Wahlkampf 2.0

Politische Werbung auf Social Media ist seit dem Cambridge-Analytica-Skandal ein heikles Thema. Und das, obwohl eigentlich nur die Beschaffung der Daten rechtswidrig war. Facebook und Google besitzen bereits so viele Nutzerdaten und Tools, um Werbung genau zu targeten. Was also, wenn man damit versucht, einem unbekannten Kandidaten den Sprung in den Nationalrat zu verschaffen?

2019 ist es wieder soweit: Die Karten der Schweizer Politik werden wieder einmal neu gemischt. In einem kleinen Kanton wie Obwalden, wo nur ein einziger National- und Ständerats-Sitz vergeben wird, ist das Ganze nicht so spannend, könnte man meinen. Als sich jedoch fünf Kandidaten für den Nationalrats-Sitz aufgestellt hatten, wurde die Sache spannend.

Einer der Kandidaten war Marco De Col, ehemaliger Gemeinderat und Berufsschullehrer. Im Allgemeinen eine eher weniger bekannte Person in Obwalden. Als Mitglied des Wahlkampf-Komitees war es also meine Aufgabe, ihn mit Hilfe gezielter Social-Media-Werbung bekannter zu machen und als attraktiven Kandidaten darzustellen. Dazu haben wir erst seine Kernthemen analysiert und dazu je ein kurzes Video gedreht. Diese Videos haben wir dann via Facebook, YouTube und Instagram gezielt an die wahlberechtigte Obwaldner-Bevölkerung ausgeliefert.

Zusätzlich haben wir noch Grafiken und Fotos von Marco erstellt, die auf aktuelle Themen oder Ereignisse hinweisen. Da Marco für einen ausgebauten Umweltschutz ist, kam uns auch das zu Hilfe.

Die Online-Kampagne war eigentlich ziemlich erfolgreich. Wir haben über 17’000 Menschen auf Facebook und rund 12’000 auf Google mit unseren Anzeigen erreicht. Insgesamt hatten wir über 25’000 Videoaufrufe und 250’000 Impressionen. Leider hat es dann aber doch nicht für den Sprung in den Nationalrat gereicht. Mit einem ziemlich deutlichen Rückstand auf zwei andere Kandidaten, wurde Marco De Col nur Dritter. Gewählt wurde am Schluss, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 87 Stimmen, Monika Rüegger von der SVP, vor dem CVP-Kandidaten Peter Krummenacher.

(lhu)

Kritik
von Lukas Spichtig

Idee
Als meine Freundin mir davon erzählte, dass ihr Vater für den Nationalrat kandidierte hatte ich erst gemischte Gefühle. Seine Partei vertritt nämlich grundsätzlich nicht unbedingt meine politischen Werte. Kurze Zeit später hat er mich dann gefragt ob ich ihn im Wahlkampf unterstützen würde. Nach einem intensiven Gespräch merkte ich, dass unsere politischen Ansichten gar nicht so unterschiedlich sind. Da ich mich sowieso schon seit einiger Zeit für Online und Social Media Marketing interessiere dachte ich mir das wäre eine gute Gelegenheit das alles mal selber auszuprobieren.

Konzept
Ich bekam also die gesamte Verantwortung für den digitalen Wahlkampf und musste mir als erstes überlegen wie wir das ganze Planen. Webseite und Social Media Auftritt hatten Priorität. Meine weitere Strategie basierte zum grossen Teil auf Content Marketing, also guten Content produzieren und via Social Media vermarkten. Wir haben uns darauf geeinigt zu jedem seiner Kernthemen ein Video zu produzieren. Andere politische Standpunkte werden mittels Bildern und Grafiken vertreten. So sollte ein guter und abwechslungsreicher Content-Mix entstehen.

Umsetzung
Als erstes machte ich mich an die Webseite. Ich konnte dabei auf ein CMS von Berta Digital zurückgreifen, welches den Prozess zwar etwas weniger aufwändig machte, mir aber auch weniger Freiheiten liess. Da ich erst einmal eine Webseite von Grund auf, mit Domain, Server, usw., aufgesetzt habe, habe ich dabei viel gelernt. Danach habe ich die Tracking Tools von Facebook und Google auf der Webseite eingebunden, um die Daten später zu verwenden.

Als nächstes haben wir gemeinsam die Social Media Profile eingerichtet. Da Marco vorher überhaupt nicht auf Social Media war musste ich ihn komplett in die Welt einführen. Wir haben gemeinsam ein Konzept erstellt, was/wann/wo gepostet wird. Die ersten paar Wochen habe ich auch jeden Post von ihm überprüft, bevor er online ging. Nach 1-2 Monaten kam er dann auf allen Plattformen gut zu recht.

Die Drehs während dem Sommer zu organisieren war nicht immer einfach, zumal wir beide noch Ferien hatten und ich noch mit anderen Projekten beschäftigt war. Als dann auch noch eine Protagonistin abgesprungen ist wurde das Ganze etwas stressig. Trotzdem konnten wir das letzte Video rund einen Monat vor den Wahlen veröffentlichen. Dann ging es ans Marketing. Ich habe mit dem Facebook Ad Manager auf Facebook und Instagram und mit Google Ads auf Google und YouTube Werbung geschaltet. Dazu kam eine PassengerTV Kampagne die im lokalen ÖV lief. Ziel war es in einem ersten Schritt eine hohe Reichweite zu generieren und danach gezielt die Leute zum wählen zu bewegen, die mit dem Content interagiert haben. Die Videos waren dabei das Hauptwerbemittel und wurden einfach durch die Grafiken unterstützt. Insgesamt habe ich 26 Kampagnen auf Facebook und 2 auf Google geschaltet.

Learnings

  • Junge Leute gehen immer noch viel weniger an die Urne
  • Nur weil jemand auf Social Media bekannt ist, wird er noch lange nicht gewählt
  • Videos erreichen auf Social Media generell mehr Leute als Fotos
  • Google Werbung erzeugt zwar mehr Impressionen als Facebook, aber viel weniger Klicks
  • Fotos von aktuellen Ereignissen erzeugen oft mehr Interaktionen und erreichen mehr Leute als klassische Wahlkampf-Inserate
  • Nach ein paar Wochen erreicht eine Anzeige meistens keine neuen Leute mehr, dann muss sie entweder abgeschaltet oder die Zielgruppe verändert werden
  • Wenn eine Anzeige nach einer Woche keine Interaktionen generiert sollte man sie abschalten, da sie zu ineffizient ist

Fazit
Ich bin grundsätzlich zufrieden mit der Online Kampagne. Wir haben über Social Media mit Sicherheit weitaus mehr Leute erreicht, als alle anderen Kandidaten. Die Videos zu produzieren hat sich definitiv auch gelohnt, da diese sehr gut angekommen sind. Allgemein wurde die Kampagne sehr positiv wahrgenommen. Einfach schade hat es am Schluss nicht zur Wahl gereicht.

Für mich war es eine äusserst lehrreiche Zeit. Ich habe sowohl viel über Online und Social Media Marketing gelernt, als auch über Wahlkampf und die Schweizer Politik im Allgemeinen. Ich könnte mir gut vorstellen mich in Zukunft mehr politisch zu engagieren, dann aber lieber für eine Partei die ich mit gutem Gewissen voll und ganz unterstützen kann.

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