Der Arbeitstag von Corina Borer beginnt selten vor 9 Uhr morgens. Dann findet in der Tele M1 Redaktion im AZ Medienhaus in Aarau die tägliche Redaktionssitzung statt. Corina ist 25 Jahre alt, hat Journalismus studiert und arbeitet seit zwei Jahren als Videojournalistin beim Aargauer Regionalsender. Ein Job, den sie gerne und mit viel Leidenschaft ausübt.
Um herauszufinden, was denn ein Videojournalist den ganzen Tag so macht, habe ich bei Tele M1 angefragt, ob ich einen VJ einen Tag lang bei der Arbeit begleiten dürfe. Corina hat sich freundlicherweise gerne zur Verfügung gestellt. So tauche ich kurz vor 9 Uhr mit meiner Kamera im AZ Medienhaus auf und lerne die ersten Reporter und Redakteure kennen. Ich falle nicht weiter auf mit meiner Kamera, könnte genau so gut einer der VJs sein. Erst als ich die Kamera zum ersten Mal auf Corina richte, kommen einige fragende Blicke in unsere Richtung. Schliesslich ist es nicht gerade üblich, dass ein VJ wie Corina vor statt hinter der Kamera steht.
Jobangebot bei der Redaktionssitzung
Kurze Zeit später sitze ich mit den VJs und dem Tageschef an einem Tisch. Er stellt mich vor und bereits erhalte ich ein halbernst gemeintes Jobangebot vom Ausbildungschef. VJs sind scheinbar sehr gefragt. Ob ich nicht gleich bei ihnen einsteigen wolle. Ich lehne dankend ab und meine, dass ich erst mein Studium abschliessen wolle. Dann solle ich mich doch in einem Jahr nochmals melden, wird mir aufgetragen.
Dann geht es zurück zum Tagesgeschäft. Mögliche Themen für die Newssendung “Tele M1 Aktuell” um 18 Uhr werden diskutiert. Corina hat einen Tipp erhalten, dass eine gefährliche Raupe in der Gegend ihr Unwesen treibt. Wie gefährlich kann eine Raupe schon sein, denke ich mir. Nicht gerade die spannendste Story. Aber das ist nun mal das, was die Zuschauer eines Regionalsenders sehen wollen. Nicht dass ihr Garten am Ende von so einem Ungeziefer zerstört wird und niemand hat sie gewarnt.
Breaking News: Blocher tritt zurück!
Corina macht sich also an die Recherche für diese Story während ich neben ihr sitze, die Kamera stets auf sie gerichtet, um ja keinen entscheidenden Anruf zu verpassen. So richtig zum Laufen kommt die ganze Sache noch nicht, aber Corina ist gekonnt dabei, sich etwas aus den Fingern zu ziehen. Etwas neidisch verfolge ich mit einem Auge die Geschehnisse im Hintergrund. Da scheint plötzlich grosser Aufruhr zu herrschen. Christoph Blocher tritt als Nationalrat zurück, höre ich diskutieren. In dem Moment surren Corinas und mein Handy beinahe gleichzeitig und bestätigen die Meldung. Na das wäre ja einiges spannender für meine Reportage als diese Raupe, denke ich mir. Allerdings scheint Corina die VJs nicht zu beneiden, die jetzt in hellem Aufruhr versuchen, Interviewtermine zu vereinbaren und wie von der Tarantel gestochen aus der Redaktion stürmen. Da hat sie es doch einiges gemütlicher.
Gegen Mittag habe ich mehr als genügend Aufnahmen von Corinas Recherche im Kasten und wir machen uns endlich auf den Weg zu einigen Interviewterminen. Auf einer Autobahnraststätte essen wir zu Mittag und unterhalten uns über unsere Ausbildungen. Ich würde gerne wissen, wie sie zu der Stelle bei Tele M1 gekommen ist und was sie für ihre Zukunft geplant hat. Sie fragt mich über meinen Studiengang aus.
Nach dem Essen folgen einige Interviewtermine. Sie filmt ihre Interviewpartner. Ich filme sie wie sie ihre Interviewpartner filmt. Einige schauen etwas komisch, als wir mit zwei Kameras auftauchen. Corina lässt sich von mir aber nicht aus dem Konzept bringen. Schliesslich weiss sie genau, wie so etwas abläuft.
