„Also, aus meiner Sicht ist das nichts, was unbewusst passiert. Schlussendlich entscheidest du dich dafür.“, so antwortete mir Raphael* auf die Frage, ob ihm der Handel mit Drogen nicht mehr geschadet, als genützt hat. Raphael ist ein Drogendealer, der im Raum Rheintal SG tätig war. Er ist kein auffälliger Typ. Seine Kleidung ist schlicht, sein Bart gepflegt und seine Haltung gerade. Einzig sein unruhiger Blick lässt erahnen, dass dieser Mann eine spezielle Vergangenheit hatte. Wir sitzen uns an einem kleinen Tisch, in einem Café in St. Margrethen gegenüber. Er hatte sich bereit erklärt, mir aus seinem Leben als Drogendealer zu erzählen.
St. Margrethen liegt im Rheintal. Viele Schweizerinnen und Schweizer kennen das kleine Dörfchen in der Ostschweiz. Dies, weil das Dorf ein bekannter Verkehrsknotenpunkt ist. „Das Tor zum Osten“, so wird es oft genannt. Man kann von St. Margrethen aus schnell nach Österreich und Deutschland gelangen. Auch Italien ist nicht ganz so weit entfernt von diesem kleinen Fleck Erde. Das Dorf an sich, ist nicht wirklich speziell. Die Infrastruktur ist sehr gut, es hat ein grosses Einkaufszentrum und sogar einen McDonalds (der Nächste wäre in Buchs oder in St. Gallen, für die Rheintaler ist das also was Spezielles). Die Häuser sind aber nicht so schön wie beispielsweise im Nachbarsdorf „Rheineck“ und ein Dorfkern ist ebenfalls nicht wirklich vorhanden. Deshalb ist das Einzige, was man als St. Margrether im Bezug auf den Wohnort oft zu hören bekommt: „Ah ja! Dort bin ich auch schon durchgefahren!“ Doch nicht nur Pendler und Touristen erfreuen sich an diesem Verkehrsknotenpunkt. Das schweizerische Rheintal ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Balkanroute.
Dies ist die bekannteste Schmuggelroute für Heroin und mittlerweile auch vielen anderen Drogen und illegalen Substanzen. Sie beginnt in Afghanistan und endet bei den Konsumenten in ganz Europa. Gemäss Peter Bartholet, stellvertretender Leiter der Betäubungsmitteldelikte St.Gallen, sind die Nutzer der Balkanroute extrem gut organisiert. „Teilweise ist die Organisation so ausgereift, dass es für uns als Polizei beinahe unmöglich ist, die Drogen zu entdecken.“, erklärte mir Herr Bartholet. Wir sassen in einem der Büroräume der Polizeistation in St. Margrethen. Die Station ist nicht sehr gross und befindet sich gegenüberliegend vom Bahnhof St. Margrethen. Dieser liegt sehr zentral und ist knapp 200 Meter von der Grenze zu Österreich entfernt. Die Balkanroute besteht aus drei verschiedene Hauptrouten; die nordöstliche, westliche und südliche Route. Die Nordöstliche führt über Rumänien und Bulgarien. Die Westliche startet wie die beiden anderen Routen in Afghanistan. Die Drogen werden dann von Griechenland nach Mazedonien, Albanien und Serbien transportiert. Die südliche Route führt von Griechenland direkt nach Italien und ist im Moment der interessanteste Schmuggelweg für die Kantonspolizei St. Gallen. „Die Drogen kommen von Italien zu uns an die Grenze und werden von da aus in der ganzen Schweiz verteilt.“, so Herr Bartholet.
Vom Fenster aus sieht man direkt zu den Geleisen. Ein junger Mann fuhr langsam mit seinem schwarzen 3er BMW am Bahnhof vorbei. Ein anderer junger Mann winkte ihm zu. Schaut man sich die Kriminalstatistiken der Kapo SG an, fällt auf, dass überwiegend serbische und mazedonische Ausländer mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt geraten. Die Serben sind gemäss Bartholet bekannt für einen extrem gut organisierten Drogenhandel. Ob dies in Verbindung mit der Balkanroute zu tun hat, verneinte Herr Bartholet. Weiter gibt es aufällig viele Deutsche und Italienern, die mit unserem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt geraten.
