von Johannes Thüring, Sebastian Klinger, Tobias Imbach, Jonathan Jäggi, Yasmine Sihite, Mirjam Ramseier und Luca Steiner
Konzept
Das semesterübergreifende Digezz-Projekt «Cassian» ist eine Miniserie über Ritualmorde, dunkle Vergangenheiten und Bündner Lokalkolorit. «Yolanda», die zweite Episode, bildet den Mittelteil der Trilogie, die mit «Olga» begann und mit «Luisa» abgeschlossen wird.
Die Geschichte von «Cassian» hätte auch in Form eines klassischen Films erzählt werden können. Wir haben uns aber für das Serien-Format entschieden, da es neuartige und innovative Erzählmethoden erlaubt. Angesichts des immensen Aufwands nebst des Studiums macht die Aufteilung auf zwei Semester Sinn - die Episodenstruktur kommt uns auch in dieser Hinsicht entgegen. Alle Episoden werden online veröffentlicht und via Social-Media-Kanäle verbreitet. Im Mai ist eine Kinopremiere mit allen drei Episoden angedacht.
Produktionsprozess
Zu Beginn der Produktion galt es, einige grundlegende Dinge zu klären: Der Umstand, dass «Yolanda» der Mittelteil einer Trilogie ist, hat erhebliche Auswirkungen auf den Aufbau der Dramaturgie: Die Figuren und Situationen wurden bereits etabliert, die Auflösung darf noch nicht gezeigt werden. Was also passiert überhaupt in einem Mittelteil? Dieser Frage mussten wir uns auch stellen. Wir überlegten uns also, welche Herausforderungen könnten sich der Hauptfigur in den Weg stellen? Wie soll er an ihnen wachsen?
Mittelteile von Trilogien haben oft das Problem, etwas handlungsarm zu sein. «Der Herr der Ringe» entschädigt den Zuschauer damit, dass wilde Schlachten gezeigt und unzählige Nebenfiguren eingeführt werden. Wir wollten aber den Fokus klar auf die Hauptfigur legen und ihn auf seiner Reise begleiten. Cassians Charakter erschien uns als zu spannend, um zu stark davon abzulenken. Wir wollten auch herausfinden, ob es diese Figur schafft, eine ganze Episode praktisch im Alleingang zu tragen – bloss mit seinem Charisma und seiner Motivation, Arthur und den Mörder zu finden.
Entscheidend war auch, die Teilung vorzunehmen, die «Yolanda» abschliesst und zu «Luisa» führt. Es sollte – wie beim ersten Mal – ein Cliffhanger werden, aber für Cassian gleichzeitig den wesentlichen roten Faden der Geschichte abschliessen – die Bestätigung von Arthurs Tod. Auf dem Papier hörte es sich stark an – Arthurs Leiche in einer Kuhtränke auf 2000m. Warum nicht? Die Umsetzung war etwas schmerzvoller, da sich der Schauspieler in eiskaltes Wasser legen musste und sich nicht bewegen durfte. Sein Atmen wurde allerdings erst digital gänzlich entfernt.
In der Postproduktion der ersten Episode haben wir sehr viel gelernt. Die gewonnene Erfahrung sowie konstruktives Feedback halfen uns, Mäkel zu beheben, die wir sonst übersehen hätten. Wir hatten ca. 2 Monate Zeit, die Episode zu schneiden. Die Arbeitsprozesse der Postproduktion wurden aber alle bei «Olga» bereits durchlaufen, deshalb wiederholten sich hier die meisten Abläufe und wir kamen zügig voran. Der erste Rohschnitt entstand noch während «Olga» in der Endphase war – damit möglichst früh eine Version dem Komponisten zugestellt werden konnte. Ähnlich wie bei «Olga» folgten dann der Feinschliff des Schnitts, die Auswahl von Songs, die Integration von Visual Effects, das Sounddesign und das Color Grading. Besonders die Visual Effects beanspruchten viel Zeit. So wurden beispielsweise dynamische Drohnen-Aufnahmen mit eindrücklichen Bildern von Bündner Bergen kombiniert oder den Wolkenformationen mehr Dramatik verliehen. Die Bilder sollten aber nie überladen wirken, sondern stets die Gefühlslage der Hauptfigur unterstreichen oder ihnen bewusst widersprechen.
