Eine Weihnachtsgeschichte

Hier kommt eine Geschichte, die hoffentlich jeden Weihnachtsmuffel in Adventsstimmung versetzt.

Peter schaut aus dem Fenster. Draussen wirbeln dicke Schneeflocken durch die Luft. Es ist Sonntag, der 1. Advent. Die Nachbarskinder bauen einen Schneemann im Garten. Sehnsüchtig sieht er ihnen dabei zu. Wie gern wäre er dabei, wenn der Schneemann Augen, eine Nase und einen Mund bekommt. Er würde ihm sogar seinen Schal ausleihen. Schliesslich wendet Peter seinen Blick ab und schaut in seinem Zimmer umher. Sie waren arm, seine Mutter und er. Und trotzdem gab es hier viele Spielsachen. Sie kamen alle aus zweiter Hand, Peter jedoch behandelte sie, als hätte er sie erst gerade erhalten. Was ihm das Christkind wohl dieses Jahr bringen wird? Seinen Wunschzettel hatte er bereits im Oktober geschrieben und hinter ein paar Büchern versteckt. Heute Nacht wird er ihn auf den Fenstersims legen und hoffen, dass das Christkind vorbeikommt und ihn mitnimmt. Peter hat drei Wünsche: Dass sein Bein wieder gesund wird und er mit den anderen Kindern draussen spielen kann, ein Computerspiel und ein neues Fahrrad. Peter schaut sich seinen Gips an. Letzte Woche ist er auf dem Schulweg mit seinem Fahrrad verunfallt. Eine Autofahrerin tippte eine SMS in ihr Handy und hatte Peter übersehen. Nicht nur sein Fahrrad war dahin, sondern auch sein Knie. Über sechs Wochen muss er mit Krücken gehen, hatte der Arzt gesagt. Und das ausgerechnet jetzt, wo es anfängt zu schneien. Das einzig Gute daran: Peter muss nicht in die Schule und darf zuhause bleiben. Natürlich muss er das Versäumte nachholen und fleissig Hausaufgaben erledigen. Das stört ihn nicht, solange er in der gemütlichen Wohnung bleiben und ab und zu an seinem Computer spielen darf.

Am nächsten Morgen weckt ihn seine Mutter. Peter reibt sich müde die Augen. «Ist er weg, Mama?», fragt er sie. Seine Mutter geht zum Fenster und schaut auf den Sims. «Ja, das Christkind war wohl heute Nacht hier», lächelt sie ihn an. Peters Herz macht einen Hüpfer. «Wir müssen uns etwas beeilen. Du weisst, dass wir heute zum Arzt müssen», erinnert ihn seine Mutter. Peters Laune verändert sich schlagartig. Das hatte er total vergessen. Da seine Mutter kein Auto besitzt, müssen die beiden zuerst den Bus nehmen und das restliche Stück zu Fuss gehen. Eine anstrengende Prozedur für Peter. Ganz erschöpft kommt er mit seiner Mutter in der Arztpraxis an. Bevor sie hineingehen, bemerkt Peter aus dem Augenwinkel etwas Pelziges, das um die Hausecke verschwindet. Er will gerade genauer hinschauen, da ruft ihn seine Mutter: «Peter, wir wollen nicht zu spät kommen.» Der Arzt verkündet keine Neuigkeiten. Der Gips muss, wie vorgesehen, sechs Wochen dranbleiben. Peter solle sich die Zeit statt mit Schneemann-Bauen mit Lesen vertreiben.

Wieder zuhause, nimmt Peter die Hausaufgaben hervor, die ihm sein Schulfreund Sebastian vorbeigebracht hatte. Mathematik und Deutsch. Dies verbessert seine Stimmung nicht wirklich. Unmotiviert kaut er auf seinem Bleistift herum und versucht die Aufgaben zu lösen. Einen Dreisatz. Peter hasst Mathematik. Er lässt die Aufgaben liegen und humpelt zum Fenster. Der Schneemann, den die Nachbarskinder gestern gebaut hatten, steht unverändert da. Doch etwas stimmt hier nicht. Seit wann hat ein Schneemann denn einen buschigen Schwanz? Peter konzentriert sich und lässt den Schneemann nicht aus den Augen. In diesem Moment ruft seine Mutter aus der Küche, das Mittagessen sei angerichtet. Peter, nur für Sekunden abgelenkt, wendet seinen Blick wieder dem Fenster zu. Und weg ist das pelzige Etwas, das sich hinter dem Schneemann versteckt hatte. «Mist», schimpft Peter.