Wenn die Mutter anruft
Wir machen eine regelrechte Rundreise durch die Kantone Aargau und Solothurn. Aarau, Egerkingen, Härkingen, Olten… Corina erzählt mir, dass sie viel herum kommt und sich in der Gegend fast schon besser auskennt als in ihrer Heimat Basel. Zwischendurch klingelt immer wieder ihr Handy. Der Tageschef will wissen wie sie voran kommt. Er sei immer so nervös, dass etwas nicht klappe, erklärt sie mir. Daher die vielen Anrufe, die fast an Kontrollanrufe einer besorgten Mutter erinnern. Sie beruhigt ihn stets mit einer Gelassenheit, die ich faszinierend finde.
Ob sie immer so locker sei, frage ich sie. Ob sie nie Angst habe, den Sendetermin um 18 Uhr zu verpassen. Sie sagt, darüber mache sie sich keine Sorgen. Ich gebe mich nicht zufrieden und frage was denn passiere, wenn ein grosser Stau es unmöglich macht, rechtzeitig in die Redaktion zurückzukommen. Sie lächelt und sagt, dann sei das eben so. Ändern könne man es sowieso nicht.
Viel Dreck und eine rebellische Kuh
Heute läuft aber alles glatt. Um 16 Uhr sind wir zurück in der Redaktion und Corina sagt mir, dass das mehr als genügend Zeit sei, um ihren Beitrag fertigzustellen. Da habe sie schon ganz anderes erlebt. Eine ihrer Kolleginnen kommt auch gerade an und erzählt, wie sie heute bis zu den Knien in Dreck watend auf einer Weide eine Kuh filmen musste, die vor einigen Tagen ausgebrochen und für Unruhe gesorgt hatte. Da hatten wir es doch einiges angenehmer. Auch vom Stress rund um Christoph Blochers Rücktritt nehmen wir nur am Rande Notiz. Corina ist konzentriert dabei, ihren Beitrag zu schneiden. Man merkt, dass sie dies schon hundertmal gemacht hat. Nebenbei nimmt sie sich auch noch Zeit, um einem Praktikanten zu helfen. Sie hat alles unter Kontrolle und wird auch mit kleinen Schwierigkeiten spielend fertig.
Pünktlich zur Sendung ist ihr Beitrag bereit. Erst jetzt tauscht sie einige Worte mit ihren Kollegen aus, die einiges abgekämpfter aussehen als sie und ihr erzählen, wie sehr sie von der Rücktrittsmeldung von Blocher auf Trab gehalten wurden. Um Punkt 18 Uhr ist der ganze Spuk für alle VJs dann endgültig vorbei. Sie sitzen gemeinsam auf dem Sofa und schauen sich die Sendung an, die einen Stock unter ihnen gerade live aufgezeichnet wird. Noch vor fünf Minuten standen viele von ihnen am Rande eines Nervenzusammenbruchs, jetzt sitzen sie ganz entspannt da und sind schon wieder zu Scherzen aufgelegt. Dass ich noch immer mit laufender Kamera um sie herum husche, nehmen sie gar nicht mehr wahr.
Der Reiz des Jobs
Danach ist der Tag sowohl für Corina als auch für mich zu Ende. Ich frage sie noch, ob sie es denn nicht blöd fand, dass ihre Kollegen eine spannende Story über den Rücktritt eines Nationalrates verfolgt haben, während sie sich mit einer harmlosen Raupe beschäftigen musste. Sie sagt, sie fände das gar nicht langweilig, sondern berichte sogar sehr gerne über solch kleine, vergleichsweise banale Ereignisse aus der Region.
Dann geht sie nach Hause. Die Arbeit lässt sie vollumfänglich im Büro zurück. Nur wenn sie Pikettdienst hat, muss sie erreichbar bleiben, falls in der Nacht etwas welt- oder eben regionbewegendes passiert. Morgen wird ihr Tag auf den ersten Blick gleich wie der heutige aussehen. Die Routine und Abläufe sind meist dieselben. Und trotzdem sei es jeden Morgen wieder ein Gang ins Ungewisse, weil niemand wisse, was der Tag bereit hält. Das mache diesen Job eben aus, sagt sie.
Am 9. Mai 2014 habe ich im Rahmen des Moduls “Filmisches Erzählen” Corina Borer einen Tag lang bei ihrer Arbeit als VJ bei Tele M1 begleitet und eine Reportage gedreht. Darin wollte ich den Arbeitsalltages eines Videojournalisten dokumentieren. Es war ein spannender und lehrreicher Tag und entstanden ist eine meiner Meinung nach interessante Reportage über den Alltag eines VJs: