Das natürliche Verhalten von Silberfüchsen im öffentlichen Verkehr

Als langjährige Vollblutspendlerin erlebt man viel Spannendes und lernt Neues dazu. Nach gut achtjähriger Analyse der älteren Mitreisenden, ist es an der Zeit, das Erlebte mit euch zu teilen.

Die schimmernden Füchse sind trotz ihres hohen Alters noch lange nicht vom Aussterben bedroht. Verdanken tun sie dies mitunter der allgemein höheren Lebenserwartung, diverser pflanzlicher Aufbaupräparate und fortschrittlicher Gehhilfen, die Mobilität versprechen.

Mobilität verspricht auch das ausgefeilte Liniennetz der SBB. Täglich transportieren die Züge Jung und Alt vom einen Ort zum Anderen. Der Grossteil der Füchse lebt abseits von Grossstädten in kleineren Gemeinden, wo sich das Volg-Lädeli noch mit Erfolg gegen seine mächtigen Konkurrenten stemmt. Selbst in den winzigsten Dörfern erspähen die Füchse durch die Stubengardinen eine Bushaltestelle, welche den Weg in unerkundete Gebiete freigibt.

Die Spezies der Silberfüchse verlässt ihren Bau äusserst selten. Aufmerksame Beobachter sichten sie gelegentlich in Kirchen, im Wartezimmer diverser Ärzte oder im lokalen Jassclub.
Für ausserodentliche Anlässe wie Familienbesuche oder defekte Hörgeräte begeben sich die Füchse ab und an auf längere, mühsamere Reisen. Stets auf die eigene Sicherheit bedacht, lassen sie den maroden Subaru in der Garage stehen und begeben sich zum nächstgelegenen Bahnhof. Da die Zeitberechnung meist grosszügig kalkuliert ist, verbringen viele Füchse den ersten Teil ihrer Reise im Wartehäuschen des entsprechenden Perrons. Doch die Spezies weiss sich zu beschäftigen. Exotische Bilder von Reiseprospekten werden begutachtet, Gespräche unauffällig mitgehört und Personen kritisch ins Auge gefasst.
Pünktlich, fünf Minuten vor Eintreffen des Zuges, wird ausserhalb des Wartehäuschens die Stellung eingenommen. Den Blick auf den einfahrenden Zug gerichtet, wird der optimale Standpunkt fürs Einsteigen abgeschätzt. Schnell noch die Hände über die Ohren gefaltet, um eine allfällige Lärmbeeinflussung vorzubeugen, und die Jagd auf den besten Sitzplatz kann beginnen. Obwohl Silberfüchse für ihr eher ruhiges Gemüt bekannt sind, kann es vor allem während der Stosszeit zur Hektik kommen, wobei manche Exemplare ein durchaus aggressives Verhalten an den Tag legen. Einige schleichen flink an den Wartenden vorbei, Andere bedienen sich zweier Ellbogen, im Notfall dem Gehstock, um sich im Gerangel durchzuschlagen.
Ob dominant oder unscheinbar, die Erfolgsquote der Sitzplatzjäger ist hoch. Den gewünschten Platz und der nebenan eingenommen, lehnen sich die Gewinner zurück und grinsen den späten Verlierern entgegen, doch die Ruhephase währt nicht lange. Bei der nächsten Station steigen neue Reisende ein, die allesamt potenzielle Anwärter für den Platz nebenan sind. Die Rekrutierung des Sitznachbarn ist streng. Jungtiere mit Kopfhörern, einem seltsamen Haarschnitt oder allgemein suspektem Auftreten werden bei der Frage um den freien Platz souverän ignoriert. Bei Artgenossen verändert sich das Verhalten der Füchse drastisch. Der Sitz wird grosszügig frei geräumt, mit einem Nicken wird das Eindringen ins eigene Revier toleriert und Kommunikationsbereitschaft signalisiert.

Ganz anders gestalten sich Reisen im Rudel. Das vorher definierte Ausflugsziel wird vorzugsweise mit dem Car oder der Bahn erreicht, wobei stets darauf geachtet wird, während der Stosszeiten zu reisen. Wie bei jedem Rudel wird auch bei den Füchsen ein Oberhaupt bestimmt. Dieses schmückt sich zur Erkennung meist mit einem roten Fähnchen am Rucksack oder einer speziellen Kopfbedeckung.
Silberfüchse empfinden Sicherheit und Wohlbefinden in Gesellschaft Gleichgesinnter. Das Rudel birgt aber auch Gefahren. Nicht selten resultieren solche scheinbar harmlosen Ausflüge in einer Reizüberflutung einzelner Rudelmitglieder. Ein erhöhter Mitteilungsbedarf, eine fehlerhafte Lautstärken-Regulierung und ein übersteigerter Geltungsdrang sind die Folge.

Das Verhalten von Silberfüchsen im öffentlichen Verkehr ist ein einmaliges Phänomen, das von Aussenstehenden nur schwer zu verstehen ist. Kritiker wehren sich vergebens dagegen, denn die Population der Füchse bleibt konstant und wird durch die nächste Generation gesichert. Der Nachwuchs übt sich schliesslich bereits heute im Pendeln.