H.R. Giger und das philosophische Pissoir. Eine Abhandlung. (2/3)

Die Giger Bar konfrontiert ihre Gäste mit einer seltenen Überraschung, und zwar an einem Ort, an dem niemand konfrontiert werden sollte – auf dem WC. Diese Abhandlung ist eine Suche nach Antworten auf philosophische Fragen, die auf dem stillen Örtchen gestellt werden.

2. Der Mensch als Alien

Symbolismus hin oder her, wir kennen die sexuellen Fantasien Hansjörg Gigers natürlich nicht, also muss man weitere Optionen in Betracht ziehen. Nun könnte es also sein, das Giger gar nicht explizit auf das männliche Glied eingehen wollte, sondern die grössere Absicht hatte, das ganze menschliche Wesen als Alien darzustellen. Mit dem Anbringen des Spiegels hätte er demnach die Absicht verfolgt, den Menschen zum Denken anzuregen und auf die Skurrilität seines Äusseren wie auch seines Inneren aufmerksam zu machen. Natürlich braucht ein solcher Denkvorgang seine Zeit, verlangt eine längere Ansicht und einen Ablauf, der in Stufen erfolgt. Kommt ein männlicher Gast also auf die Herrentoilette, sieht er in erster Linie im Spiegel lediglich sein Glied. Hierbei findet die erste Stufe der Auseinandersetzung statt, sofern sich der Kunde denn auch in dieser Geistesverfassung befindet, die zum Sinnieren einlädt. So könnte die erste Stufe der Auseinandersetzung durchaus auf Basis der vorangegangenen, naheliegenden Vermutung basieren, dass Giger einzig im Glied etwas Ausserirdisches sieht. Sobald sich der Toilettengänger allerdings mit diesem Thema genügend auseinandergesetzt hat, bzw. zu einem Schluss gekom­men ist, gibt es eine Abzweigung im Gedankengang. Der erste Weg wäre natürlich, dass sich der Verrichter mit seinem gefassten Entschluss zufrieden gibt und zu anderen Dingen zurückkehrt. Dies würde heissen, der Gast denkt sich entweder:

a) Ich verstehe und akzeptiere die Ähnlichkeit meines Gliedes mit einem extraterrestrischen Wesen oder

b) Ich verstehe die angedeutete Assoziation, akzeptiere dies jedoch nicht, bzw. finde es für mich persönlich nicht zutreffend.

Giger hatte aber wohl eine Variante beabsichtigt, die an der ersten Option anknüpft. Der Verrich­ter sollte demnach also, da er in seinem Glied tatsächlich etwas alienhaftes entdeckt hat, die Kreise weiterziehen und die Gedanken von seinem Glied auf den ganzen Menschen, sprich seine psychischen und physischen Eigenschaften ausweiten. Hierbei tritt man auf die grundsätzlichen Fragen menschlichen «Seins», der menschlichen Existenz, ein, was zur dritten Möglichkeit führt.

3. Der Körper als unverständliche Skurrilität

Hat der Gast also eine Stufe erreicht, auf der er von der anfänglichen Betrachtung seines Ge­schlechtsorganes nun das komplette Erscheinungsbild des Körpers untersucht, ist er nicht nur bereits einige Zeit auf der Toilette, sondern erkennt die Absurdität menschlicher Erscheinung. Er kann einerseits zwar nachvollziehen, für welche Zwecke die einzelnen Glieder zu gebrauchen sind, wundert sich nun aber ab den zahlreichen Eigenschaften des menschlichen Körpers. Er beginnt zu verstehen, dass die Extremitäten nur nicht hinterfragt werden, da sich die Mensch­heit seit Jahrtausenden an ihr Erscheinungsbild gewöhnt hat und dass eine leichte Abweichung von diesen Normen für den normalen Menschen eine skurrile Unverständlichkeit bedeuten würde, da er sich lediglich allzu selten selber in Frage stellt. Besitzt der männliche Gast zusätz­lich noch eine gesunde Portion Kreativität, wäre er nun an dem Zeitpunkt angelangt, zu welchem er sich Abweichungen von den Normen vorzustellen beginnt – beispielsweise ein Mensch mit Ohren an den Händen, dem Kopf im Bauch oder vier Beinen. Betrachtet sich der Mensch in die­sem Licht, so folgt grundsätzlich immer der nächste Punkt.

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