Die Kunst der Reportage

Eine Reportage über einen Tagesablauf einer Person zu drehen ist grundsätzlich nicht all zu schwer. Es bedarf einer anständigen Videokamera mit einem grossen Akku, Geduld und einem unbändigen “Draufhaltewillen”. Zusätzlich ist die Vorstellung, was genau man erzählen will und die Mitarbeit der Protagonisten bzw. des Unternehmens von Vorteil.

Mit dieser Vorstellung machten wir uns an einem kalten Frühlingsmorgen nach Reinach, im Kanton Aargau, zur Stiftung Lebenshilfe auf. Unser Dozent verlangte eine Reportage und die Stiftung Lebenshilfe einen Film, der die Wohngemeinschaften der Stiftung vorstellt.

Wir dachten dies ergänzt sich perfekt und würde gleich beide Parteien zufrieden stellen. Eine gesunde Portion Naivität führte uns durch diesen Tag und wir waren am Ende des Tages glücklich mit unseren Aufnahmen, den Interviews und den schönen Bildern.

Umso mehr traf uns der Schlag als wir mit unserem Dozenten Heiner Gatzemeier den Rohschnitt ansahen. Er lobte unser Material, teilte uns aber zugleich mit, dass wir mit diesem die Bedingungen für eine Reportage nicht erfüllen. Essenzielle Szenen waren nicht vorhanden, die einen fortlaufenden Handlungsstrang ergeben würden. Daher forderte er uns auf, nochmals von vorne anzufangen und die Idee mit der Lebenshilfe zu vergessen. Für uns war dies ein Schock, denn die Zeit drängte und das Abgabedatum für die Reportage rückte in grossen Schritten näher. Die Aufnahmen der Lebenshilfe waren aber nicht verloren, da sie die Wohnsituationen perfekt zeigten.

Der Fall war klar; der Film für die Stiftung Lebenshilfe wird nach ihren Anforderungen fertig gestellt und ein neues Konzept für einen zweiten Film, inklusive Dreh und Rohschnitt, musste innerhalb einer Woche her. Dies ist uns mit viel Herzblut und Glück auch gelungen. Die Resultate stellten beide Parteien und somit auch uns zufrieden und zeigen zusätzlich sehr schön den grossen Unterschied der beiden Projekte:

Wohnen in der LH:

Stefan Domeisen – Just a normal training day:

Kritik
von Sven Schnyder, Mirjam Ramseier und Luca Steiner

Schliesslich ging ja alles gut. Trotzdem würden wir das nächste Mal sehr vieles anders machen. Die Kritik ist aufgeteilt in die zwei Filme und beinhaltet viele wertvolle Tipps wie man es machen beziehungsweise nicht machen sollte. Wir möchten diese allen empfehlen, die im Reportagebereich nicht auch beim ersten Mal «auf die Schnauze» fallen wollen.

Film Stiftung Lebenshilfe

Der fertige Film erfüllt die Anforderungen der Stiftung Lebenshilfe sehr gut und hat auch einen positiven Eindruck beim Publikum hinterlassen. In der Kritik möchten wir uns deshalb vor allem auf die Funktion des Films als Reportage fokussieren.

Erster Fehler: Wir kamen Morgens sehr knapp in Reinach an und sprangen mit der Kamera im Anschlag aus dem Auto heraus. Unsere Protagonisten hatten wir zuvor noch nie gesehen – ein No-Go bei Personen mit geistiger Behinderung sowie bei Menschen mit besonderem Förderbedarf. Wir lernten Nathalie, Michael und die anderen Bewohner erst im Laufe des Tages kennen. Man spürte wie das Vertrauen sich langsam entwickeln musste, was auch in unseren Aufnahmen ersichtlich ist. Während am Morgen alle verschlossen waren, entwickelte sich gegen Abend eine gewisse Offenheit. Dieser Umstand führte dazu, dass sämtliche Gespräche mit den Bewohnern auf den Nachmittag und Abend verschoben wurden.

Zweiter Fehler: Die Aufnahmen waren toll, doch wir vergassen einen wichtigen Faktor. Unsere ganze Konzentration an diesem Drehtag galt dem Projekt der Stiftung Lebenshilfe. Dabei gingen aber die entscheidenden Elemente für die Reportage verloren. So begnügten wir uns zum Beispiel damit, dass wir niemanden beim Mittagessen filmen durften, da ein Kamerateam die Leute im Essenssaal unnötig nervös gemacht hätte. Nett wie wir waren, gaben wir uns mit dem zufrieden was wir filmen durften. Diese Zurückhaltung und das fehlende Durchsetzungsvermögen warf uns unser Dozent Heiner Gatzemeier dann auch zurecht vor. Dadurch fehlte es uns an Bildmaterial, welches für eine vollständige Darstellung des Tagesablaufes unabdingbar wäre.

