Die musikalische Reise von der ersten bis zur letzten Note

Der Film ist fast fertig, doch die Musik fehlt noch und dieses Mal hast du echt keinen Bock auf Loops und vorgefertigte Samples. Du willst viel lieber einen epischen Score komponieren, anstatt dich mit Urheberrechtsfragen zu quälen. Doch wie fängst du am besten an? Eine spannende und kreative Reise erwartet dich und deine Ohren.

Hören wir uns zunächst das fertige Stück an:

Du solltest bereits jetzt ein Feeling und eine grobe Vorstellung für den Track – im Genre der Filmmusik auch als «Score» bekannt – haben. Welche Gefühle willst du damit ausdrücken und welche Bilder sollen beim Hören entstehen? Diese Fragestellungen können dir bei der Ideensuche am Klavier enorm helfen. Es geht schliesslich darum, welche Story du mit dem Stück erzählen möchtest.

Für dieses Lied habe ich folgendes Szenario vor Augen: Zwei Eishockey-Teams stehen in den Garderoben und machen sich für die Verlängerung bereit. Wer das nächste Tor erzielt, gewinnt. Der Captain der einen Mannschaft hält eine Motivationsrede, ehe die Spieler gemeinsam durch den sogenannten Tunnel auf die Eisfläche laufen und der Schiedsrichter den Puck einwirft.

Alles beginnt mit einer simplen Idee, welche du am Piano aufnehmen kannst. Mit dieser bleibst du im späteren Prozess flexibel und kannst ohne Probleme neue Instrumente hinzufügen und deine Hauptmelodie variieren.

«As simple as that.» Nach dieser Aufnahme fügst du nun Akkorde hinzu, wobei das Stück an Volumen und Charakter hinzugewinnt. Klingt es noch immer ansprechend und deinen Vorstellungen entsprechend?

Während dieses Arbeitsschritts verändert sich die Melodie oftmals. Lass dir bei der Ideensuche deshalb genügend Zeit. Der Prozess kann Tage, wenn nicht sogar Wochen oder Monate dauern, ehe du eine passende Melodie gefunden hast. Zudem wird es Zeiten geben, in welchen du monatelang auf keinen grünen Zweig kommst. An anderen Tagen fallen dir hingegen gleich fünf neue Ideen ein.

Nun geht es darum, die Melodie mit einem anderen Instrument zu testen. Da diese zu der Story passen muss und ich Strings in Staccato liebe, musste sie mit schnellen Violas, Celli und Bass funktionieren.

Die zweite Phase dauert nicht lange. Du wirst schnell feststellen, ob die Melodie auf das neue Instrument übertragen werden kann. Ein Tipp an dieser Stelle: Versuche bereits hier, deine aufgenommene Melodie mit Drums zu untermalen. Durch die neue, rhythmische Spur wirkt der musikalische Sketch bereits wie ein Song. Wenn dir deine Arbeit nun auch noch ein Lächeln ins Gesicht zaubert, kann es weitergehen.

Jetzt geht es ans Eingemachte und die Details. Zunächst habe ich mich um passende Drums gekümmert. Diese werden bei der Wiederholung variiert und sind lauter. Damit erzielen wir eine Spannungssteigerung.

Die Suche nach den passenden Drums kann sich allerdings schwierig gestalten. Verliere deine Geduld während dieses Prozesses nicht und experimentiere mit verschiedenen Rhythmen. Die Wiederholung wirkt dennoch irgendwie langweilig, nicht wahr? Daher bauen wir eine neue Melodie ein.

Hörner spielen nun episch und selbstsicher in Legato darüber. Eine Geige unterstützt diese neue Melodie. Tüftle aus und «jamme», bis du eine neue Melodie gefunden hast. Im Mix hört sich dies nun so an:

Jetzt kümmern wir uns um ein Intro, Outro und die Details. Das Intro würde ich ohne Metronom aufnehmen, so dass du eine ganz eigene, neue Stimmung einbringen kannst. Zugleich wirkt dadurch auch der Hauptteil frisch. Das Intro besteht aus einem Kontrabass sowie einem künstlichen und extrem tiefen Synth-Bass. Darüber spielt ein mystisches, undefinierbares Instrument. Mit Cymbals überbrücken wir die Lücke zwischen dem Intro und dem nachfolgenden Teil.