Die nächsten zwei Wochen verbringt Peter damit, immer aus dem Fenster zu schauen und nach seinem pelzigen Unbekannten Ausschau zu halten. Manchmal meint er ihn entdeckt zu haben, aber als er noch einmal hinsieht, scheint dort nichts zu sein. Seiner Mutter gefällt dies gar nicht und sie ermahnt ihn, seine Hausaufgaben nicht zu vernachlässigen. An den Wunschzettel denkt er gar nicht mehr. Und dann geschieht es, an einem Dienstagmorgen. Peter hat sich soeben die Zähne geputzt und humpelt in sein Zimmer. Als er das Fenster öffnet, um etwas frische Luft hineinzulassen, schauen ihn zwei grosse Augen an. Mitten im Gemeinschaftsgarten sitzt ein Hund. Mittelgross mit einem braunen gefleckten Fell und einem buschigen Schwanz. Peter will ihm gerade etwas zurufen, da hört er seinen Nachbarn vom oberen Stock schreien: «Verschwinde, du Köter!». Der Streuner rennt davon. Peter schliesst enttäuscht das Fenster.

Beim Nachtessen denkt er darüber nach. Woher kommt der Hund, wem gehört er wohl? Seine Mutter bemerkt seine gedankliche Abwesenheit: «An was denkst du?» «Ach, nichts», erwidert er. «Ich weiss, dass du gerne mit den anderen Kindern draussen spielen möchtest. Das kannst du sicher auch bald wieder. Wir müssen uns nur ein bisschen gedulden.» Die tröstenden Worte seiner Mutter tun ihm gut. «Da war ein Hund in unserem Garten. Ich glaube, das war der gleiche, den ich vor der Arztpraxis gesehen habe», sprudelt es aus Peter heraus. «Ach ja?». «Ja und er hat mich angesehen. Ich glaube, er hat kein Zuhause», fährt Peter fort. Seine Mutter schaut ihn liebevoll an: «Peter, der gehört bestimmt jemanden, vielleicht ist er einfach ausgebüxt.» Peter versinkt wieder in seinen Gedanken.

Im Bett deckt ihn seine Mutter zu und gibt ihm einen Gute-Nacht-Kuss. Sie löscht das Licht und verlässt sein Zimmer. Peter jedoch hat nicht vor zu schlafen. Er greift nach seinen Krücken und bewegt sich so leise wie möglich Richtung Fenster. Draussen ist es stockdunkel. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sucht er den Garten nach seinem pelzigen Besucher ab. Sicher eine Stunde lang versucht er verzweifelt, irgendetwas zu entdecken. Aber der Hund scheint ihn heute nicht mehr zu besuchen.
Traurig legt sich Peter wieder ins Bett.

Als Peter am nächsten Morgen erwacht, begrüssen ihn Eiskristalle an der Fensterscheibe. Es ist bitterkalt und es soll heute wieder Schnee geben. Die Chancen stehen schlecht, dass sich der Streuner bei diesen arktischen Temperaturen zeigen wird, denkt Peter. Beim Frühstück fragt ihn seine Mutter, ob er ihr helfen möchte, Weihnachtsplätzchen zu backen. Schliesslich sei in zwei Wochen Heiligabend. Den Rest des Morgens verbringen die beiden in der Küche, abwechselnd am Teig naschen. Am Nachmittag kriegt Peter Besuch von Sebastian. Dieser bringt ihm die neusten Hausaufgaben. Doch diese werden achtlos aufs Bett geworfen, während Peter schon einmal den PC startet. Erst als es dunkel wird, beenden sie das Computerspiel und Sebastian geht nach Hause. An den unbekannten Hund hat Peter den ganzen Nachmittag nicht mehr gedacht.

