Berlinale Digest: La Chispa de la Vida

Wir waren an der Berlinale. Zu viele Filme, zu wenig Tickets. Man nimmt was man bekommt. Trotzdem war es ein lohnenswerter Ausflug.

Vorgeschichte
Berlin. Im Februar. Die unzähligen Filme der 62. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele Berlins sind zu bestaunen. Wenn man denn Tickets erhält. Mit einer Studentenakkreditierung bekommt man solche ohne mühsames Anstehen. Alles über 15 Minuten ist mühsam. Der Nachteil: Man erhält einfach die Tickets die, eh keine Sau will. Ausser man ist ExtremfrühaufsteherIn und reiht sich eine Dreiviertelstunde in klirrender Kälte in die Menschenschlange vor dem Pressegebäude der Berlinale ein. Dies ist ein Ding der Unmöglichkeit: Man ist Student und somit als Extremfrühaufsteher unqualifiziert. Wie dem auch sei, ich erhalte ein Ticket für den Film mit dem verheissungsvollen Namen “La Chispa de la Vida”, der Lebensfunke.

Unsere Plätze finden wir auf dem Balkon vorne rechts, vor der grössten Theaterbühne der Welt. Im Friedrichstadtpalast. Fassungsvermögen: knapp 2000 Filmhungrige. Irgendwas stimmt nicht. Bis dato begannen die Berlinale Filmvorführungen immer pünktlich. Nun drücken wir unsere Pobacken seit einer Viertelstunde in die extrem unflauschigen Holzklappbänke. Die Stimmung im Publikum hält. Noch. Es gibt die ersten La-Ola-Versuche. Absolut erfolgreich. Das Publikum feiert sich selbst. Für jede abgeschlossene La-Ola-Welle gibt es von den Zuschauern Applaus; für sich selbst. Freude herrscht.

Nach einer halben Stunde läuft immer noch kein Film. Und schlimmer noch: keine Ansage, keine Entschuldigung. Die Stimmung kippt. Unsere Pobacken von den Druckstellen ins Koma befördert. Die Festivalverantwortlichen haben gnadenlos versagt. Sie haben es versäumt, die Meute zu informieren, dass das werte Filmteam Verspätung hat und dass sich die Vorführung verzögert. Dies wird 45 Minuten nach dem offiziellen Filmstartzeitpunkt nachgeholt. “Das Filmteam hat etwas Verspätung. Das Team ist soeben eingetroffen und ist in 5 Minuten da,” piepst der Moderator mickrig entschuldigend ins Mikrophon. Von den Zuschauerrängen: Buhrufe. Also noch 5 Minuten. Der Film sollte also besser überragend sein, wenn man die Leute schon so lange warten lässt.

Dann der Knaller: Alex de Iglesia, Selma Hayek, José Mota und Co. betreten die Bühne. Schreiten über die weltgrösste Theaterbühne. Das knapp 2000 Mann und Frau starke Publikum kennt keine Gnade: Die Filmcrew wird lautstark ausgebuht und ausgepfiffen. Was für eine Premierestart! Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken, wobei der Fehler ganz klar auf die Kappe der Berlinaleverantwortlichen geht. Deppen.

Film ab:
“La Chispa de la Vida” handelt vom – mittlerweile beruflich erfolglosen – Werbetexter Roberto, gespielt vom hervorragenden José Mota. Hut ab, der Typ versteht sein Handwerk. Roberto hat zwei Kinder – Strebertochter, Emo-Sohn – und ist mit Luisa verheiratet, gespielt von der eher glanzlosen Selma Hayek.

Die Handlung: Roberto textete einst einen überaus erfolgreichen Slogan für Coca Cola: “La Chispa de la Vida”. Doch dies ist Jahre her, seitdem ging es mit seiner Karriere bergab. Roberto ist arbeitslos, auf Stellensuche und klopft bei seinem ehemaligen Arbeitgeber an. Dort lässt uns Regisseur Alex de Iglesia in den Film einsteigen. Roberto macht sich also auf zum ehemaligen Arbeitgeber. Den erhofften Job erhält er nicht. Völlig verzweifelt und aufgelöst fährt Roberto los. Er will noch einmal das Hotel aufsuchen, wo er mit Luisa die Flitterwochen verbracht hat. Doch das Hotel hat einer Ausgrabungsstätte Platz machen müssen, anstelle der Honeymoonsuite steht da ein antikes römisches Amphitheater. Wie es der (Film-)Zufall will, soll an diesem Abend die Ausgrabungsstätte eingeweiht werden. Presse, TV, Radio, alles ist vor Ort. Roberto streunt im Amphitheater umher und verunglückt. Er stürzt und bleibt schwer verletzt auf Betonverbundstäben in der Mitte des Theaters liegen. Die Eröffnung beginnt. Die Aufmerksamkeit der TV-Kameras gilt nun natürlich Roberto und nicht dem antiken, römischen Schnickschnack. Roberto, immer noch in völlig beruflicher Verzweiflung, will aus der Situation Kapital schlagen. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Alex de Iglesia wagt mit seinem neuen Film den Spagat zwischen Komödie und Drama. Und kriegt beide Beine leider nicht ganz auf den Boden. Der Film beginnt frisch, lustig, leicht. Doch schon bald sind die ersten Witze abgelutscht, und man kann sich in etwa denken, was als nächstes passiert, um dem Publikum einen verlegenen Lacher abzuknöpfen. Die Szenen im Amphitheater sind wie ein klassisches Theater inszeniert: Erster Protagonist taucht auf, hat seinen Auftritt, verschwindet. Nächster Protagonist betritt die Bühne etc. Die Übertragung vom Theaterspiel auf die Kinoleinwand gelingt dem Regisseur. Das in der 2. Filmhälfte inszenierte Drama um den Überlebenskampf von Roberto und seiner beschützerischen Frau Luisa, entlockt einem die Emotionen, die der restliche Film vermissen lässt. An dieser Stelle: Grosse Gefühle, grosses Kino. Hier läuft auch Selma Hayek zu Hochform auf. Alex de Iglesia hält uns Medienkonsumenten an dieser Stelle den Spiegel vor. Wie krank unsere Gesellschaft doch ist: Vor lauter Mediengeilheit – und dem Profit den wir uns davon versprechen – erkennen wir den Ernst der Lage nicht mehr.

Doch da ist ja noch der Spagat mit dem Comedy-Faktor: Der Humor bewegt sich auf dünnem Eis. Gags werden oft wiederholt. Spätestens als Robertos Sohn mit seinen Springerstiefeln die Betonverbundsstäbe betritt und dem Protagonisten zum xten Mal höllische Schmerzen zufügt werden, bricht das Eis, und der Witz fällt ins Wasser. Alles in allem ist es keine schlechte Unterhaltung. Aber auch nicht mehr. Das Prädikat “gut” kann sich der Film nicht verdienen. Zu lasch sind die Witze, zuwenig überraschend die Handlung. Einzig die Kritik an der Gesellschaft, sich für Medien prostituieren zu lassen, fruchtet und regt zum nachdenken an.

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