Kia Soul EV

Elektrisch on Tour

Eine rund 450 Kilometer lange Tour von Linthal über Spreitenbach, Bern, durchs Emmental, über Zug und wieder nach Hause nach Linthal. Mit dem Auto. Eigentlich eine völlig unspektakuläre Angelegenheit. Wenn das Gefährt jedoch ein reines Elektroauto ist, das gemäss NEFZ-Norm 212 Kilometer weit kommt und der Bordcomputer bei der Abfahrt gar nur 130 Kilometer reale Reichweite signalisiert, dann… tja, dann bekommt die Tour durchaus etwas Abenteuerliches.

Während man bei einem konventionellen Auto mit Verbrennungsmotor einfach einsteigen und losfahren kann, bedarf es bei einem Elektroauto gewisse Vorbereitungen, wenn das Ziel ausserhalb der Reichweite liegt. Wer über starke Nerven verfügt und nur in Stresssituationen klar denken kann, darf natürlich gerne auf gut Glück losfahren und sich unterwegs um das Auffinden einer geeigneten Lademöglichkeit kümmern. Wer sich jedoch lieber auf der sicheren Seite wähnt, der checkt – wie ich es getan habe – am Abend zuvor, wo es auf der Route Ladestationen hat. Dafür bieten sich zwei Plattformen an, nämlich Lemnet und Chargemap, beide sind auch als App für Android und iOS erhältlich. Ich empfehle Chargemap, da sich sowohl die Website, als auch die App intuitiver bedienen lässt. Ausserdem scheint es, als ob Chargemap mehr Ladestationen verzeichnet hat. Chargemap ist ausserdem eine Community, d.h., die User können die Ladestationen kommentieren und fotografieren. Somit werden die Erfahrungen von Elektroauto-Fahrern ausgetauscht.

Chargemap App

Karte bei Chargemap (Kartenmaterial von Google), hier mit den CHAdeMO-Anschlüssen.

Ich habe mich für eine Route entschieden, die etwas Nervenkitzel beinhaltet. Auf dem Rückweg von Bern nach Zug durchs Emmental existiert nämlich keine einzige Ladesäule, die ich im Notfall ansteuern könnte. Die Distanz von 111 Kilometern erscheint mir allerdings machbar. Doch wie so oft, muss sich ein theoretischer Plan erstmal in der Praxis bewähren. Ob sich mein Plan bewährt, das möchte ich auf der Strasse herausfinden.

Die grosse Diskrepanz zwischen den versprochenen 212 Kilometern Reichweite und den 130, die der Bordcomputer bei der Abfahrt meldet, erklärt sich teilweise durch die winterlichen Temperaturen (bis zu -9°C am Tag der Tour). Bei tiefen Temperaturen wird das Elektrolyt (die Substanz, die in einer Akkuzelle für die Stromleitung zwischen Minus- und Plusspol sorgt) dickflüssiger. Die Folge davon: Die elektrochemischen Prozesse laufen langsamer ab. Damit steigt der Innenwiderstand der Batterie, die nun weniger leistungsfähig ist. Für mich als Fahrer bedeutet dies schlussendlich: Weniger Reichweite. Zusätzlich erhöhen die Winterreifen aufgrund ihrer Beschaffenheit im Vergleich zu Sommerreifen den Rollwiderstand, auch das kostet Reichweite. Diese Faktoren bringen im Winter das Elektroauto an den Rand der Alltagstauglichkeit. Nichtsdestotrotz möchte ich herausfinden, mit welchen Problemen und Überraschungen man mit einem Elektroauto auf einer längeren Tour zu kämpfen hat.

Geplante Route

Die geplante Route. Auf der Strecke zwischen der AMAG Bern und AMAG ZUG befindet sich keiner einzige Lademöglichkeit. Pro Etappe liegen maximal 111 Kilometer dazwischen.

Ich fahre in Linthal, dem hintersten Ende des Kantons Glarus, ab und verliere trotz eingeschalteter Heizung nur wenige Kilometer Reichweite. Der Grund: Es geht die ersten 20 Kilometer langsam, aber stetig bergab, ich verliere rund 220 Höhenmeter. Eine Tatsache, die in einem Auto mit Verbrennungsmotor weder interessiert, noch spürbar ist. In einem Elektroauto sieht das ganz anders aus. Da das Auto häufig rekuperiert und somit ständig Strom zurückgewinnt, geht nur wenig Reichweite verloren. Das ändert sich auf der Autobahn schlagartig. Da der Luftwiderstand ab Tempo 100 exponentiell ansteigt, schmilzt die Reichweite schnell dahin, wenn man mit 120 km/h oder noch mehr dahinbraust. Wenn man sich absolut sicher ist, das Ziel zu erreichen, kann man mit einem Elektroauto natürlich problemlos schnell unterwegs sein. Ich erreiche die Umweltarena mit einer Restladung von 27 % und schliesse das Auto an der CHAdeMO-Schnellladesäule an. Es existieren vier Standards für eine Schnellladung: CHAdeMO, CCS, Typ 2 (auch als Mennekes bekannt) und Tesla Supercharger, der allerdings nur mit Teslas kompatibel ist. Meistens sind an einer Ladestation zwar mehrere Anschlüsse, jedoch nur einer oder zwei Stecker pro Anschluss vorhanden  – sind die besetzt, steht man unter Umständen ganz schön blöd da, vor allem, wenn die Restladung nicht ausreicht, um zur nächsten Ladesäule zu fahren. Wenn man sich also nicht absolut sicher ist, dass der Platz frei ist, sollte man immer eine Reserve mit einkalkulieren. Je nach Stromstärke dauert ein Ladevorgang an einer Schnellladesäule zwischen 30 und 60 Minuten.

Kia Soul EV

Die Ladestation direkt vor dem Haupteingang der Umweltarena.

Nach dem Besuch der Umweltarena folgt die erste Überraschung. Da sich der Akku bei einer Schnellladung stark erwärmt, wird nur bis zu 83% geladen. Das gefährdet meine Routenplanung, da ich nun nicht die volle Reichweite zur Verfügung habe. Als ich als nächstes Ziel die AMAG Bern ins Navi einprogrammiere, warnt mich prompt der Bordcomputer, dass mein Ziel ausserhalb der Reichweite liegt. Ich versuche es trotzdem, indem ich über Land fahre und die stromfressende Autobahn vermeide. Trotzdem, die Reichweite bleibt stets unter den noch zu fahrenden Kilometern, so dass ich sicherheitshalber einen Zusatzstopp in Oftringen einlege, um kurz 20 Minuten Strom zu «tanken». Währenddessen wird mir klar, dass mir die Heimreise via Emmental definitiv zu riskant ist, da ich in Bern wieder nur mit 83% Ladung starten kann. Anyway, dank meines Zusatzstopps erreiche ich sicher die AMAG in Bern und kann dort den Kia an der verfügbaren CHAdeMO-Säule wieder aufladen. Noch während des Weglaufens beobachte ich, wie mir ein Strolch das Kabel ausstecken will, um sein eigenes E-Auto zu laden. Dummerweise scheitert er kläglich, da mit dem Verriegeln des Autos gleichzeitig das Kabel verriegelt wird. Ein wichtiges Sicherheitsfeature, schliesslich wäre es alles andere als lustig, wenn man ins vermeintlich vollgeladene Auto sitzt und feststellt, dass nur ein Teil geladen worden ist.

Kia Soul EV

Warnung vom Bordcomputer, dass das Ziel ausserhalb der Reichweite liegt.

Wie bereits nach dem Ladevorgang bei der Umweltarena, steht der Akku auch nach der Ladung in Bern bei 83%. Ich habe über das Chargemap App eine 50 kW-Ladestation (anstelle von 22 kW, wie vor der Umweltarena und der AMAG) entdeckt, welche innert einer halben Stunde (anstelle von einer ganzen Stunde) den Akku wieder auf 83% bringt. Von Urdorf aus sollte es dann auch ohne weiteren Halt bis nach Hause reichen. Aber erneut warnt mich das Navi beim Start, dass das programmierte Ziel ausserhalb der Reichweite liegt. Da ich bei der Hinfahrt überland keinen Strom sparen konnte, versuche ich es nun, indem ich konstant mit 85 km/h auf der Autobahn fahre. Möglicherweise ist dies effizienter als eine langsamere, aber ungleichmässige Fahrt über Landstrassen. Die verbleibenden Kilometer bis nach Urdorf werden immer weniger, aber nach wie vor reicht die verbleibende Reichweite nicht aus.

Gefahrene Route

Die schlussendlich tatsächlich gefahrene Route.

Ich fasse schon den Gedanken, rechts ranzufahren, um eine alternative Ladestation aufzusuchen, als mich ein Sattelschlepper überholt. Dabei kommt mir die zündende Idee: Windschatten! Ich hefte mich also hinter den LKW, wobei ich den Sicherheitsabstand geflissentlich ignoriere, damit sich die Sogwirkung entfalten kann. Und siehe da! Die verbleibende Reichweite sinkt tatsächlich langsamer, bis ich bald einmal sogar mehr Reichweite, als verbliebene Kilometer bis nach Urdorf habe. Trotzdem ist es schlussendlich ziemlich eng geworden, denn die Ladestation in Urdorf habe ich mit 7% Restladung erreicht. Der Bordcomputer konnte aufgrund des geringen Ladezustandes gar keine verlässliche Reichweite mehr prognostizieren, so dass im Kombiinstrument bloss noch eine gestrichelte Linie dargestellt wurde. Nichts für schwache Nerven! Nach dem Ladestopp in Urdorf kann ich meine Heimreise fortsetzen. Zwar wieder nur mit 85 km/h auf der Autobahn, jedoch ohne Nutzung des Windschattens, erreiche ich sicher wieder meine heimische Garage. Ladezeit an einer gewöhnlichen Haushaltssteckdose: Geschlagene 16 Stunden.

Kia Soul EV

Mit 7% Restladung bin ich in Urdorf angekommen. Der Bordcomputer zeigt bloss noch eine gestrichelte Linie an.

Fazit

Auf der Rückfahrt habe ich grundsätzlich das geschafft, was heutzutage möglich sein sollte: Das Zurücklegen einer über 200 Kilometer langen Strecke mit einem halbstündigen Ladestopp. Allerdings sollte es wesentlich reibungsloser vonstatten gehen als bei mir, nämlich mit normaler Geschwindigkeit und ohne Windschattenspiele. Auf meiner Tour habe ich gemerkt, dass der Radius eines Elektroautos im Winter wirklich stark zurückgeht. Im Sommer hätte ich die Tour sicher viel gemütlicher meistern können. Mir ist des Weiteren aufgefallen, dass auf der West-Ost Achse mittlerweile recht viele Lademöglichkeiten bestehen, was man von der Nord-Süd Achse (Gotthard) nicht behaupten kann. Dort fehlen einige Ladestationen. Auch in ländlichen Gegenden sind Lademöglichkeiten Mangelware.

Obwohl sich die Anzahl Schnellladestation in der Schweiz ständig erhöht, sind längere Touren nach wie vor mit einer mehr oder weniger aufwändigen Planung verbunden, je nach dem, wohin die Reise gehen soll. Dass es pro Standort meistens nur einen oder zwei Anschlüsse hat, (Ausnahme: Tesla Supercharger) kann ebenfalls problematisch sein, wenn die Ladesäulen besetzt oder ausser Betrieb sind und keine weiteren Anschlüsse in unmittelbarer Nähe sind. Mit Ausnahme von Teslas Limousine Model S (Reichweite bis zu 500 km) sind Elektroautos nach wie vor ungeeignet, wenn man regelmässig längere Strecken zurücklegt. Ein grosser Pluspunkt hat die Elektromobilität aber dennoch: Auf meiner Tour habe ich keinen einzigen Rappen (!) für Strom- oder Parkingkosten ausgegeben. Dies ist der Lohn für die Mühen, die ich auf meiner Reise hatte.

Galerie

Kritik
von Koray Adigüzel

Warum habe ich diese Reportage niedergeschrieben?

Auch wer mich nur am Rande kennt, weiss, dass ich ein absoluter Autonarr bin. Insbesondere, wenn ich mit hochkarätigen Sportwagen unterwegs bin, verschafft es mir hohe Aufmerksamkeit. Gewisse Leute haben das Gefühl, ich bin ständig nur mit den schönsten Autos unterwegs. Dabei teste ich alles durchs Band hindurch und bin manchmal auch mit alternativ betriebenen Autos unterwegs. Insbesondere reine Elektroautos werfen oftmals dieselben Fragen auf. (wo kann man überall laden, wie lange dauert das Laden, wie weit kommt man damit?) All diese Fragen möchte ich mit dieser Reportage, einem Selbstversuch, beantworten. Ich möchte aufzeigen, wie man mit einem Elektroauto umgehen, worauf man achten und mit welchen Problemen man rechnen muss.

Was ist das Ziel?

Ich möchte mit dieser Reportage auch Leute ansprechen, die nicht so von Autos angefressen sind wie ich. Der Text soll unterhaltsam sein, damit er anregt, ganz durchgelesen zu werden. Allerdings möchte ich auch Wissen vermitteln. Der Leser soll erfahren, wie in etwa der Stand der Elektromobilität in der Schweiz ist, wie alltagstauglich ein reines Elektroauto ist und mit welchen Problemen man eventuell zu kämpfen hat. Dass es beim Test tiefster Winter war, rückt das Auto und die E-Mobilität zwar nicht ins beste Licht, aber es zeigt exemplarisch, wie schwierig das Leben mit einem E-Auto sein kann.

Warum habe ich die Medienform Text + Bild gewählt?

Ich möchte eine unterhaltsame und informative Geschichte erzählen. Dafür eignet sich meiner Meinung nach Text nach wie vor am Besten. Zudem wüsste ich nicht, was ich hätte filmen sollen, den es ging mir nicht darum, das Auto und wie ich gefahren bin, in den Vordergrund zu stellen. Deshalb habe ich mich für einen ausführlichen Text entschieden. Die Bilder helfen dem Leser, sich vorzustellen, wie beispielsweise die Apps und die Ladesäulen aussehen. Zudem kann man durch die Screenshots von Google Maps genau nachvollziehen, wo ich ursprünglich durchfahren wollte und wo ich tatsächlich durchgefahren bin.

Was ist gut geworden?

Ich bin mit dem Text zufrieden. Auch ein Laie kann sich durch das Lesen vorstellen, dass sich die Dimensionen mit einem Elektroauto drastisch verändern. Der Radius ist deutlich kleiner, das Laden dauert deutlich länger als das Tanken. Ausserdem nehme ich den Leser quasi auf meine Tour mit. Er nimmt Teil an meinen Erfahrungen, meinen Erlebnissen und meinen Problemen. Ich denke, dass der Text einige Fragen zum Thema E-Mobilität beantwortet und durchaus lesenswert und informativ geworden ist.

Was ist weniger gut geworden?

Was ich im Nachhinein bereue, ist, dass ich keine Bilder der verschiedenen Stecker-Typen geschossen habe, damit sich der Leser vorstellen kann, wie die unterschiedlichen Anschlüsse aussehen. Kritik auf hohem Niveau: Die Bilder sind alle mit dem iPhone entstanden. Dadurch lässt die Bildqualität beispielsweise beim Windschatten-Bild oder bei den Aufnahmen vom Kombiinstrument oder dem Bordcomputer etwas zu Wünschen übrig.

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