Panzer im hohen Gras

Unter Lebensgefahr – Freelance-Journalisten in Syrien

Seit dem Beginn der Revolution in Syrien Anfang 2011 sind rund 100’000 Zivilisten ums Leben gekommen, darunter auch mindestens 63 Journalisten. Mitten im täglichen Chaos zwischen den verfeindeten Gruppen der Aufständischen und der regulären staatlichen Armee befinden sich auch etliche Journalisten. Viele davon arbeiten als Freelancer unter sich ständig verschlechternden Bedingungen.

Sie arbeiten unter Lebensgefahr: Freelance-Journalisten in Krisengebieten wie Syrien.
Als eigenständige und anerkannte Journalisten liefern sie die Nachrichten für unsere Zeitungen, Fernsehstationen und Radiosender. Besonders im englischen Sprachraum haben Freelance-Journalisten einen hohen Stellenwert und hatten bislang keine grossen Probleme ihre Stories zu verkaufen.

Diese Situation veränderte sich jedoch mit dem Tod der erfahrenen Krisenjournalistin Marie Colvin. Am 22. Februar 2012 kam Colvin in der syrischen Stadt Homs unter Artillerie-Beschuss und wurde getötet.
Ihr damaliger Auftraggeber Sean Ryan von der Sunday Times erinnert sich: „Sie war gut vorbereitet, erfahren und hatte das richtige Equipment. Nach ihrem Tod haben wir uns entschieden, unsere Freelancer-Politik zu straffen.“ Freelancer würden immer öfters bewusst hohe Risiken in kauf nehmen, um eine waghalsige Story verkaufen zu können, so Ryan.
Diese Faktoren führten dazu, dass die Sunday Times keine Stories von unbekannteren Freelance-Journalisten mehr bezog. Stories von Freelancer wurden nur noch gekauft, sofern die Journalisten sehr erfahren und fähig waren die Situationen zu dominieren.

Die Sunday Times war nicht das einzige Medium, welches sich entschied eine solche Politik durchzusetzen. Auch die BBC, der Guardian und der Independant zogen mit.
Allerdings warfen viele dieser Medienhäuser ihre Politik gegenüber Freelance-Journalisten wieder über Bord, als erste Berichte von Giftgas-Angriffen die Runde machten.

Dass die ganze Situation von einer gewissen Doppelmoral seitens der Medienhäuser geprägt ist, sagt auch Fabio Bucciarelli, welcher als freischaffender Fotograf den Konflikt dokumentiert. „Die meisten Informationen sind von Freelancern.“ Die grösseren Agenturen wie AP oder FP würden meist mit Freelance-Journalisten zusammenarbeiten und die Informationen nach Einkauf an die Medienhäuser weiterverkaufen, so Bucciarelli.

Die Medienhäuser kaufen also trotz ihrer Politik gegenüber Freelance-Journalisten auf indirektem Weg Informationen, welche aus der Produktion der gemiedenen Berufsgruppe stammt.
Entscheidend ist dabei, dass die Medienhäuser keine Verantwortung für den Verbleib der Journalisten im Falle einer Entführung oder deren Tod tragen. Somit können erhebliche Kosten eingespart werden.

Emma Beals, freischaffende Journalistin, ergänzt: „Wenn die Medienhäuser mehr bezahlen würden, könnte mehr Sicherheit für die Freelance-Journalisten erreicht werden. Als freischaffender Journalist fällt man im Falle einer Entführung in ein schwarzes Loch. Es gibt niemanden, der nach dir sucht oder für die Rettung aufkommt.“

In der Schweiz arbeiten die grösseren Medienhäuser mit einem Korrespondenten-Pool. So teilen grosse Zeitungen wie die Neue Zürcher Zeitung oder der Tagesanzeiger ihre Korrespondenten mit vergleichbaren Blättern in Deutschland. Die Korrespondenten sind im Gegensatz zum englischsprachigen Raum festangestellt und geniessen den vollen Schutz einer Versicherung und Altersvorsorge.
Trotz der sich ständig verschlechternden Ausgangslage für freischaffende Journalisten bleiben viele der Journalisten in diesem Bereich tätig.
Oder um es mit den Worten von Marie Colvin zu sagen: „Jemand muss dorthin gehen und sehen, was passiert. Du kannst diese Informationen nicht erhalten ohne an Orte zu gehen, wo Menschen aufeinander schiessen und auch auf dich schiessen werden. Die wahre Schwierigkeit ist es, genug Vertrauen in die Menschlichkeit zu haben um zu glauben, dass sich genügend Menschen – sei es die Regierung, das Militär oder der Mann auf der Strasse – dafür interessieren, wenn dein File die gedruckte Seite, die Homepage oder den Fernseh-Bildschirm erreicht.
Wir haben dieses Vertrauen weil wir glauben, dass wir einen Unterschied machen.“

 

Quellen: Interview mit Marius Hagger (Tamedia), Committee to protect Journalists, The Guardian