Hört oder liest man über weibliche Genitalverstümmelung (oder: Female Genital Mutilation, kurz FGM), fällt vielen Menschen die Geschichte von Waris Dirie ein. Ihr autobiografischer Roman wurde 1998 zum Weltbestseller. Darin erzählt die Autorin von ihrer Kindheit als Nomadenmädchen in der somalischen Wüste, der Zwangsheirat mit einem deutlich älteren Mann, und: von ihren traumatischen Erfahrungen der Genitalverstümmelung. Für die Mehrheit der Schweizer_innen ist das die erste und letzte Berührung mit dem Thema FGM. Und das, obwohl mehrere tausend Frauen in der Schweiz von Genitalverstümmelung betroffen sind. Doch sie sind unsichtbar.
International Day of Zero Tolerance to Female Genital Mutilation
Um diesen Missstand zu beheben, hat die UNO 2003 den «International Day of Zero Tolerance to Female Genital Mutilation» eingeführt. Jeweils am 6. Februar finden weltweit Awareness-Kampagnen zum Thema der weiblichen Genitalverstümmelung statt. Ziel der Massnahmen ist es, mit der uralten Tradition von FGM zu brechen. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass Verbote allein nichts nützen. Es braucht einen Wandel in den Köpfen der Menschen, um FGM nachhaltig zu bekämpfen. Denn es handelt sich dabei um eine soziale Norm, die sich über Jahrtausende etabliert hat.
Über den Ursprung von FGM gibt es nur wenig gesicherte Fakten. Man geht heute davon aus, dass FGM auf hierarchische, patriarchale Gesellschaftssysteme in Alt-Ägypten zurückzuführen ist. Und es existiert keine einheitliche Interpretation dieser Tradition. Vielmehr unterscheidet sie sich je nach praktizierender Gruppe und Region voneinander. Ihnen gemeinsam ist die Idee, dass eine Frau beschnitten sein muss, um der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen. Deshalb wird FGM häufig in der Überzeugung praktiziert, dass sie für das Mädchen von Vorteil ist.
FGM in der Schweiz
Laut Schätzungen des Bundesamtes für Gesundheit aus dem Jahr 2013 leben in der Schweiz über 15’000 Frauen und Mädchen, die entweder von FGM betroffen sind oder gefährdet sind, verstümmelt zu werden. Oft sind dies Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund. Sie haben deshalb in der Schweiz mit komplexen Schwierigkeiten zu kämpfen: ein ungewisser Aufenthaltsstatus, nicht gesicherte finanzielle Verhältnisse und Mehrfachdiskriminierung. Für viele ist deshalb FGM – wenn überhaupt – nur ein Problem von vielen.
Die Angebote für FGM-Betroffene sind in der Schweiz rar: so gibt es nur punktuell spezialisierte Beratungsangebote und viele Fachpersonen, die mit FGM-Betroffenen in Kontakt stehen (z.B. Ärzt_innen), sind ungenügend informiert. Oftmals fehlt den Fachpersonen, die mit betroffenen oder gefährdeten Frauen und Mädchen konfrontiert sind, das nötige Spezialwissen. Es gilt, Personen aus den Bereichen Gesundheit, Asyl, Integration, Kinderbetreuung, Bildung und Kindesschutz gezielt zu schulen. Nur so kann gewährleistet werden, dass Betroffene die dringend benötigte Unterstützung erhalten.
Mahnwache auf dem Bahnhofplatz Bern
Um die Öffentlichkeit auf die vielfältigen Herausforderungen von FGM-Betroffenen zu sensibilisieren, hat die Menschenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES Schweiz zusammen mit der CARITAS Schweiz am 6. Februar 2016 eine Mahnwache auf dem Bahnhofplatz Bern organisiert. Dabei haben Betroffene von ihrer Geschichte erzählt, es wurden Informationsflyer an die Passant_innen verteilt und die Sängerin und FGM-Aktivistin Fatoumata Dembélé hat gesungen. David Gerber und Noam Pfluger haben den Anlass cineastisch begleitet.
(fs)