Die Kirschtorte

Es regnet in Berlin, schon die ganze Woche. Vor unserem Apartment sickert, was vermutlich mal eine Kirschtorte war, langsam über den Asphalt und malt ein Gemälde, das jeden Tag schwieriger zu erkennen ist. Daneben steht das schwarze Motorrad, als wache es über die Kuchenresten. Der perfekte Nährstoff für ein Experiment.

Einen Comic zu animieren, ohne dass der klassische Lesefluss verloren geht.
Eine Geschichte über zwei Menschen, die sich besser nie begegnet wären:

Als Comic:

die-kirschtorte

Als Video:

(fs)

Kritik
von Anna Kreidler und Micha Lips

„Die Kirschtorte“ war zunächst ein wörtliches Storyboard, es sollte die Zeichnungen nicht einschränken, sondern nur die Inspiration dazu sein:

Grossstadt, graue Häuserzeile, unten grössere Strasse
Szene in Haus, 5. Stock, kleine Küche: Frau sitzt am Tisch, neben ihr Backofen
Im Backofen eine Kirschtorte, fertig, Frau nimmt sie raus
stellt Kirschtorte auf Fensterbrett, zum Auskühlen
Fenster wieder zu, Blick auf die Uhr, sie wartet auf jemanden
Rabe landet auf Fensterbrett neben Torte, starrt rein, Blickkontakt Frau und Rabe
draussen fährt ein Motorrad vor
es klingelt, sie zuckt zusammen, mahnender Blick zum Raben
sie geht aus der Küche, um Besuch reinzulassen
Rabe flattert, krächzt, Torte fällt von Fensterbrett
Rabe weg
Blick zum Fenster rein: Frau mit Mann wieder in der Küche, sie küssen sich.
Später, dunkel, Licht der Strassenlaterne: draussen geht die Haustür auf
Frau und Mann verabschieden sich
Er geht zum Motorrad, sie bleibt noch im Türrahmen stehen
Mann schaut zu Boden
zerdrückte Torte, daneben: toter Rabe

Illustration in Photoshop
Da die Story vor allem durch Bilder und nicht durch Dialog lebt, eignete sich das Format Comic. Die Ilustrationen sind schwarz weiss gehalten. Denn: Berlin ist uns nicht in bunter Erinnerung geblieben – während unseres Aufenthalts hat es permanent geregnet. Dieser Stil verhilft dem Video zu einer aufgeräumten Optik, die komplett weissen Flächen der Comic-Ebene gehen mit dem „unendlich weissen Raum“ einher.

Animation in After Effects
„Die Kirschtorte“ sollte aber noch auf einer weiteren Ebene zum Leben erweckt werden – indem wir sie animierten. Wir haben uns für eine Kamerafahrt über den Comic entschieden, weil das am ehesten dem Leseverhalten gleichkommt. Hätten wir die einzelnen Bilder animiert, würde die Geschichte anders erzählt werden.
Für diesen Schritt nutzten wir das Tool „Virtuelle Kamera im 3D-Raum“.

Vertonung in Logic Pro X und Premiere Pro
Da Geschichten nicht nur visuell sondern auch auditiv erzählt werden können, gibt es eine Off-Stimme. Dabei haben wir besonders darauf geachtet, nicht zu erzählen, was der Zuschauer sowieso schon sieht. Sondern ihm Hintergrundwissen, sprich die Vorgeschichte der Protagonisten, zu erzählen. Der Konflikt baut sich auf zwei Ebenen parallel auf: der erzählten und der gezeichneten.
Erst in diesem Prozess entstand die Idee, den Raben und den Mann auf eine Ebene zu setzen und ihnen die gleichen Attribute zu zuschreiben.
Die Geräuschkulisse dient unter anderem dazu, die Charaktere hervorzuheben und die Beziehungen zwischen ihnen zu definieren.
Die Musik im Hintergrund wurde mit der E-Gitarre eingespielt und in Logic Pro X produziert. Dafür wurden Amp Simulationen von BIAS by Positive Grid verwendet. Die einzelnen Ebenen wurden in Premiere Pro zusammengefügt.

Das war tricky:
Das richtige Timing zwischen Kamerafahrt (schneller oder langsamer), Sound und Erzähler zu finden. Weil die Geschichte auf mehreren Ebenen erzählt wird, muss dem Zuschauer genügend Zeit gegeben werden, um mit zu schauen und zu denken. Gleichzeitig soll der Fluss nicht unterbrochen werden, die Schnellmerker sollen sich ja nicht langweilen. Eine Gratwanderung: Weil wir die Geschichte schon in – und auswendig kennen und uns alle Zusammenhänge klar sind.

Wir finden, dass:
Das Experiment grundsätzlich geglückt ist. Wir waren nicht sicher, ob dabei überhaupt etwas Verwendbares entsteht. Als Endresultat kam dabei aber ein eigenständiges Produkt heraus, wie wir es in dieser Form noch nicht gesehen haben. Aber: Vielleicht überfordern wir den Zuschauer damit ein bisschen. Nicht alle unserer Probanden haben die Geschichte auf anhieb verstanden. Allgemein ist der Look vielleicht schon zu „clean“. Das ist natürlich auch Geschmacksache. Es soll ja auch Menschen geben, die keine Kirschtorte mögen.

 

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