Die restlichen Tage bis Weihnachten verbringt Peter mit Computerspielen. Ab und zu wirft er einen Blick auf seine Hausaufgaben, die sich auf seinem Pult stapeln. Nur selten schaut er noch aus dem Fenster, um nach dem Streuner zu schauen. Er hat sich nicht mehr blicken lassen und Peter widmet sich gedanklich nun immer mehr seinen Weihnachtsgeschenken. Heiligabend steht vor der Tür und das bedeutet für seine Mutter meistens Stress. Trotz ihres spärlichen Einkommens möchte sie Peter jedes Jahr ein schönes Fest ermöglichen. Viele Verwandte gibt es nicht in ihrer Familie. Ihre Schwester wohnt weit weg, deshalb feiert sie mit Peter meistens alleine.

Das kleine Weihnachtsbäumchen mit den flackernden Kerzen steht in der Mitte des Wohnzimmers. Der Tisch ist gedeckt und es duftet nach Kartoffeln und Braten. Peter und seine Mutter setzen sich und beginnen zu essen. Er versucht es sich nicht anmerken zu lassen, dass sein Blick immer wieder zu den Geschenken unter dem Bäumchen wandert. Ein Fahrrad kann er nicht erkennen. Unter dem grünblauen Geschenkpapier könnte sich dafür ein neues Computerspiel abzeichnen. «Hat dir das Essen geschmeckt, Peter?» «Ja danke, es war sehr fein, Mama.» «Jetzt wollen wir die Geschenke öffnen», verkündet seine Mutter aufgeregt und überreicht ihm das grünblaue Päckchen. Peter öffnet es hastig. Am Blick ihres Sohnes kann die Mutter ablesen, dass sich Peter wohl etwas Anderes erhofft hatte. «Dieses Jahr hat es leider nicht für mehr gereicht, Peter. Du wirst an dem Buch bestimmt auch sehr viel Freude haben. Es handelt von Flugzeugen.» Peter kann seine Enttäuschung nicht verstecken. In diesem Moment hört er ein Geräusch. Er schaut Richtung Garten. Zwei grosse Augen schauen ihn an. Der Streuner drückt seine Nase platt an die Scheibe. «Streuner», ruft Peter fröhlich, springt zur Türe und lässt den Hund herein.

Den pelzigen Vierbeiner wiederzusehen, ist wohl das grösste Geschenk, das sich Peter hätte ausmalen können. Freudig schwänzelnd rennt der Hund durchs Wohnzimmer und zaubert Peter ein Lächeln aufs Gesicht. Mehr hätte sich seine Mutter für Peter nicht wünschen können.

(ae)

Kritik
von Sarah Huwiler

Idee
Weihnachten steht vor der Tür. Wieso also nicht passend zur Jahreszeit eine Weihnachtsgeschichte schreiben?

Umsetzung
Für die fertige Geschichte brauchte ich zwei Anläufe. Meine erste Weihnachtsgeschichte musste ich nach zwei Seiten in den Papierkorb befördern. Ich konnte nicht länger ignorieren, dass ich den Schreibstil eines Autors angenommen hatte, dessen Buch ich letzten Sommer gelesen habe. Ausserdem glich meine Hauptfigur charakterlich sehr gross derjenigen aus demselben Buch. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Auf jeden Fall lohnte es sich so nicht, weiterzuschreiben.
Also fing ich noch einmal von vorne a. Dieses Mal soll sich die Geschichte nicht um einen alten, griesgrämigen Mann handeln, sondern um ein Kind. Und was hat man sich als Kind sehnlichst gewünscht, wenn man es nicht schon hatte? Ein Haustier. So kam ich auf die Idee mit dem pelzigen Streuner.
Als Titelbild wählte ich eine winterliche Landschaft, die ich vor ein paar Jahren in Arosa fotografierte.

Reflexion
Die Geschichte war ein kleines Projekt. Ich wollte gerne etwas realisieren, das neben meinem letzten Digezz-Projekt dieses Semester noch Platz hatte. Deshalb blieb es beim schriftlichen Text ohne Illustrationen oder Ähnlichem. Ich hoffe, dass die Geschichte den einen oder anderen Weihnachtsmuffel in Weihnachtsstimmung versetzt.

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