Raphael* spaziert mit mir durch das Dorf und zeigt mir einige, seiner Dealerplätze und Verstecke. Auf den Strassen ist momentan nicht viel los, man sieht aber schon, dass in St. Margrethen viele Kulturen leben. Wir erreichen den St. Margrether Zoll. Es herrscht ein reger Verkehr an der Grenze. Die Schweizer gehen in Österreich einkaufen und die Österreicher kommen in die Schweiz arbeiten. Ebenso ist es kein Geheimnis, dass auch viele Österreicher in die Schweiz kommen, um Drogen zu kaufen. Auf die Frage, warum wir hier in der Schweiz qualitativ bessere Drogen haben als unsere Nachbarländer, antwortete Raphael*: „Weißt du, in der Schweiz putzen Menschen Bahnhöfe, die in ihrem Heimatland eine Top-Ausbildung gemacht haben und einen Doktortitel haben. Gleichzeitig kann ein Ex-Kriegsverbrecher seine Kinder mit E-Klasse zur Schule fahren. In diesem Land kann man sich sehr gut tarnen. Wir Schweizer sind ja ein zurückhaltendes und dezentes Volk. Die Kontaktmänner leben hier – nicht in Österreich oder in Deutschland.“ In der Zwischenzeit konnten wir beobachten, wie die Grenzwächter drei Autos mit ausländischen Nummern kontrollierten. Alle drei waren sauber und konnten weiter fahren. Die Kantonspolizei sieht die Begründung des Phänomens mit den ausländischen Einkäufern gemäss Bartholet eher im Schmuggelweg der Drogen. „Es muss einen direkteren Weg in die Schweiz geben als in die Nachbarsländer. Drogen werden ja immer wieder gestreckt, damit die Menge grösser wird. In die Schweiz kommt also weniger verunreinigte Ware als nach Österreich und Deutschland. Dies kann auch im Zusammenhang mit den Mittelsmänner stehen.“, erklärte mir Herr Bartholet seine Annahme.
Mittlerweile habe Raphael* und ich einen bekannten „Kiffer-Platz“ in St. Margrethen erreicht. Wir setzen uns und rauchen eine Zigarette. Den Platz könnte man nicht als schön bezeichnen. Es liegt viel Müll rum und die Wände sind mit Graffitis besprüht. Ich frage ihn, warum er denn eigentlich mit dem Drogenhandel angefangen habe. Kräftig an seiner Zigarette ziehend, schaut er nachdenklich ins Leere. „Normale Leute, die gehen abends nicht an Partys, mit viel Frauen und exzessiven Ausmassen. Sie können auch nicht das Geld so verschwenden, wie wir das damals konnten, weisst du? Ich habe viele interessante Menschen getroffen, die man nicht einfach so kennen lernt. In der Drogenszene ist es so, dass man mehr Wert ist als die Anderen, wenn man dealt. Du hilfst den Leuten. Man ist auf dich angewiesen. Ich war mit Leuten unterwegs, die einen hohen Rang in dem Business haben. Das ist schon eine andere Welt und du fühlst dich, wie etwas Besonderes.“, antwortet mir Raphael.* Mittlerweile hat Raphael* mit dem Dealen aufgehört. Er geht einer normalen Arbeit nach, doch auch wenn es nie zu einer Gefängnisstrafe für ihn kam, haben seine illegalen Handlungen Folgen. “Ich muss jetzt eine Urin- und Haarprobe abgeben, bevor ich meinen Führerschein machen darf. Dies nur wegen ein paar kleinen Delikten mit dem Betäubungsmittelgesetz”, erzählt er verärgert. Einige Jugendliche treffen ebenfalls an dem Plätzchen ein. Die Mischung könnte nicht unterschiedlicher sein. Einige tragen wie Raphael, bequeme Jogginghosen und Andere könnte man schon fast als ziemlich herausgeputzt bezeichnen. Ein Junge mit Jogginghose zieht ein kleines Päckchen mit grünem Inhalt heraus, ein Anderer mit Krawatte und Anzug packt eine Rolle „Papes“ aus und macht aus einem Stückchen seines Zigarettenpäckchen einen Filter. Die Verfügbarkeit von Drogen ist in St. Margrethen nicht gerade gering. Der grösste Teil, der geschmuggelten Ware wird weiter transportiert. Ein kleiner Teil davon bleibt aber in St. Margrethen. Es ist nicht so, dass in St. Margrethen mehr Menschen Drogen konsumieren, wie an anderen Orten. Die Verfügbarkeit erhöht aber das Risiko des Konsums. Was da ist, wird ja schliesslich auch gebraucht. Der Jogginghosen-Junge verteilt mit einer geübten Bewegung das grüne Kraut in einem präparierten Papier, dreht, leckt mit der Zunge darüber und zündet sich anschliessend genüsslich den Joint an.
*Name der Redaktion bekannt