Auf dem Modell sind die Schatten (Kern- & Halbschatten) illustriert, wie sie am 20. März um ca. 10.00 Uhr aufgetreten sind. Eine totale Sonnenfinsternis traf nur oberhalb von Norwegen im arktischen Meer ein. Auf den Färöer Inseln und der norwegischen Insel Spitzbergen verschwand die Sonne während einigen Minuten komplett. Im restlichen Europa war eine partielle Sonnenfinsternis zu sehen.
Viele Beobachter lockte das seltene Naturereignis an. So zum Beispiel auch Thomas Baer, Leiter der Sternwarte Bülach. Im folgenden Interview gibt er einen Überblick über den historischen und physikalischen Kontext der Sonnenfinsternis.
Herr Baer, was würden Sie sagen, seit wann der Mensch die Sonnenfinsternis beobachtet und studiert?
Sonnen- und Mondfinsternisse wurden schon zur babylonischen Zeit beobachtet und sogar schon vorausberechnet. Der Saros-Zyklus ist eine Periode von 18 Jahren 10 oder 11 Tagen, nach deren Wiederkehr sich gleichartige Finsternisse wiederholen. Dies konnten die Babylonier bereits berechnen.
Hatte die Sonnenfinsternis früher eine spezielle, religiöse Bedeutung?
In verschiedenen Kulturkreisen hatte die Sonnen- und Mondfinsternis aber auch eine religiöse Bedeutung. Diese Ereignisse wurden oft als «Zeichen des Himmels» betrachtet. In China etwa stellten sich die Menschen vor, ein Drache würde die Sonne verschlingen.
Wie hat sich die Dokumentation der Sonnenfinsternis seit Anbeginn bis heute verändert?
Während Sonnenfinsternisse früher oft als Himmelszeichen angesehen und in Verbindung mit der Landwirtschaft standen (Missernten oder auch für ein fruchtbares Jahr), so galt das Interesse ab dem 19. Jahrhundert klar der Erforschung der Sonnenkorona, die man nur während einer totalen Sonnenfinsternis sehen kann. Heute überwachen Satelliten die Sonne ja rund um die Uhr. Somit hat die Bedeutung der totalen Sonnenfinsternis, zumindest wissenschaftlich, nicht mehr den Stellenwert wie einst.
Was denken Sie macht den Reiz einer Sonnenfinsternis für uns aus?
Eine totale Sonnenfinsternis steht auf der Rangliste aller Naturereignisse klar auf Position 1. Warum? Dieses Ereignis lässt sich kaum in Worten beschreiben, man muss es erlebt und gefühlt haben mit allen Sinnen. Das Licht verändert sich auf so wunderbare Weise, dann wird es merklich kühler, die Schatten werden schärfer, die ganze Natur reagiert. Vögel hören auf zu zwitschern und Blumen schließen unter Umständen ihre Blüten. Das ist bei keinem sonstigen Naturereignis zu erleben.
Warum ist es für den Menschen gefährlich direkt in die Sonnenfinsternis zu sehen?
Die Sonne ist ohnehin schon grell genug. Es käme ja keinem Menschen in den Sinn, einfach so in die Sonne zu schauen. Ein optisches Instrument ist ein Lichtverstärker. Ohne einen professionellen Schutzfilter, der vor die Öffnung aufgesetzt wird, könnte das Auge innert Sekunden für immer geschädigt werden, wenn der grelle Brennpunkt die Netzhaut verbrennt!
Was trägt die Schutzbrille physikalisch gesehen zu unserem Schutz bei?
Die Black Polymer-Schutzbrillen dämpfen nicht nur das Sonnenlicht, damit es nicht mehr blendet, sondern halten auch Infrarot und UV-Strahlung zurück. Dies ist der Grund, warum wir Astronomen die Leute davor warnen, etwas Eigenes zu basteln. Eine gewöhnliche Sonnenbrille ist kein Sonnenbeobachtungs-Instrument!
Dass verschiedene Schulen und Schulleitungen aber in der Sonnenfinsternis etwas Hochgefährliches sahen und Kindern und Jugendlichen mit absolut unverständlichen Massnahmen (Fenster schliessen, Jalousien runterlassen, Pausen verschieben, etc…) das Erlebnis verwehrten, wirft einen bedenklichen Schatten auf die Schweizer Bildungslandschaft!
Gerne würden wir auch noch etwas mehr über Sie und Ihre Passion erfahren. Warum reisen Sie den Sonnenfinsternissen nach?
Weil eine totale Sonnenfinsternis über einem bestimmten Gebiet äusserst selten eintritt (im Schnitt nur alle 360 Jahre!) Die Sonnenfinsternis von 2081 in der Schweiz werde ich kaum mehr erleben, also hole ich das vor!
Wie entsteht solch eine Leidenschaft?
Wie jede Leidenschaft entsteht. Man muss sich hingeben, geniessen und die Natur schätzen lernen. Und vor allem muss man beobachten können, was in unserer schnelllebigen Gesellschaft mehr und mehr verloren geht.
Wie viel Zeitaufwand bringt dieses Hobby mit sich?
Das will und kann ich gar nicht sagen. Es sind unzählige Stunden pro Woche und noch viele mehr in einem Jahr. Aber der Zeitaufwand ist auch kein Thema. Wenn man etwas mit Hingabe macht, so ist das ein guter Ausgleich zur Arbeit und zum Alltag.
Was sind die wichtigsten Aspekte, die zu beachten sind, wenn man so ein Hobby hat?
Es gibt keine Voraussetzungen, um das Hobby Astronomie zu betreiben. Immer wieder denken die Leute, sie müssten gut in Mathe und Physik sein. Doch um in ein Fernrohr zu schauen, braucht es weder das Eine noch das Andere. Das Wichtigste ist, sich von einer Materie begeistern zu lassen. Dann ist es erst ein «richtiges» Hobby.
Wie passt man sich schlechten Wetterbedingungen an beim Beobachten der Sonnenfinsternis?
Eine Sonnenfinsternis ist ein Naturereignis, so wie ein Freiluftsport im Freien stattfindet. Das Wetter kann man ja nicht anpassen. Natürlich gibt es ganz fanatische Beobachter, die in letzter Minute noch einem Wolkenloch hinterher jagen. Doch dadurch verliert das Ereignis auch wieder einen gewissen Reiz. Ich mache mir einen solchen Stress nie. Wenn es klappt, dann klappt es, wenn nicht, dann muss man es genauso hinnehmen. Jede Sonnenfinsternis ist anders. Natürlich waren wir sehr froh, dass am 20. März 2015 fast in der ganzen Schweiz die Sonne strahlte. Sicher wünschen wir Astronomen immer schönes Wetter bei einem solchen Highlight. Aber das Wetter kommt halt immer, wie es kommt, oft während Jahren oder Jahrzehnten im dümmsten Moment zu unseren Ungunsten. Aber wie gesagt: Das ist halt die Natur!
Herr Baer, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.