Meine Stadt: Moskau

Zwischen Zwiebeltürmen und Kaminen. Die Hauptstadt des ehemaligen Zarenreiches muss man lieben lernen.

Der Blick am Zoll ist streng und hält lange an. Dann drückt die Beamtin den Stempel wuchtig auf das Visum im Pass. Die Einreise ins ehemalige Zarenreich ist geschafft, die Elfmillionenstadt Moskau wartet darauf entdeckt zu werden. In der Eingangshalle des Flughafens stehen Taxichauffeure, deren Erscheinungsbilder jedem Schwerverbrecher-Fahndungsfoto alle Ehre machen. Einsteigen tue ich dann natürlich trotzdem, wenn auch mit einem etwas mulmigen Gefühl.

Und los geht die Fahrt, vorbei an unzähligen Birken und eingezäunten Dörfern – man fragt sich, ob es hier schon Bären gibt. Dann erscheinen die Vororte der Stadt durchs Fenster. Es sind alte Hochhäuser, die Farbe ist schon lange abgebröckelt und die wenigen Balkone scheinen im nächsten Augenblick herunterzufallen, so verlottert sehen sie aus. Dann wird es plötzlich moderner, sauberer und belebter, das Stadtzentrum ist erreicht. Da steht sie. Zig mal im TV gesehen und doch wirkt sie in Realität noch viel schöner: die Basilius-Kathedrale mit ihren bunten Zwiebeltürmen. Der Rote Platz davor ist riesig, gute drei Fussballfelder mögen das sein. Begrenzt wird er durch die Mauer, hinter der sich der Kreml befindet.

Mich zieht es jedoch ins Lenin-Mausoleum wo der 1924 verstorbene Revolutionsführer einbalsamiert aufgebahrt liegt. Wie hochgeschätzt der russische Nationalheld auch heute noch wird, erlebe ich darauf gleich selber. Beim Eintritt möchte ein Herr seine angelaufene Brille putzen. Der russische Wachmann herrscht ihn an weiterzugehen. Keine fünf Meter danach wird derselbe Herr angewiesen seine Kappe abzunehmen, um gleich darauf von einem dritten Wärter angeblafft zu werden, seine Hände aus den Hosentaschen zu ziehen. Als seine Begleitung darauf zu plaudern anfängt, fürchte ich schon, dass der Geduldsfaden der Aufpasser gerissen ist. Doch die Touristen kommen gerade noch davon.

Die Überwachung in der Stadt ist für Mitteleuropäer allgemein ziemlich auffällig und ungewohnt. Auf jedem Platz und bei allen Denkmälern stehen mindestens zwei uniformierte Beamten. Wen dieses Aufgebot überrascht, wird bei der ersten Metrofahrt aus dem Staunen nicht mehr herauskommen – und das nicht wegen den pompösen Stationen, die gerne auch als unterirdische Paläste bezeichnet werden. Vor dem Eingang der Metrostationen stehen vier Polizisten, bei der Rolltreppe weitere zwei und auf dem Perron in der Regel nochmals vier. Wenn man bedenkt, dass Moskau über 176 U-Bahnstationen mit jeweils bedeutend mehr als einem Eingang verfügt, macht das eine beträchtliche Anzahl Hüter des Gesetzes aus.

Metrostation Moskau

Wenig später weiss ich die hohe Polizeipräsenz zu schätzen. Nach einer Metrofahrt fehlen meinem Reisebegleiter Portemonnaie und Kamera. Wir gehen geradewegs zu Polizisten in der Metrostation, um den Diebstahl zu melden. Englischkenntnisse sind wie immer Fehlanzeige. Mit meinem etwas eingerosteten Russisch und Englisch gelingt es, die Situation zu erklären. Wir müssen warten, weil sie jemanden herschicken wollen, der Deutsch oder Englisch spricht. In der Tat tauchen nach zwanzig Minuten vier Polizisten auf – keiner davon kann Deutsch, Englisch oder eine andere geläufige Fremdsprache. Dafür fahren wir nun mit Begleitschutz zur nächsten Polizeistation, wo jemand sein soll, der Deutsch oder Englisch spricht. Selbstverständlich spricht auch auf dieser Wache niemand etwas anderes als Russisch. Wieder erkläre ich, was passiert ist, und dieses Mal werden wir nicht weitergeschickt, sondern in ein Nebenzimmer mitgenommen. Dort erstellen wir ein Polizeiprotokoll für die Versicherung. Da der Ausgeraubte gar kein Russisch spricht, tippt er die gestohlenen Sachen im Google-Übersetzer(!) auf Deutsch ein, die Polizisten kopieren die russische Übersetzung danach ins Protokoll. Ein Ausdruck, ein Stempel und fertig. Abgespeichert wird das Dokument nicht. Ein Vorfall wie unzählige an diesem Tag.

Die Stimmung wollen wir uns durch den Diebstahl nicht verderben lassen. Weiter geht’s zur Moskauer Universität. Sie ist auf einem Hügel in einer der „sieben Schwestern“ untergebracht. Also in einem der gigantischen Hochhäuser aus Stalins Zeiten. Die Aussicht von da über die Stadt sucht ihresgleichen. Zwischen den zahlreichen Zwiebeltürmen und goldenen Kuppeln ragen grosse, rauchende Kamine hervor. Unter Stadtplanung scheinen die Russen etwas anders zu verstehen als der Rest der Welt. Anstelle eines Industriequartiers wurden die Fabriken über die gesamte Stadt verteilt. Moskau ist in diesem Sinne keine schöne Stadt – die Luftverschmutzung ist enorm –  doch mit ihren unzähligen Prunkbauten, Palästen und altehrwürdigen Häusern übertrifft sie Paris und Rom anzahlmässig um einiges.

Die Russen sind ein stolzes Volk. Auch in ihrer Hauptstadt schreiben sie die Metrostationen nur auf kyrillisch und nicht in lateinischen Buchstaben an. Sie erwarten, dass man Russisch sprechen und lesen kann und schauen verständnislos, wenn dies nicht der Fall ist. Kommt man aber mal mit Einheimischen in Kontakt, erfährt man Interessantes. So bringt eine ältere Frau die zwei grössten Probleme Russlands wie folgt auf den Punkt: schlechte Strassen und zu viele Dummköpfe.

Moskau kann man beschreiben, aber noch besser sollte man es erleben.