Da kann auch ein Off-Text keine Abhilfe mehr schaffen. In solch einer Situation sollte man sich am Drehort erklären und durchsetzen oder zusammenpacken und das Projekt begraben. Da wir und die Stiftung aber dennoch happy waren mit den Aufnahmen kam es nicht dazu. Was uns zum nächsten Fehler führt.

Dritter Fehler: Wir wollten mit dem Projekt mehreren Anspruchsgruppen gerecht werden. Die eierlegende Wollmilchsau ist aber nicht die beste Strategie, wenn du dich in einem Lernprozess befindest und deine erste Reportage drehst. Soll heissen: Konzentriere dich möglichst auf einen Anspruch - in diesem Fall eine funktionierende Reportage zu drehen oder eben einen Erklärfiilm über die Wohngemeinschaften der Stiftung Lebenshilfe zu realisieren. Da wiederum funktioniert dann auch ein Off-Text.

Film Stefan Domeisen

Dieser Film war eine Wohltat. Ein Protagonist der bereits Erfahrung mit den Medien hat, ein Alltag der an Abwechslung nicht zu überbieten ist, geniales Wetter an den Drehtagen und das Wichtigste: Keine Drehverbote. Mit diesen Bedingungen lässt sich gut eine tolle Reportage drehen. Doch auch hier gab es Hürden die zu meistern waren.

Drehzeit: Gefilmt wurde aus Termingründen an einem Montagnachmittag und einem Dienstagmorgen. Hier waren die Wettergötter gnädig und schenkten uns an beiden Tagen identische  Wetterbedingungen. Ein wenig Glück wurde hier, neben einer guten Wetterkarte, auch beansprucht.

Logistik: Die Drehorte waren sehr verteilt und erforderten viel Mitarbeit von verschiedenen Leuten. Stefans Eltern halfen hier tatkräftig mit. Ein Auto, ein Schiff mit Fahrer, ein Materiallager, Verpflegung und eine tolle Gastfreundschaft sind ihnen zu verdanken. Darum an dieser Stelle ein dickes Dankeschön an diese Beiden.

Die Sportszenen: Szenen mit viel Bewegung im Bild (er)fordern auch eine gewisse Bewegung hinter der Kamera. Dies war vor allem beim Biken gefragt. Um der ganzen Szene eine gewisse Action zu verpassen, entschieden wir uns Stefan hinterher zu rennen. Dies brachte dank dem Tempo,dem unebenen Gelände und den verschiedenen Hindernissen auf Gesichtshöhe auch uns ein wenig Action. Dabei ist eine gewisse sportliche Grundfitness und ein guter Bildstabilisator sehr zu empfehlen. Dieser war auch auf dem Zürichsee gefragt. Das Tempo von Stefan forderte unserem Motorboot einiges ab. Dies verursachte ziemliche Wellen unsererseits. Daher entschieden wir uns für einen grösseren Abstand zu Stefan und einem starken Zoom, was mit der Canon XF sehr gut funktionierte.

Der Sportler: Neben dem Lärm des Motorbootes verunmöglichte die ständige Bewegung unseres Kanuten eine vernünftige Situation um über sich und seinen Alltag zu sprechen. Daher entschieden wir uns für eine Technik, die in einer normalen Reportage nicht zum Zug kommt: Ein gestelltes Interview. Dies ermöglichte Stefan ruhig und sachlich zu erzählen ohne dass er immer wieder nach Luft schnappen musste. Dies war ein gewisses Risiko, welches sich aber in diesem speziellen Fall mit einem Sportler als goldrichtig erwies. Seine Gelassenheit im Interview stand im krassen Gegensatz zur puren Kraft und Energie seines Trainings und ergänzte sich trotzdem perfekt.

Zum Schluss der Kritik noch eine technische Anmerkung. Wir haben bei beiden Projekten mit einer Canon 5D und einer Canon XF gefilmt und können dies nur empfehlen. Die Canon XF ist durch ihren super Bildstabilisator und das schnörkellose Bild sehr gut für Reportagen geeignet und die Canon 5D ist mit ihren Eigenschaften für mögliche Interviews und lichtarme Situationen die perfekte Ergänzung.

In diesem Sinne viel Spass bei der nächsten Reportage und vielen Dank an Heiner Gatzemeier für seine wertvollen Inputs.

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar