Die Ware Mensch – moderne Sklaven in der Schweiz

Julia sitzt mit zittrigen Händen am Tisch in der Beratungsstelle für Opferschutz. Die Betreuerin hat das Zimmer verlassen, damit Julia ungestört in ihre Heimat telefonieren kann. Seit zwei Monaten ist die 19-jährige Ukrainerin nun schon in der Schweiz. Julia kann sich nicht überwinden, die Tasten zu drücken. Sie möchte nicht, dass ihre Familie erfährt, was ihr widerfahren ist. Ihre Mutter würde es nicht verkraften. Denn eigentlich hätte sie hier als Haushaltshilfe arbeiten sollen, um sie finanziell zu unterstützen. Doch es kam alles anders.

2000 bis 3000 Menschen werden nach Schätzungen der Bundespolizei jährlich in der Schweiz versklavt. An die Beratungsstelle Zürich gelangten letztes Jahr gerade mal rund 200 von ihnen. Eine gerichtlich verordnete Genugtuung oder Entschädigung erhielten im 2012 gerade mal 13 Opfer. Wieso ist in der Schweiz Menschenhandel überhaupt noch Realität? Und weshalb kommen fast keine der Fälle vor Gericht?

Falsche Versprechen

Julia ist eines dieser Opfer, welche in die Schweiz verkauft wurden. Ein Bekannter der Familie hatte ihr einen Job als Haushaltshilfe angeboten. In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihre Tochter und ihre Mutter hat Julia zugesagt. Doch statt zu einer Familie wurde sie in ein Bordell gebracht, massiv misshandelt und gezwungen, dort zu arbeiten. Für die Reise und ihre Unterkunft in der Schweiz hat sie sich hoch verschuldet, 10‘000 Franken verlangt ihr Bekannter nun dafür. Der ersehnte Ausweg aus der Armut hat sich in die Hölle auf Erden verwandelt. Nun ist sie über einen Freier an die Opferberatung gelangt und wird dort betreut. Dennoch fragt sie sich die ganze Zeit, ob es wirklich richtig war, aus dem Bordell zu flüchten. Denn sie hat panische Angst vor den Folgen ihrer Flucht.

Es geht um Leben und Tod

Beispiele wie das von Julia sind keine Seltenheit. Jährlich werden bis zu 500’000 Menschen gegen ihren Willen verkauft. Auch in der Schweiz. Der Grossteil hier sind Frauen und werden zwangsprostituiert. Aber auch im Gast- und Landwirtschaftsgewerbe arbeiten Menschen gegen ihren Willen. Die Betroffenen werden mit falschen Versprechen aus ihrer Heimat gelockt. Durch physische, psychische und/oder sexuelle Gewalt und finanzielle Abhängigkeit üben die Täter massiven Druck auf ihre Opfer aus und zerstören systematisch ihr Selbstwertgefühl. Den Betroffenen und ihren Angehörigen in der Heimat wird mit dem Tod gedroht. Meistens wissen die Angehörigen zu Hause jedoch nicht einmal vom Schicksal der Betroffenen. Zusätzlich sind die meisten Zwangsarbeiter illegal in der Schweiz und kennen sich weder mit dem Rechtssystem aus, noch beherrschen sie die gängige Sprache. Durch diese Hürden ist es für die Behörden schwierig, Menschenhandel aufzudecken.

Aktionsplan zur Bekämpfung des Menschenhandels

Im Oktober 2013 hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga den nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung des Menschenhandels vorgestellt. Nicht nur für den Opferschutz, sondern auch in den Bereichen Sensibilisierung, Strafverfolgung und Prävention sollen neue Massnahmen umgesetzt werden. Konkret sollen die Täter härter bestraft und die Opfer besser identifiziert und unterstützt werden. Zudem soll die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern verstärkt werden. Da Zwangsprostitution ein schwer zu durchleuchtendes Problem ist, wird sich erst im Laufe der Zeit und im engen Austausch mit den Beratungsstellen zeigen, ob die Massnahmen greifen. „Genaue Angaben können noch keine gemacht werden. Jedoch ist es wichtig die Öffentlichkeit auf dieses Tabuthema aufmerksam zu machen. Denn erst wenn die Opfer nicht mehr als Täter angesehen werden und vollumfänglich geschützt werden können, können sie ohne Angst um ihr Leben Anzeige erstatten“, erklärt die Mitarbeiterin der Beratungsstelle. Damit spricht sie zwei wichtige Punkte an: Da die Opfer oft illegal in der Schweiz sind, verstossen sie gegen das Migrationsgesetz und werden bei einer Anzeige ausgeschafft. In der Heimat sind sie dann den Hintermännern ausgeliefert. Ob der Aktionsplan dieser Dynamik entgegenwirken kann, wird sich erst bei Anwendung an konkreten Fällen zeigen.