m4music – Von Hipstern, Blowjobs und genialer Musik

Die Sonne brennt, die Musik aus dem DRS-3-Bus brettert, die ersten Biere werden bereits getrunken. Sieht auf den ersten Blick sympathisch aus, als ich mich dem m4music im Schiffbau und im Exil in Zürich nähere.

Auf den zweiten Blick sehe ich jedoch bereits die Hipster Fraktion mit ihren schnittigen Schnäuzen und den alten Jute Sportbeuteln. Es wimmelt regelrecht von diesen Nerdbrillen – aber alle sind so doch so individuell in ihrem Styling – bitch please! Auch die vielen Menschen mit einer Medienakkreditierung wundern mich – aber irgendwie alle ohne Kamera, Mikrofon oder sonstigen Utensilien, die man für journalistische Arbeit benötigt. Man muss halt die richtigen Leute kennen. Naja, ich hole mir mal ein erstes Bier und überhöre schon den andern Typen Mensch, der anwesend sind. Die Blender, die «kurz vor dem Durchbruch» sind und ihren Sound sowieso «nicht beschreiben können, weil er so anders ist». Auch die Heuchler der schleimigen Business Fraktion waren da, die sich schnell mal zu einem oberflächlichen «Hey das hört sich gut an, machen wir ein Projekt zusammen, gib mir deine Visitenkarte» hinreissen liessen. Aber genug gehated, es gab schliesslich auch genügend sympathische, bodenständige Menschen, die das Festival zu etwas ziemlich Lässigem machten.

Das Festival

Das m4music, das Popmusikfestival des Migros Kulturprozent, fand dieses Jahr bereits zum 15. Mal statt und bot wieder eine Vielzahl an Angeboten. Von Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Workshops, in denen gestandene Musikkenner über den Zustand der Musikindustrie diskutierten und referierten, über die Demotape Clinic, in der hoffnungsvolle Nachwuchsbands in den Kategorien Pop, Electronic, Rock und Urban Preisgelder und Coachings gewinnen konnten bis zum Musikfestival selber, an dem namhafte Acts wie Boots Electric, Dispatch, Casper, Modeselektor, Mark Lanegan und viele Schweizer Bands wie Boy, One Sentence. Supervisor, Bastian Baker, Goodbye Fairbanks, Huck Finn und weitere auftraten.

Die Musik

Mit Highlights ist das ja immer so eine subjektive Sache, aber unbestrittene Nummer eins waren die auch bei Musikkennern teilweise unbekannten Dispatch, die mit ihrer Mischung aus Rock, Reggae, Funk und Folk den passenden Sound zu den momentanen Frühlingsgefühlen bereit hatten und die Halle damit in einen extatischen Zustand versetze. Menschen tanzten, lagen sich in den Armen und sangen lauthals mit – Endorphine-Schübe am Laufmeter sozusagen. Lag sicherlich auch daran, dass die Band seit ihrer Gründung 1996 noch nie auf unserer Seite des Atlantiks war und momentan auf ihrer ersten Europa-Tournee sind.

Der Blowjob

Nicht nur musikalisch eine Perle: Jesse «The Devil» Hughes a.k.a Mr. Boots Electric a.k.a Maurice Chevalier. Der grossgewachsene, leicht tuntige Herr mit mächtigem Pornobalken und verspiegelter Sonnenbrille im Gesicht, wurde am Samstag dauerkiffend gesichtet. Trotzdem war er total aufgedreht und erzählte Dinge im Interview, die sein Tour Manager nachher mit einem «Ehm that part with the blowjob…can you please cut that out?» kommentierte. Mehr davon seht ihr bald auf POPBAR.

Die Kunst

Besonders erwähnenswert sind die ausgestellten Bilder aus dem Bilderband «The Moment After The Show» von Fotograf Matthias Willi und Journalist Olivier Joliat. Sie hatten das Privileg verschiedenste Musiker in einem sehr intimen Moment fotografieren zu dürfen – eben den Moment nach der Show. Die Musiker zeigen sich von ihrer uneitlen Seite, sie sind verschwitzt, zerzaust, dreckig, glücklich – Hirnfutter für Groupies. Ein paar Appetizer davon gibt es auf ihrer Seite zu geniessen.

Die Fehlentscheidung

Leider waren gewisse Booking Entscheidungen bei der Verteilung der Acts auf die Venues fragwürdig. So war der Andrang bei dem deutsch-schweizerischen Duo Boy im kleinen Moods so riesig, dass die Halle beim ebenfalls schwer gehypten und parallel spielenden Casper ziemlich karg besiedelt war. Casper funktioniert in einem kleinen Club einfach besser und Boy hätten mehr Menschen glücklich gemacht – die Organisatoren waren wahrscheinlich selber überrascht. Auch vergoss der eine oder andere Musikliebhaber eine Träne, als er bei Mark Lanegan keinen Zutritt mehr ins Moods fand – auch ich hatte feuchte Augen.