Reflexive Betrachtung des Endprodukts
Die nun vorliegende Episode «Yolanda» gefällt uns, jedoch nicht vorbehaltslos. Sie ist stimmungsvoll, aber handlungsarm. Atmosphärisch dicht, aber vorhersehbar. Einige Handlungsstränge, die in der ersten Episode angerissen wurden, werden zugunsten der Hauptfigur weggelassen – ansonsten hätte die Laufzeit von 20 Minuten niemals gereicht. Trotz Rückblenden schreitet die Erzählung linear voran. Einerseits kann der Zuschauer dem Geschehen besser folgen, andererseits wird es ihm schneller langweilig, wenn er intellektuell nicht gefordert ist.
Die Episode ist mehr als Roadmovie und Charakterstudie anzusehen denn als Krimi. Denn die Suche nach dem Mörder weicht schnell der persönlichen Involvierung der Figuren, allen voran Cassian. Beispielsweise wird in aufwendig gedrehten und grosszügig zelebrierenden Szenen gezeigt, wie er durch die Berge fährt – für die Handlung eigentlich unwesentlich. Und doch trägt es viel zur Stimmung bei. Man lässt sich Zeit für die Ruhe gewisser Situationen. Hier wird deutlich das stilistische Vorbild «True Detective» sichtbar, wo ebenfalls minutenlang durch die Gegend gefahren wird, ohne dass es für die Story von Bedeutung wäre. Aber trotzdem – oder genau deswegen – haben diese Szenen das gewisse Etwas und machen die Serie zu dem, was sie ist.
Emotional verstärkt werden diese Situationen gekonnt mit der passenden Musik. Wir suchten gezielt Songs, die das Road-Movie-Feeling und die Aufbruchsstimmung unterstützten. Dabei stammen alle Lieder von Schweizer Bands, eines wurde eigens für den Film eingespielt. Wir hatten Glück, dass uns alle ihre Zustimmung gegeben haben. Beinahe wäre es uns gelungen, den weltbekannten Song «The Lonely Shepherd» von Meister-Panflötist Gheorghe Zamfir zu lizenzieren. Das Vorhaben scheiterte leider am zu hohen Geldbetrag, den der Verlag Warner Chappell forderte. Stattdessen entstand ein Lied mit einem ebenfalls prägnanten Panflötenspiel, jedoch mit einer fröhlicheren Grundstimmung. Dies führte im Team zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten und wurde bei ersten Zuschauern als grösster Schwachpunkt der Episode bezeichnet. Womit diese Zuschauer natürlich nicht ganz Unrecht haben, vermittelt diese Musik doch eine Stimmung, die der Gefühlslage des Protagonisten komplett widerspricht und eine Idylle propagiert, die nicht vorhanden ist. Solche kontroversen Punkte, die Anlass zu Diskussionen geben, sind aber auf jeden Fall wichtig, denn dadurch spricht man automatisch über den Film.
Es ist grundsätzlich sehr schwierig, bei einer Trilogie eine Spannungskurve über alle drei Teile hinweg zu spannen und gleichzeitig innerhalb der Episoden die Dramaturgie aufrechtzuerhalten. Die Folge ist, dass grössere Wendepunkte als Cliffhanger am Schluss der Episoden eingesetzt werden müssen. Die Handlung schreitet dann oft linear ab, Wendepunkte werden sparsam eingesetzt – nicht gemäss der klassischen Drei-Akte-Dramaturgie mit 2 Plot-Points und der darüber liegenden Spannungskurve.
Lessons learnt
Die Spannungskurve darf nicht bloss über drei Folgen hinweg konzipiert werden. Innerhalb der Episoden braucht der Zuschauer genügend grössere Wendepunkte, um dem Geschehen mit Interesse zu folgen. Das heisst, wir würden den Mittelteil einer Trilogie, wie «Yolanda» einer darstellt, nicht mehr strikt linear aufbauen, sondern mehr Zeitsprünge wagen und mehrere Handlungsstränge gleichzeitig ablaufen lassen. Damit der Fokus aber doch auf der Hauptfigur liegen kann, wäre eine Verlängerung der Laufzeit unumgänglich, was entsprechend mehr Aufwand bedeuten würde. Dies würde dann den Rahmen von Digezz definitiv sprengen.
Zweite gelernte Lektion: Wir werden nie wieder ein Lied mit Panflöte verwenden. Punkt.