Das Outro besteht aus Drums, worin Streicher den Abschluss suchen. Zudem habe ich beim Start der Wiederholung und vor dem Outro einen Chor eingebaut. Dies steigert punktuell die Dramatik und Dynamik des Stücks. Damit sind wir fertig:

Ein Cheatsheet mit Tipps und Tricks für deinen nächsten oder vielleicht sogar aller ersten Score findest du hier:

Bitte markiere mich doch auf meinem Twitteraccount @joelviotti, sobald du eine neue Melodie geschrieben hast. Lass uns für diese Posts auch gleich einen neuen Hashtag einführen: #digezzscore.

Viel Spass beim Komponieren!

(fms)

Kritik
von Joël Viotti

Motivation

Es ist immer spannend zu sehen und vor allem zu hören, wie eine einfache Idee zu einem Musikstück heranreift und sich im Prozess entwickelt. Sehr oft müssen die Studierenden bei Filmproduktionen für das Audio Urheberrechtsfragen klären. Studenten, welche sich für die nächste Produktion an das Audio wagen, haben allenfalls Interesse, kleine Scores selber zu produzieren, um diesem Problem aus dem Weg zu gehen. Dafür wollte ich ihnen einen Spickzettel mitgeben und anhand eines Beispiels den Prozess im wahrsten Sinne des Wortes durchspielen.

Equipment

Für das Musikstück griff ich auf verschiedene Plugins zurück:

  • Action Strikes
  • Orchestral Essential 1 und 2
  • Metropolis Ark 1 und 2

Aufgenommen wurde mit Logic Pro X

 Herausforderungen und Probleme

Ziemlich lange sass ich am Klavier, um eine spannende Idee für dieses Projekt zu entwickeln. Irgendwo harzte es immer. Nach zwölf Ideen entschied ich mich dann für eine melancholische, stolze und dennoch farbige und einfache Melodie. Spannend ist der tänzerische Anfang, wobei das Stück dann durch die letzten Akkorde an Fahrt aufnimmt. Beim letzten Akkord bittet das Ohr regelrecht um die Auflösung. Irgendwie wirkte diese Struktur auf mich. Darauf mischte ich Drums dazu. Aufgrund der etwas komplexen Rhythmik war dies eine schwierige, langanhaltende aber aufregende Reise. Zwischendrin war ich der Verzweiflung nahe, da durch die Drums bei einer Passage zu wenig Raum gelassen, bei einer anderen zu viel eingenommen wurde. Nachdem ich mit den Drums zufrieden war, verlief der Rest relativ unproblematisch. Bei der Dynamik wollte ich aber noch nachbessern. Dies schaffte ich mithilfe von Strings in Legato, welche die Hörner nach der Wiederholung unterstützen sowie einem Chor in Staccato.

 Fazit

Mit dem musikalischen Resultat und der Entwicklung des Stücks über die Zeit hinweg bin ich zufrieden. Da wir im Major Corporate Communications die Wichtigkeit der Pull-Kommunikation erlernen, wollte ich dies auch in diesem Projekt im kleinen Rahmen umsetzen, um mit den Studenten im Gespräch zu bleiben. Daher verlinkte ich meinen Twitteraccount im Beitrag, sodass Studenten oder Leser mich markieren können, wenn sie einen Score geschrieben haben. Dadurch wird die Geschichte interaktiv und crossmedial.

Das gestaltete Cheatsheet als Download ist für Musikproduktionen interessant und leistet einen Zusatznutzen für die Leser. Darüber hinaus kann Digezz durch den Klick eine weitere Pageimpression verzeichnen. Für die Leser wäre es allenfalls noch spannend gewesen, wenn ich den Prozess dokumentarisch per Video im Tagebuchstil festgehalten hätte. Dafür hätte ich mich noch stärker mit meiner Zielgruppe auseinandersetzten müssen, um schon früher zu diesem Insight zu gelangen. Zudem wäre es toll gewesen, das Audio schlussendlich effektiv mit einem Video zu untermalen, um herauszufinden, ob meine Story im Kopf wirklich funktioniert hätte.

Ziel dieses Beitrags war es jedoch, dem Leser durch das Cheatsheet ein kleines Helferlein in der Musikproduktion mitzugeben und ihn oder sie auf eine Reise mitzunehmen – die Reise von der ersten bis zur letzten Note.

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