Anna Rossinelli

Das Trauma ist hausgemacht

Der ESC (Eurovision Song Contest) ist vorbei, Anna Rossinelli, die grosse Schweizer Hoffnung, landete abgeschlagen auf dem letzten Platz. Skandal! Enttäuschung! Vetternwirtschaft! Echt jetzt? Eine kurze Bestandesaufnahme.

Gross war sie, die Euphorie in der Schweiz. Dieses Jahr würden wir’s packen. Die Anna, sie würde unsere Lena werden. Wieso auch nicht? Die Schweizer Medien berichteten artig über jeden kleinen Mückenschiss, der im Ausland über Anna veröffentlicht wurde. Und wir hörten artig zu, glaubten daran, dass Anna tatsächlich europaweit gut ankomme, gar zu den Favoriten zählen könnte. Und dieses Liedchen, «In Love For A While», da konnte man ja sogar richtig mitpfeifen. DJ Bobo, Piero und all die anderen Versager waren vergessen. Die Anna, unsere Lena.

Und dann kam sie, diese fiese Klatsche. Hinterhältig und mit voller Wucht klatschten uns mickrige 19 Punkte ins Gesicht. Neunzehn. Das waren 202 Punkte weniger, als das Gewinner-Duo aus Aserbaidschan mit ihrem Kuschelrock Duett aus Plastik und Kitsch einfahren konnte. Und sogar Estland kamen als Zweitletzte auf 25 Zähler mehr als die Schweiz. Die Ernüchterung nach dem Finale war gross.

Gut, sind wir ehrlich. Wer den ESC kennt und die vergangenen Jahre verfolgt hat, weiss, dass Anna nie eine reelle Chance hatte. Zu wenig Kitsch. Zu wenig Trash. Zu wenig abgefahren. Zu wenig Pathos. Zu wenig Hit. Zu wenig halt. Denn beim ESC gelten andere Regeln. Hier gewinnt Kitsch, Trash und Show. Zum Duett aus Aserbaidschan hätten unter normalen Umständen wohl höchstens Fünfjährige mit dem Kopf mitgewippt. Aber die tun das auch bei DJ Bobo. Und Kasperlilieder. Und Wham.

Wer ist denn nun aber Schuld an der grossen Blamage? In erster Linie ist es keine Blamage, denn Anna hat das geschafft, was in den letzten drei Jahren gleich drei erfolgreichen Schweizer Musikern verwehrt blieb. Den Einzug ins Finale. Was haben wir uns gefreut, als dieses digitale Couvert das Schweizer Wappen ausspuckte. Dass wir dabei als zehntplatzierte und nur einen Punkt vor Malta in den Final einzogen, scherte zu diesem Zeitpunkt niemanden. Anna Rossinelli, unsere Lena, war im Finale.

Doch die beiden Mädchen könnten unterschiedlicher nicht sein. Beide sind zwar jung, süss, ein wenig unbeholfen und verfügen über eine durchschnittliche, aber schöne Stimme. Doch das war es dann auch schon. Lenas Siegersong «Satellite» war vor einem Jahr bereits vor der Endausscheidung Europaweit ein Hit. Dafür hatten das deutsche Fernsehen, die Radios und Stefan Raab gesorgt. Lena war frech, ein kleiner Trampel, aber eben gerade deshalb so sympathisch. Anna hingegen wirkte immer abgeklärt, antwortete brav, eckte nie an. Doch das, was ihr im Gegensatz zu Lena wirklich fehlte, war ein Hit. Ausser in der Schweiz kannte am ESC niemand Annas netten kleinen Liebessong. Die eingängige Melodie konnte sich in den offensichtlich anders gestrickten Gehirnen des ESC Stammpublikums nicht festsetzten.

Die Anna, unsere Lena, war so gar nicht Lena-like. Der Hype, die Vergleiche mit Lena, die angeblichen Finalchancen, alles hausgemacht, so auch die darauf folgende Enttäuschung nach dem letzten Finalplatz. Google prophezeite Anna 21 Punkte und den letzten Platz. Die lagen näher dran als die ganze Schweiz. Die hätte sich besser auch auf die Realität konzentriert. Denn auch ohne die obligate Punkteverteilung nach Sympathie hatte «In Love For A While», dieser nette kleine Song mit der schönen Melodie, keine Chance. Anna war eben nicht Lena. Sie war einfach nur Anna. Für den ESC ist das aber leider zu wenig. Und wenn wir ehrlich sind: Who cares?