Das ist kein Science-Fiction-Szenario, sondern die ausgesprochene Realität, über die kein Detailhandelskonzern gerne spricht. Denn viele sammeln genau solche Daten. Und was sie damit machen, weiss keiner so genau.
Lasst uns über die Zukunft reden! Unsere Zukunft! Implantierte Chips, selbstfahrende Autos, Ohrstöpsel, die uns Fremdsprachen in Echtzeit übersetzen, intelligente Kühlschränke, die unser Essen direkt nachbestellen und wissen, was saisonal bedingt bald wieder auf unsere Teller gehört. Genau gesagt reden wir hier allerdings gar nicht von Zukunftsmusik, sondern vom Hier und Jetzt! Willkommen im Jahr 2018.
Mit dem intelligenten Kühlschrank beschäftigen sich unter anderem auch die Marketingabteilungen von Grosshandelskonzernen. Um ein paar Fragen auf den Grund zu gehen, habe ich mich mit Thomas Kohler, der als Head of Strategic Projects bei der Trade Marketing Intelligence Agentur arbeitet, getroffen. Die Agentur gehört zur Industriegruppe der Migros – der grössten Detailhändlerin der Schweiz – und ist für die Marketingmassnahmen zuständig, die das Produkt an den Endkonsumenten bringen soll.
Dass Ladenketten unsere Daten im grossen Stil sammeln, ist uns allen bekannt. Jedoch unterschätzen wir höchstwahrscheinlich, was bereits alles möglich ist. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Daten über unser Kaufverhalten nur über die Cumulus-Karte gesammelt wurden. Heute werden, wie in Science-Fiction-Serien, neue Technologien angewendet. Detailhändler forschen zusammen mit der ETH bereits zum heutigen Zeitpunkt an futuristischen Methoden und testen diese, während wir nichts ahnend am Einkaufen sind.
Was online möglich ist, ist teilweise auch schon offline auf der Ladenfläche möglich. In neusten Projekten werden mit Wireless-Trackern Datenströme gemessen. Das heisst, sobald wir unser Smartphone auf der Einkaufstour dabei haben, können Daten gemessen werden. Sie sind aber nicht einem einzelnen Kunden zugeordnet, sondern sagen mehr Allgemeines über die Kundschaft und den Standort der Filiale aus. Wie lange halten sich Kunden im Schnitt im Laden auf? Wo bleiben sie am längsten stehen und so weiter – einfache Fragen, die so beantwortet werden können. Die neuen Ziele des Marketings sind jedoch längst nicht mehr das oberflächliche Sammeln von Kundendaten. Nein, sie wollen es genau wissen. Viel interessanter als das «Was» ist für sie die Frage nach dem «Warum».
Warum kauft der Kunde immer erst nach 19 Uhr ein? Wie lebt er, wie ist sein Familienstatus, was gibt es für Veränderungen in seinem Alltag – das sind die wirklich wertvollen Daten der Zukunft. «Mit diesem Wissen kann dem Kunden künftig in Echtzeit auf ihn zugeschnittene Werbung für Produkte zugespielt werden. Zum Beispiel in Form von elektronischen Preisschildern oder virtuellen Werbeplakaten», sagt Thomas Kohler.
Legitim, trotzdem etwas verrückt, klingt deshalb die nächste Massnahme, die bereits in diversen Filialen getestet wird: Anhand einer Gesichtserkennungs-Software wird unsere Mimik analysiert. In Millisekundenschnelle wird so das digitale Plakat oder Preisschild, welches wir als nächstes antreffen, auf unser persönliches Bedürfnis angepasst. Man spricht von «personal pricing». Eine Massnahme, die beispielsweise Reiseplattformen schon lange anwenden. Nur zu gut kennen wir die Werbeanzeigen mit dem günstigeren Flugangebot, nachdem wir nur kurz abchecken wollten, wie teuer der Flug nach London denn theoretisch so wäre. Die Webseite erkennt jedoch unsere IP-Adresse und steigert, wenn wir regelmässig den gleichen Flug aufrufen, den Preis. Algorithmen machen es möglich.
Personalisierte Rabatte für jedermann also, bald auch für den Bund Tomaten und die heiss geliebte Tafel Zartbitterschokolade? Ist es nicht diskriminierend, wenn ich anhand meiner Einkaufsgewohnheiten immer nur auf dieselben Artikel Rabatte bekomme, die dann nur für mich gelten? Was ist, wenn ich plötzlich anfangs Monat meine Menstruation bekomme und nicht mehr, wie in den detailgetreu aufgezeichneten Datensätzen der Migros, Ende Monat? Muss ich dann, Natur sei Dank, mehr für meine Packung Tampons bezahlen als sonst?
Es wird sich zeigen, ob wir Marionetten der Industrie werden, getrieben durch das Zuspielen von intelligenter Werbung und Technik; oder ob wir als selbstbestimmende Individuen leben können, im Einklang mit der Technologie, die wir selbst kontrollieren.
(fms)