Mediennutzung ohne Grenzen

Schnell die Zugverbindung raussuchen, da man sich einige Minuten verspätet, dem Kollegen eine WhatsApp-Nachricht schicken oder sich über die News aus aller Welt informieren. Ein Leben ohne Smartphone ist für uns nicht mehr vorstellbar. Auch für Gabriela ist ihr Handy unabdingbar – bei ihr hat dies jedoch einen weit aus wichtigeren Grund.

Gabriela ist von Geburt an blind. Mit 26 Jahren unterzog sie sich einer Augenoperation, um nachher wieder 50 Prozent sehen zu können. Wie sich nach der Operation herausstellte, war der französische Chirurg ein Pfuscher. Er nahm ihr durch seinen Eingriff die Wahrnehmung zwischen hell und dunkel. Zudem leidet sie seither unter Schmerzen und Allergien – darunter auch gegen Hundehaare. Dies ist unter anderem ein Grund, weshalb sie nie einen Blindenhund haben könnte.

«Nur manchmal kann ich einen Lichtblick wahrnehmen», antwortet Gabriela in einem Interview mit dem St. Galler Tagblatt auf die Frage, was sie denn noch sehe. Es sei so, als würde dann jemand mit einer Taschenlampe leuchten.

Seit mehr als einem Jahr arbeitet sie nun in einem Shop für Unterhaltungselektronik. Sie unterstützt dort die Kunden in der Nutzung ihrer Geräte. Die Reaktionen auf sie seien überwiegend positiv. Schliesslich weiss Gabriela besser Bescheid über die Konfigurierung von Geräten als die meisten Kunden. Da bleibt so manchem der Mund offen stehen, wenn man sieht, wie geübt Gabriela mit den Geräten umgeht. Mit Hilfe der Bildschirmvorlesetechnologie VoiceOver steuert Gabriela ihr Handy und Laptop. Für uns Laien ist diese Bedienungshilfe schon fast ein Hindernis. Hat man dies einmal aus Versehen oder reiner Neugier eingeschaltet, ist es ein langer Weg begleitet von Hilferufen bis Fluchen, bis man wieder zum «Normalzustand» von seinem Handy kommt.

Unabhängigkeit – ein Wort, das für Gabriela seit der Einführung des Handys immer mehr zur Realität wurde. In der Zeit, als es die neuen technologischen Hilfsmittel noch nicht gab, kam die Privatsphäre bei ihr sehr kurz. Beim Geldabheben vom Geldautomaten war immer eine Person mit dabei. Denn den Kontostand konnte sie damals nicht selbst ablesen. Auch beim Bezahlen von Rechnungen war sie auf die Hilfe von Sehenden angewiesen. Würdest du es mögen, wenn eine andere Person deinen Kontostand kennt? Heute erledigt Gabriela ihre Zahlungen mit dem PostFinance-App. Mit Hilfe des VoiceOvers kann sie so selbst ihre Rechnungen zahlen und den Kontostand abfragen.

Mit dem App «KNFB Reader» und einem einfachen Lesegestell, welches ihr ein Schreiner anfertigte, kann sich Gabriela auch ganz leicht die Post vorlesen lassen.

Mit dem App «Colorsay» verwandelt sich ihr Handy in einen Farbscanner. Blinde können oft keine oder kaum mehr Farben unterscheiden. Auf diese Weise stimmt Gabriela morgens ihr Outfit ab.

Brailleschrift ist die Schrift für Sehbehinderte. Durch ins Papier gestanzte Punktmuster können sie so Texte lesen. Dennoch profitieren nicht alle Sehbehinderten gleich von der Blindenschrift. Diesmal aufgrund unseres Rechtsystems. Länder wie Australien haben beispielsweise ein gelockertes Urheberrechtgesetz, um Bücher vom Englischen in die Brailleschrift zu übersetzen. Trotzdem dürfen diese Bücher nicht über die Grenze. Das bedeutet also, dass für die Harry Potter Romane Australien, Neuseeland, England, Amerika, Kanada je eine eigene Übersetzung in Brailleschrift anfertigen mussten. Oder Spanien beispielsweise besitzt ungefähr 100’000 Bücher in Blindenschrift. Argentinien dagegen 50’000 Bücher und andere lateinamerikanische Länder gar nur einige Tausend. Dennoch dürften die Bücher aus Spanien aus rechtlichen Gründen nicht nach Lateinamerika transportiert werden. Seit 2004 diskutiert das Standing Comittee on Copyright and Related Rights (SCCR) über ein Abkommen, das Ausnahmen wie den internationalen Transport von Büchern erlauben soll. Dadurch würde sich einerseits viel Arbeit ersparen, sowie mehr Bücher für Drittweltländer zugänglich machen.

Eigens für die Brailleschrift besitzt Gabriela ein Gerät, das ihr den Text vom Computerbildschirm in Blindenschrift übersetzt. Die Brailleschrift zu lesen, ist umständlicher als der Stimme von Siri, Anna oder wie sie alle heissen, zu folgen. Seit es das iPhone gibt, «liest» Gabriela Bücher und Webseiten nur noch per VoiceOver. Solch ein Sprachprogramm wird auch vom Hersteller JAWS, Job Access with Speech, produziert. Ted Henter war professioneller Motorradfahrer, bis er bei einem Autounfall erblindete. Danach widmete sich der Amerikaner dem Programmieren und erfand den JAWS Screen Reader für Blinde.

Oft sind Websiten jedoch sehr visuell gestaltet. Sie bestehen nicht mehr nur aus Text sondern auch aus Grafiken und nicht beschrifteten Knöpfen. Deshalb hat das World Wide Web Consortium 3 (W3C) weltweite Standards entwickelt. Es ermöglicht Menschen mit Sehbehinderungen, die Zugriff auf das Internet haben, eine barrierefreie Nutzung des Internets.

Dennoch halten sich noch nicht viele Internetanbieter daran. Gabriela erwähnt uns gegenüber, ihre Mühe News online zu lesen. Aufgrund der vielen Werbungen auf Seiten wie 20 Minuten überspringt VoiceOver oft die Hälfte eines Artikels oder der Newsartikel vermischt sich mit Werbeinhalten. Wir haben ihr am gleichen Tag noch einen AdBlocker auf dem Desktop installiert. Dennoch umgeht man damit nicht alle Online-Hürden. Beispielsweise hat Bild.de ein System eingeführt, welche Nutzer mit aktiviertem AdBlocker den Zugang zur Seite verweigert. Den Zugang erhalten sie bloss, wenn sie für den Inhalt bezahlen. Laut der weltweiten Studie «The cost of ad blocking» aus dem Jahr 2015 verursachten AdBlocker-Programme einen Ausfall an Werbeumsätzen von knapp 21.8 Milliarden Dollar. 2016 soll sich diese Zahl gar verdoppeln. Was sich in Zukunft für die Betreiber durchsetzt, wird sich zeigen.

Heute kommuniziert Gabriela oft via WhatsApp. Damit sie beim Tippen des Textes schneller ist, benutzt sie eine externe Tastatur. Durch die heutigen technologischen Mittel für Sehbehinderte fühlt sich Gabriela selbständiger und immer up to date.

Aus gesundheitlichen Gründen musste Gabriela anfangs Mai operiert werden. Als wir sie einen Tag nach dem Eingriff im Spital besuchten, lag sie in ihrem Bett – iPhone und Tastatur prominent neben ihr platziert. Sogar während ihrer Genesung, welche noch ungefähr zwei Monate dauert, arbeitet sie. Krankenpflegerinnen wenden sich mit Fragen zu ihren Elektronikgeräten an sie.

Damit Personen wie Gabriela die gleiche Ausgangslage in der Mediennutzung wie wir Sehenden haben, müssen noch ein paar Dinge geschehen. Die Technologie ist auf einem guten Weg und wenn wir uns immer daran erinnern, dass wir Produkte für Menschen mit wie ohne Sehbehinderung entwickeln, hat Gabriela eine noch unabhängigere Zukunft vor sich.

Willst du was Gutes tun? Mit dem App «Be My Eyes» kannst du zu den Augen von Blinden werden. Mittels Videochat hilfst du Sehbehinderten Menschen in Alltagssituationen, wie beispielsweise ob das Ablaufdatum auf dem Joghurt überschritten ist oder Ähnlichem. Auf geht’s – Karmapunkte sammeln!

Im untenstehenden Video erklärt Gabriela noch ganz genau, wie das Handy ihr Leben verändert hat.

