Filmmusik – für einmal ganz nah

Im Bild schmachtet der gutaussehende Jüngling noch seiner holden Maid hinterher, welche gerade in ihrem Vierspänner vom Hof des Anwesens rauscht. Im Hintergrund bahnt sich aber, weich und romantisch, jene Melodie einen Weg in unser Unterbewusstsein, mit der die nächste Szene unterlegt ist.

Breitbeinig und hoch aufgerichtet steht er mit dem Rücken zu mir über dem beigefarbenen Segel am Mast. Braune Lederstiefel, ein taillierter Mantel – unter seinem dreieckigen Hut flattern die dunklen Haare und die roten Bänder im Wind. Von links unten fährt die Kamera an ihn heran, gewährt einen kurzen Blick über seine Schulter auf das in einiger Entfernung vor ihm liegende Festland, bevor mir ein Schnitt seine Person von vorne zeigt: Ein helles, verwaschenes Leinenhemd unter dem Mantel lässt seine lederbraune Haut in der Abenddämmerung makellos glänzen und die flatternden, vom Salz ganz strähnigen Haare bilden einen wilden Kontrast zu seinen dunkel umrahmten, starr in die Ferne gerichteten Augen. Auffällig sind auch die Stränge mit farbigen Perlen, befestigt in seinen Haaren zu beiden Seiten seines regungslosen Gesichtes und sein Schnauzbart, wobei ihm sein Bärtchen in zwei kleinen Zöpfchen geflochten bis fast auf die Brust reicht. Immer näher fährt die Kamera an sein Gesicht, bis er plötzlich seine Augen senkt, unwillig mit einem Mundwinkel zuckt, sich ein Seil vom Mast greift und daran behände nach unten aus dem Bild springt.

Eifrig bestrebt, noch mehr von dieser Persönlichkeit zu sehen, folge ich ihm mit den Augen, senke meinen Kopf … und lande prompt bei einer riesigen Trommel. Für einen kurzen Augenblick frage ich mich, was denn eine Trommel auf einem Schiff zu suchen hat (denn dahin wollte doch der Pirat mit dem Seil, oder?). Aber schon im selben Moment zucke ich zurück in die Wirklichkeit.

Im riesigen Saal des Kultur- und Kongresszentrums Luzern (KKL) sitze ich unter der hohen gewölbten Decke inmitten von hunderten von Leuten. Vor mir ein fast hundertköpfiges Orchester, davon zu sehen sind von meiner Warte aus allerdings lediglich ziemlich viele Streicher. Und natürlich der Dirigent, der sich zur Zeit fast die Arme ausreisst, weil er mit der Weite seiner Bewegungen demonstrieren will, wie gross und majestätisch und stolz eine der bekanntesten Melodien der Jahre 2000 daherkommen soll. Der erste Auftritt der (Kult-)Figur Jack Sparrow, Entschuldigung, CAPTAIN Jack Sparrow natürlich, in «Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl» wäre nämlich nicht einmal halb so beeindruckend ohne die von Klaus Badelt und Hans Zimmer komponierten Hymne «The Medallion calls».

Musik zum Anfassen

Eigentlich muss ich ja zugeben, dass ich aus purer Neugierde heute hier sitze. Diesen ersten Film der Reihe kenne ich schon aus dem Kino und obwohl mich die wahnsinnig eingängigen Melodien schon von Beginn weg faszinierten, fand ich die Bilder zuweilen doch etwas zu brutal für meinen Geschmack. (Auch wenn natürlich Johnny Depp und Orlando Bloom ein gutes Stück davon durch ihr Erscheinen auf der Leinwand wieder wettmachen.) Und trotzdem brauchte es nicht einmal die Überredungskunst meiner Freunde, dass ich mir ein Ticket (mit einem für Studenten doch eher hohen Preis) zulegte. Das Beste daran? Ich bereue es nicht! Filmmusik live macht einem bewusst, wie viel Arbeit und Herzblut in diese Kompositionen und in die Aufnahmen gesteckt wird. Und es lässt die Leinwandhelden noch ein Stück wirklicher erscheinen, zum Anfassen, wenn ich nur die Hand weit genug ausstrecken könnte.

Musik zum Geniessen?

Auch wenn meine Augen meist völlig gebannt an der Leinwand hinter dem «21st Century Symphony Orchestra» und dem «21st Century Chorus» hängen, gibt es doch Zeitpunkte, wo ich lieber das Orchester und den Dirigenten beobachte. Als (Hobby-)Querflötistin kann ich durchaus notenlesen, Akzente setzen und weiss, was der Unterschied zwischen einem Vierviertel-Takt und einem Dreiviertel-Takt ist. Wie man allerdings zugleich die Partitur liest und umblättert, den kleineren Bildschirm mit dem Film im Auge behält, die richtigen Einsätze nach den grossen, weissen Punkten unten links auf dem Bildschirm und der Taktanzeige oben rechts geben kann, ist mir ein Rätsel. Vor allem, weil nach dieser Taktanzeige der Takt nach ungefähr jedem zweiten Taktstrich wieder ändert, vom Vierviertel zum Zwölfachtel zum Zweiviertel zum Dreiachtel, bis mir schon fast schwindlig wird.

Der erste Schritt

Da hebe ich lieber meinen Kopf wieder um ein kleines Stück und sehe dem Piraten zu, wie er noch immer hoch aufgerichtet auf seinem sinkenden Schiff steht und seinen ersten, erinnerungswürdigen Schritt macht, mit dem die ganze Geschichte im Jahr 2003 begann.


«Disney live in Concert»

Die Konzertreihe «Disney live in Concert» startete im Januar 2011 mit «Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl». Die erfolgreiche Zusammenarbeit des «21st Symphony Orchestra» mit Disney brachte ein Jahr später «Fantasia» und die Wiederaufführung des Piratenfilms auf die Bühne. Wer diese Highlights verpasst hat, darf sich auf eine erneute Wiederholung des ersten Piratenfilms und auf den zweiten Film der Serie, «Pirates of the Caribbean: Dead Man’s Chest», im November und Dezember 2012 freuen. Tickets dazu gibt’s hier.