampagne soll vom 2. November bis 13. Dezember 2015 umgesetzt werden.

Umsetzung

Key-Visual

Ich erstellte diverse Vorschläge für Key-Visuals, die ich dann der Geschäftsleitung und der Kommunikation zur Auswahl stellte. Umgesetzt wurde schliesslich ein Key-Visual, der einerseits die  Corporate Color der Organisation enthält und schwach im Hintergrund das Logo verwendet wird.

Website (www.sexismus.ch)

Die Hauptschwierigkeit bei der Konzeption der Website war das Spannungsfeld zwischen Informationstiefe/Komplexität und Reduktion/attraktive Darstellung der Infos. Ich entschied mich hier für verlinkte Studien um meine Aussagen zu unterstreichen und einfache Bilder mit Mouse-Over-Texten und Quellen für vertiefte Infos.

Als Grundgerüst verwendete ich ein Bootstrap One-Page-Template das ich massiv umbaute und mit eigenem Layout und meinen Grafiken befüllte.

Wichtiger Bestandteil sind die Kriterien sexistischer Werbung die ich als printfähiges PDF gestaltet habe.

Werbemittel

Folgende Print-Werbemittel habe ich anschliessend erstellt:

  1. Flyer A6
  2. Aufkleber 1 und 2
  3. Bierdeckel
  4. Füllerinserate CMYK
  5. Füllerinserate B/W

Für Facebook habe ich separate Leaderboards erstellt.

Einsatzplanung

  1. Für Druck und Verteilung der Flyer schloss ich eine Medienpartnerschaft mit der alternativen Promotionagentur 'passiv attack' ab. So konnte ich Konditionen aushandeln, die den Budgetvorgaben entsprechen. Die Verteilung/Auflage der Flyer erfolgte in den fünf grössten Deutschschweizer Städte während 4 Wochen.
  2. Für den Einsatz der Bierdeckel akquirierte ich in Basel, Bern, Luzern, Zürich je rund zehn grössere Restaurant-Betriebe die die Bierdeckel während 4 Wochen einsetzten.
  3. Die Füllerinserate verschickte ich zweimal an alle Deutschschweize Printmedien
  4. Die Aufkleber wurden via private Netzwerke verteilt
  5. Die Facebook-Kampagne lief während zwei Wochen
  6. Die Medienmitteilung verschickte ich am Montag 2. November 15

Erfolgsmessung

  1. Alle externen Kosten zusammen hielten die Budgetvorgaben ein
  2. Die SDA verfasste aus der Medienmitteilung einen Bericht mit 1500 Zeichen und Bild. Dieser wurde von den den Online-Meiden stark verbreitet
  3. 17 Online-Berichte wurden publiziert, 20min druckte eine Meldung im nationalen Teil ab und eine BAZ-Kommentatorin fühlte sich veranlasst sich darüber zu mockieren
  4. Die WOZ widmete ihren Themenschwerpunkt der Ausgabe vom 03.12.15 dem Thema sexistische Werbung (4 Seiten Reportage und Fotoshooting)
  5. Von Radio RaBe wurde ich zweimal interviewt (Kultur und Information)
  6. Die Online-Ausgaben der Werbewoche und Persönlich berichteten ebenso über die Kampagne wie Cash Online und die Süddeutsche Online
  7. Füllerinserate wurden mindestens 8 Mal abgedruckt
  8. Die Webseite wurde während der sechs Wochen von total ca. 4800 Unique Usern besucht mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 92 Sekunden, was auf eine hohe Readerqualität hinweist
  9. Der Kriterienkatalog wurde über 580 Mal heruntergeladen
  10. Die Facebook-Kampage verlief plangemäss (über 10'000 Page-Impressions, über 500 Webseitenklicks aus der Primär-Zielgruppe)

 

Reflexion

Es war für mich eine sehr spannende Erfahrung eine kleine politische Kampagne von A bis Z vollständig alleine durchzuführen. Die grösste Herausforderung war dabei die Einhaltung des doch sehr kleinen Budgets. So war viel Kleinstarbeit nötig (Klinken-Putzen bei Restaurants) und auch mein privates Netzwerk habe ich für Unterstützung angezapft (Aufkleber verteilen).

Optimieren liessen sich bestimmt die Werbemittel: Hätte ich die finanzielle Möglichkeit gehabt, mit der eine_r Grafiker_in zusammen zu arbeiten, dann hätte ich die Werbemittel nicht auch selbst erstellen müssen und sie wären entsprechend prägnanter und bestimmt bildhafter herausgekommen.

Bezüglich Medienarbeit: Hier würde ich einzelne Medien vorab 'exklusiv' angehen und mit Infos versorgen, damit die quasi einen 'Primeur' bringen könnten. Dafür war ich hier zu spät.

Alles in allem bin ich sehr zufrieden mit dem Ergebnis der Kampagne, v.a. wenn man die Kosten und personellen Ressourcen (ich allein) in Betracht zieht. Zudem konnte ich viele der neu erworbenen Multimedia-Skills einsetzen (Bootstrap, Adobe Creative Suite, Typographie, Mediengestaltung etc.) um die Kampagne zu gestalten.

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