Quellen
Den Blick nach vorne nie verloren – St. Galler Tagblatt
Mit Hund und Stock voraus – St. Galler Tagblatt
Ron McCallum – How technology allowed me to read – Ted Talk
Wipo
AFB – Interview with Ted Henter
M-K – AdBlocker kosten Wirtschaft Milliarden
The cost of ad blocking, 2015

(le)

Kritik
von Jana Figliuolo und Nora Kasper

Idee/Motivation
Bereits vor dem Studium war der Wunsch vorhanden, die Nutzung von Medien von Sehbehinderten aufzuzeigen. Wir Medienschaffenden sollten uns immer über Menschen mit Behinderungen bewusst sein. Auch sie gehören zu unserem Zielpublikum. Für das Mittel Film entschieden wir uns, da dieser schnell emotionale Nähe schaffen kann und die Tätigkeiten gut dargestellt werden können.

Des Weiteren wollten wir nach unserem Film, den wir für das Modul "Filmisches Gestalten" bei Peter Indergand gedreht hatten, das Gelernte nochmals anwenden und unsere Fehler ausbügeln.

Vorarbeit
Gabrielas Hintergrund, eine blinde Frau, welche in einem Elektronikgerät arbeitet, eignete sie sich hervorragend als Protagonistin. Da Nora vor dem Studium gemeinsam mit ihr gearbeitet hatte, war der Kontakt schnell wieder aufgebaut.

Vor dem Dreh sassen wir mit Gabriela zusammen und besprachen das Projekt. Die inhaltlichen Themen kristallisierten sich so im Gespräch heraus. Das ganze hielten wir textlich fest und erstellten so unser Storyboard.

Dreh
Da Gabriela noch einen bevorstehenden Operationstermin hatte, gerieten wir kurzzeitig in einen Zeitdruck, denn die Genesung vom Eingriff dauert mindestens zwei Monate. Daher mussten wir den Drehtag vor die Operation setzen, daraus resultierte, dass wir an Auffahrt filmten. Vor dem Drehtag machten wir einige Testaufnahmen, um Sound und Bildqualität zu testen.
Von Chur aus reisten wir dann mit dem Zug und Equipment nach Wil, SG. Normalerweise kennt Gabriela ihre Wohnung in und auswendig. Aber nicht, wenn wir zwei die Wohnung für den Dreh auf den Kopf stellen. Daher mussten wir beim Filmen in der Wohnung darauf achten, dass Gabriela nicht über die neu verlegten Kabel und Lichtboxen stolpert.

Equipment
Für das Projekt entschieden wir uns für folgendes Equipment:

1 x Canon 6D
1 x Objektiv Canon 50mm, f1.4
1 x Objektiv Canon 85mm, f1.8
1 x Audiorecorder Zoom H6
1 x Faltreflektor
1 x Funkset Sennheiser AVX
1 x LCD-Monitor Set
1 x Videostativ Manfrotto 755XB Tripod
1 x Lichtkoffer

Postproduktion
Dank der Shotliste hatten wir schon genügend Filmmaterial zur Verfügung. Dazu kamen noch die spontanen Aufnahmen während der Kaffeepause, welche als B-roll Material dienten.

Während der Postproduktion kam uns die Idee, den Beitrag im Stil an Watson anzulehnen. Da kurze Videos der aktuelle Trend sind, zogen wir kurze Sequenzen aus dem Film, die Gabriela bei einer bestimmten Tätigkeit zeigen. Dadurch können Personen, die nicht das ganze Video schauen möchten, sich dennoch ein Bild davon machen, wie Gabriela Medien nutzt.

Fazit
Uns hat es erstaunt, wie schwierig es war, beim Dreh einer blinden Person Anweisungen zu geben. Einerseits mussten wir ihr erklären, was sie zu tun hat, andererseits erledigt sie ihre Dinge ja auf eine andere Art und Weise. Gabriela war von dem Projekt selbst begeistert, wodurch wir das Beste aus dem Projekt herausholen konnten. Während dem Filmen haben wir vergessen Fotos für den Thumbnail zu schiessen. Deshalb nahmen wir ein Standbild aus dem Filmmaterial, wodurch die Qualität des Bildes leidet.

Es war der erste Dreh für uns, den wir nur zu zweit durchführten. Dadurch ergab sich viel mehr Arbeit als wir gedacht hatten. Einzelne Arbeiten hatten wir bisher noch nie durchgeführt, da vorgängig andere diese Aufgaben übernahmen. Auch der Transport des Materials gestaltete sich durch das kleine Team als Herausforderung. Schlussendlich war es eine gute Übung und wir merkten, dass unsere Zusammenarbeit gut funktioniert.

Für uns ist es gut denkbar, das Projekt in den kommenden Semester mit anderen Behinderungen im Fokus weiter zu verfolgen.

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar