H.R. Giger und das philosophische Pissoir. Eine Abhandlung. (1/3)

Die Giger Bar konfrontiert ihre Gäste mit einer seltenen Überraschung, und zwar an einem Ort, an dem niemand konfrontiert werden sollte – auf dem WC. Diese Abhandlung ist eine Suche nach Antworten auf philosophische Fragen, die auf dem stillen Örtchen gestellt werden.

In der Giger Bar in Chur erwartet den männlichen Toilettengänger eine skurrile Überraschung: Auf der Toilette trifft er auf ein Pissoir, das am oberen Rand einen Spiegel aufweist. Dieser Spiegel ist so angebracht, dass in jenem intimen Moment der Verrichtung der Mann also sein Glied betrachten kann. Mehr noch: Die Betrachtung aus diesem neuartigen Blickwinkel ist grundsätzlich unumgänglich. Es ist eine vollkommen neue Erfahrung, diesen Blickwinkel beim Urinieren einzunehmen. Der Durchschnittsmann ist sich nämlich nicht gewohnt, direkt vor einem Spiegel zu pinkeln und hat wohl auch nicht die Gewohnheit, in einer solchen Art und Weise einen anderen Mann beim Urinieren zu beobachten, dass ihm dieser Blickwinkel bekannt sein könnte.

Wie der Name der Giger Bar schon sagt, gehört die Bar dem Churer Künstler und Skulpturenma­cher H.R. Giger, der durch seine purgatorischen Gestalten für den Hollywoodfilm «Alien» Be­rühmtheit erlangte – in einem Anhängerkreis sogar Popularität. Nun fragt sich der verwirrte, männliche Gast bei der Verrichtung: Was hat sich dieser Giger hierbei überlegt? Es ist ja nun nicht wahrscheinlich, dass die Anbringung des Spiegels an jenem aussergewöhnlichen Ort ein Zufall sei, sondern vielmehr Absicht. Aber welche Absicht steht dahinter? Welche Gedanken gin­gen Giger durch den Kopf, als er über kurz oder lang zum Schluss kam, dass an eben jenem un­denkbaren Ort ein Spiegel installiert werden müsse? Ganz abgesehen von der schieren Möglich­keit der Willkür ohne grösseren Sinn, gibt es dennoch einige Gedankengänge, die zu einem sol­chen Entscheid geführt haben könnten.

1. Der Phallus als alienhaftes Glied des Körpers

Da Giger, wie oben bereits erwähnt, Schöpfer der Vorlagen für den Film «Alien» ist und auch zahlreiche seiner Zeichnungen eben jene Kreaturen zum Thema haben, besteht die naheliegende Wahrscheinlichkeit, dass Giger im männlichen Glied nichts anderes sieht als eine alienhaft-an­mutende Kreatur selbst. Man möchte noch weiter gehen und die Ähnlichkeit zum Film aufwei­sen: Im Film dringt das ein ausserirdisches Wesen durch die Brust von einem Besatzungsmit­glied nach aussen. Das Wesen weist hierbei eine längliche Form und Art auf, ohne ausgefahrene Glieder, was in den Augen eines fantasievollen Menschen, wie Giger zweifelsohne einer ist, wie die grössere Form eines Penis wirken könnte. Man könnte sich nun wundern und fragen, wie gross die Fantasie denn sein kann. Allerdings darf man die verschiedenen Stufen des Fantasie­vermögens der Menschen nicht unterschätzen. Hierzu kommt noch der wesentliche Faktor, dass es für das männliche Wesen kein beliebteres Objekt für Symbolik gibt, als das männliche Glied.

Ganzheitlich betrachtet stehen Phallussymbole bereits seit Jahrtausenden für Fruchtbarkeit und Kraft. In der griechischen Mythologie erschuf man eigens einen Gott dafür: Priapos, Sohn der Liebesgöttin Aphrodite und des Wein- und Fruchtbarkeitgottes Dionysos – welche Mischung passt besser? Der Priapos-Kult begeisterte die Griechen und später auch die Römer in einer sol­chen Art und Weise, dass man ihn auf Fresken und Statuen stets mit riesigem, erigiertem Glied abbildete. Priapos-Skulpturen wurden zeitweilen auch als Erntebeschützer eingesetzt: Einer­seits sollte Priapos‘ Phallus, der jeweils aus Holz bestand und rot bemalt wurde, eine reichhal­tige Ernte einbringen, andererseits sollte er Diebe abschrecken. Nach Priapos ist auch der Pria­pismus benannt – der in der Medizin als Zustand einer krankhaften Dauererektion gilt.

Der Griechische Gott allein reichte den Römern allerdings nicht, also kannte die römische My­thologie noch die Gottheit «Mutunus Tutunus», die allerdings nicht mehr menschähnlich, son­dern grundsätzlich nur noch Phallus war. Der «Fascinum», eine Art Talisman, der im Erschei­nungsbild den «Mutunus Tutunus» symbolisierte und eigentlich ein bronzener Penis darstellte, wurde weiter als Abwehrmittel gegen den «Bösen Blick» auf sich getragen. Die Fähigkeit des «Bösen Blicks» wurde Menschen, meist Frauen, zugeschrieben und beschrieb die Macht, durch blossen Augenkontakt Schaden zufügen zu können. Noch heute schützt man sich in gewissen Kulturen vor dem «Bösen Blick», insbesondere orientalische Völker benutzen hierfür den «Na­zar», den wohl viele Touristen als «Blaues Auge» vom Basar kennen.

Weiter →