„Ich kenne keine Schattenseiten“

Als Mensch sympathisch, als Journalist knallhart – Hansjürg Zumstein ist einer der erfolgreichsten Schweizer Dokumentarfilmer. Mit zahlreichen preisgekrönten Werken, wie „Die Akte UBS“, wirbelt er vor allem in wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten reichlich Staub auf. Als Dokumentarfilmer inspiriert Zumstein auch MMP-Studenten.

links: Hansjürg Zumstein (Copyright SRF/Karina Münch Reyes) – rechts: Screenshot aus “Die Akte UBS” vom 1.10.2009, SF Videoportal: Hansjürg Zumstein im Gespräch mit Bundesrat Hans-Rudolf Merz (r.) (Copyright SRF)

 

Welches ist dein Traumjob?

Journalist war schon immer mein Traumberuf.

Wie bist du Dok-Filmer geworden? Beschreibe deinen beruflichen Werdegang.

Ich absolvierte das KV und arbeitete daraufhin bei einer Bank, was mir aber überhaupt nicht gefiel. Die Bank befand sich gerade im Umbruch von manueller zu digitaler Datenverarbeitung. Der Mensch war dabei nur Bindeglied und hatte eine eintönige Arbeit zu verrichten. Deshalb rief ich bei einer Zeitungsredaktion an. Ich hatte Glück und konnte direkt mit einem Stage beginnen. Seither bin ich dem Journalismus treu geblieben. Auch während meines späteren Geschichtsstudiums habe ich stets für die Zeitung berichtet und konnte so meine Ausbildung finanzieren.

Welche Eigenschaften muss ein Dok-Filmer mitbringen?

Der Dokumentarfilm ist eine spezielle Art von Journalismus. Erst durch jahrelange Beschäftigung mit News bin ich Dok-Filmer geworden. Meine Dokumentarfilme orientieren sich stark an aktuellen Ereignissen. Dies bedeutet, dass ich mich täglich mit News auseinander zu setzen habe. Ich versuche tagesaktuelle Ereignisse zu vertiefen, Hintergründe auszuleuchten und Zusammenhänge aufzuzeigen. Dies bedeutet, dass ich mich minutiös und systematisch in ein Thema einarbeiten muss.

Wie kam es in der Dok-Redaktion dazu, dass du für die wirtschaftlichen und politischen Themen zuständig bist?

Schon damals in der Zeitungsredaktion waren politische und gesellschaftliche Themen mein Hauptgebiet. Beim Schweizer Fernsehen konnte ich mein Fachwissen in den Sendungen Kassensturz, Zehn vor Zehn und Rundschau erweitern. Meine aktuelle Tätigkeit stellt somit eine Fortsetzung zu meinen bisherigen Fernsehtätigkeiten dar. Bei Rundschau beispielsweise handelt es sich einfach um ein 10 Minuten-Format und bei Dok um ein 30 oder 50 Minuten-Format.

Wie frei kannst du das Thema eines Dok-Filmprojekts wählen?

Ziemlich frei, obwohl immer ein Konsens in der Redaktion zu finden ist. Ich denke aber, wenn ein Dok-Filmer pro Jahr drei Themen bearbeitet, sollte es schon möglich sein, sich auf Themen zu einigen. Auch wenn diese meist auf der Hand liegen, wie beispielsweise Euro-Krise oder UBS im Steuerstreit mit der USA. Es sind meist Ereignisse, die viel zu reden geben, mit denen sich der Journalist näher auseinandersetzen möchte.

Wie stehen die Chancen für Abgänger von medialen Studiengängen, bei der Dok-Redaktion Fuss zu fassen?

Die Idee, direkt als Dok-Filmer einzusteigen, finde ich nicht optimal. Es ist auch nicht so, dass Dok-Filmer an sich ein Traumberuf ist. Es braucht viel journalistische Erfahrung, um ein Thema auf diese Weise darzustellen, dass die Zuschauer einen Mehrwert daraus ziehen können. Diese Erfahrung gewinnt man durch jahrelange Beschäftigung in anderen journalistischen Formaten wie beispielsweise Kassensturz, Eco, Rundschau oder Zehn vor Zehn. Ich habe über zehn Jahre für das Format Rundschau gearbeitet, diese Zeit war unvergesslich und die Erfahrung journalistisch sehr wertvoll. Ich war auch sehr oft im Ausland, das war extrem faszinierend. Für einen Dok hingegen arbeitet man oft auch im Büro und beschäftigt sich mit Papieren und Dokumenten – insofern vermisse ich die Rundschau manchmal schon.

