VERTIGO

Vielleicht bist du auch schon einmal im Kinosessel gehangen und plötzlich überkommt dich wegen einer kurzen Szene im Film ein mulmiges Gefühl. Nicht, weil in Saw wieder einmal ein Körperteil einen getrennten Weg gehen musste, oder weil James Bond’s Eier unangenehm massiert worden sind. Das mulmige Gefühl kann entstehen, wenn sich der Hintergrund einer Szene plötzlich auf seltsame Art und Weise verschiebt. Wenn er wächst oder schrumpft, ohne dass sich der Vordergrund gross zu bewegen scheint.

Dieser Effekt wurde das erste Mal von Alfred Hitchcock angewendet, und durch den Film «Vertigo» aus dem Jahr 1958 weltberühmt. Seit jenem Film wird der Effekt, der sich eine optische Täuschung zu Nutze macht, und nur mit grossem Aufwand erstellt werden kann, vielfach als «Vertigo-Effekt» bezeichnet. Offiziell heisst er «Dolly-Zoom» und wurde in Filmen eingesetzt, um eine bewusste Emotion wie Schrecken oder Angst des Protagonisten, verstärkt darzustellen. (Hier ein Video mit einigen Beispielen)

Das Besondere an dem Effekt ist, dass er sich auch im Computerzeitalter nur manuell vor Ort herstellen lässt. Dabei wird die Kamera in eine Richtung bewegt, und gleichzeitig in die entgegengesetzte Richtung gezoomt. Gleichzeitig gilt es, das Objekt im Vordergrund scharf, zentriert und immer gleich gross zu halten. Da die zwei Bewegungen exakt aufeinander abgestimmt sein müssen, und auch die Schärfe nicht verloren werden darf, gilt der Effekt in der Filmbranche als schwierig und wurde nur von «sehr erfahrenen Regisseuren eingesetzt.» Grund genug, uns einen Nachmittag lang voll und ganz mit dem Dolly-Zoom auseinander zu setzen, und so nah wie möglich an jene grossen Regisseure, beziehungsweise deren Kameramänner, heranzukommen.

(mm)

Kritik
von Fabian Rymann und Gregor Juon

Fazit:

Der Effekt wird im Internet als schwierig bezeichnet und er war tatsächlich ziemlich schwierig. Sehr schwierig sogar.

Kamerafahrt

Einer der drei Hauptbestandteile des Dolly-Zooms ist eine Kamerafahrt. Dafür stand uns die Dolly aus der Ausleihe zur Verfügung. Wir hatten mit den Schienen einige Schwierigkeiten, da sich diese unter den Rädern zu drehen schienen. Auch stellte sich heraus, dass die Realisierung des Effekts ziemlich viel Platz benötigt. Schliesslich soll der Hintergrund klar vom Objekt im Vordergrund getrennt sein. So kam es, dass wir die Schienen diagonal im Studio verlegten und die Enden aus der Tür ragten. Nach einigen Versuchen merkten wir, dass die Geschwindigkeit der Kamerafahrt bei einer regelmässigen Zoombewegung nicht konstant sein durfte. Je näher die Kamera dem Objekt kam, desto langsamer musste die Bewegung werden. Alles in allem war jedoch die Kamerafahrt die kleinste Herausforderung. Jemand zog/stiess die Dolly und jemand bediente die Kamera.

Zoom

Der zweite wichtige Bestandteil des Vertigo-Effekts ist der «Zoom-in» oder «Zoom-out». Wie im Video erklärt montierten wir zuerst den Follow-Focus am Zoom-Ring des Objektives. Wir dachten, so wäre es am einfachsten die smoothe Zoombewegung hinzukriegen. Falsch gedacht. Die Drehung am Ring übertrug sich zwar 1:1 auf den Zoom-Ring des Objektivs, doch das Ganze war viel zu unregelmässig. Mal war die Drehung, beziehungsweise die Zoomgeschwindigkeit zu schnell und mal zu langsam. Die Bewegung hatte ja nicht nur regelmässig zu sein, sondern musste exakt auf die Kamerafahrt abgestimmt werden. In einem zweiten Versuch benutzten wir die kamerainterne Zoomfunktion, welche über den Regler auf der Oberseite der SonyFS5 bedient werden konnte. Nachdem wir die Zoomgeschwindigkeit auf ein Minimum heruntergesetzt hatten, war es uns möglich eine langsame und gleichbleibende Zoombewegung zu realisieren. Jemand bediente mit einem Finger vorsichtig den Regler und der andere zog/stiess die Dolly. Schlussendlich hatten wir Glück, dass die Kamera solch einen Regler eingebaut hat. Mit einer DSLR/DSLM, bei welcher man den Zoom alleine über den Zoom-Ring am Objektiv bedienen kann, wäre der Vertigo-Effekt in dieser Art nicht umsetzbar gewesen.

Fokus

Zu guter Letzt hatte das Objekt im Vordergrund stets scharf zu sein. Bei unserem Versuch die Schärfe mit dem Follow-Focus zu ziehen, scheiterten wir kläglich. Vielleicht wäre es für eine geübte Hand möglich gewesen, doch durch die sich ständig verändernden Parameter - Abstand und Zoom - verloren wir die Schärfe immer wieder. Wenig hilfreich war, dass der externe Monitor immer wieder den Geist aufgab und wir auf dem kleinen Bildschirm der Kamera die Schärfe kontrollieren mussten. Schliesslich legten wir den teuer gemieteten Follow-Focus zur Seite, da er weder für den Zoom noch für den Fokus zu gebrauchen war und liessen die Kamera den Fokus selbst regeln. Der Autofokus der FS5 rettete uns in dieser Hinsicht den Tag. Wir mussten das Tempo der Kamerabewegung zwar etwas drosseln damit der Fokus nicht verloren ging, doch war es ja sowieso nicht unser Ziel, mit der Dolly durch die Gegend zu rennen. Mit zwei Klicks am Computer konnten wir die Bewegung nachträglich ein wenig beschleunigen.

Nachbearbeitung

Trotz unseren Bemühungen am Set war keine Aufnahme wirklich perfekt. So mussten wir die Sache etwas stabilisieren. Da der «Warp-Stabilizer» anscheinend nicht für diesen Effekt erschaffen wurde und vom sich verändernden Hintergrund heillos verwirrt war, mussten wir die Früchte Frame für Frame von Hand an Ort und Stelle rücken. Bis wir am Ende merkten, dass es der «Motions-Stabilizer» von After Effects besser hinkriegte als unsere Handmade-Korrektur. Vorsorglich hatten wir alles in 4K gefilmt, sodass wir das Bild ohne Qualitätsverlust etwas aufziehen konnten.

Unsere Learnings

  • Nicht ohne eine Kamera mit Zoom-Regler!
  • Nur mit einer Kamera mit guter Autofokus-Funktion!
  • Nur bei viel - sehr viel Zeit! Am besten ohne Schauspieler. Die Früchte werden schrumplig. Die Schauspieler irgendwann hässig. Oder man ist ein Kameramann von Alfred Hitchcock und hats einfach im Griff.

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