Was ist das Schönste am Journalismus?

Man ist am Puls der Zeit. Man trifft all die Menschen, über die gerade geredet wird und schreibt über die Themen, die in aller Munde sind. Dies macht die ganze Faszination aus.

Du bekommst grosse Persönlichkeiten vor die Kameralinse. Wie ist der Einfluss deines Bekanntheitsgrades sowie deiner beruflichen Etablierung bei der Gewinnung von Interviewpartnern?

Entscheidend ist nicht der Bekanntheitsgrad, sondern dass die Personen wissen, dass ich ihre Aussagen auf die durchaus kritischen Fragen journalistisch fair verwerte. Diese Eigenschaft lässt sich leicht an meinen Arbeiten kontrollieren. Ausländischen Persönlichkeiten, die nicht SF oder 3sat schauen, sende ich im Vorfeld eine DVD zu.

Kommst du noch dazu, in deiner Freizeit zu filmen?

Ich gebe auch VJ-Ausbildungsseminare und da lege ich meinen Auszubildenden den Gebrauch von Kameras für private Zwecke sehr ans Herz. In der Freizeit filme ich sehr gerne meine Kinder. Auf diese Weise lerne ich viel über Storytelling, d.h. wie die Dramaturgie aufgebaut und der Film gestaltet werden soll. Man lernt wesentlich mehr, als wenn man sich mit komplizierten Sujets beschäftigt. In der Freizeit setzt man sich unbelasteter und lockerer mit der Kamera auseinander. Man darf experimentieren und Fehler zulassen.

Was verdient man in deiner Funktion?

Ich verdiene etwas weniger als 10’000 CHF Netto im Monat. Beim Fernsehen beginnt der Lohn relativ hoch und steigt mit der Erfahrung nur leicht an, eine sogenannte nivellierte Lohnkurve. Nicht wie bei der Bank, wo der Lohn mit den Jahren explodiert. Unser Job ist allerdings krisensicherer.

Welches sind Schattenseiten?

Im Journalismus wird man von Aktualitäten regelrecht gehetzt, was das Risiko eines Burnouts erhöht. Bei mir besteht glücklicherweise keine Gefahr, weil ich während meiner Arbeit bei Magazinen gelernt habe, mit Agenda-Setting und selbst erschaffenen Aktualitäten umzugehen. Denn die Formate, für welche ich arbeite sind weniger von ständig wechselnden Aktualitäten geprägt als beispielsweise die Tagesschau. Für mich persönlich kenne ich somit keine Schattenseiten.

Deine Filme sind geprägt von harten investigativen Recherchen. Bist du schon heiklen Situationen begegnet?

Erstaunlicherweise war dies beim Kassensturz eher der Fall. Man beschäftigt sich teilweise mit Themen, die einfachere Firmen betreffen aber durchaus auch grössere Geldsummen auf dem Spiel stehen können. Diese Firmen greifen zum Teil zu irrationalen Massnahmen wie Bedrohungen. Eine Grossbank hingegen spricht keine Morddrohungen aus. Für den Journalisten ist entscheidend, präzis und sorgfältig zu arbeiten. Denn oft nehmen Anwälte jedes Wort und jedes Bild unter die Lupe, das wir über eine betroffene Firma oder Institution ausgestrahlt haben.

Hast du während Recherchearbeiten jemals politischen Gegenwind gespürt?

Dies gehört zum journalistischen Alltag. Politiker teilen zwar auf alle Seiten aus, aber wenn man sie kritisiert oder versucht, Widersprüche aufzuzeigen, reagieren sie pikiert.

Als wie relevant befindest du das Absolvieren eines Praktikums während des Studiums?

Ein Praktikum ist sinnvoll, denn man kann sich konkret vorstellen, was einem erwartet. Und auch, weil man es vorweisen kann bei einer Stellenbewerbung. Wenn jemand darüber hinaus einen guten Eindruck zurück lässt, dann findet er nach Ausbildungsabschluss in diesem Unternehmen leichter Zugang.