ProCrastinate

Studenten im Prüfungsstress und allen anderen, die Abgabetermine oder andere Deadlines vor der Türe stehen haben, wird wärmstens ein iPad Pro mit Pencil empfohlen. In Kombination mit der App Procreate lässt sich damit auf professionellem Niveau prokrastinieren – fast ohne schlechtes Gewissen.

Wenn wir unbedingt etwas erledigen sollten, kennen wir genügend Wege, es bis zum letzten Moment vor uns herzuschieben. «Nur noch rasch». Auf Social Media oder Netflix gönnen wir uns eine vermeintliche «Pause», die erst noch wunderbar die Sinne ablenkt – während wir damit beschäftigt sind, quälen uns nicht einmal mehr die Gedanken. Dafür aber gleich danach: Sobald die App geschlossen ist, merkt man, dass man mit nichts dasteht, ausser ein paar Stunden weniger Zeit. Procreate ist anders. Procreate ist eine Zeichnungs-App fürs iPad Pro. Wer nicht zeichnen kann – keine Angst! Obwohl die App von Profis verwendet wird und über zahlreiche Features verfügt, ist sie leicht zu verstehen und kann auch von vermeintlichen Kunst-Banausen genutzt werden. Den Apple Pencil braucht man jedoch, um die App sinnvoll verwenden zu können. Durch den Stift reagieren Linien sensibel auf Druck – fest gedrückt wird ein Strich dicker.

Wie also soll jetzt jemand, der nicht zeichnen kann, trotzdem seine Zeit angenehm mit dieser App vertreiben können? Mit einem Trick: dem Weiss-auf-Schwarz-Malen.

Das Vorgehen:

  1. Ein Schwarz-Weiss-Bild zum Abzeichnen suchen.
  2. Anstatt wie gewöhnlich mit Umrissen anzufangen, können jetzt Konturen und Formen über die Helligkeit erarbeitet werden:
    Am Bild orientiert Helligkeitsflächen einzeichnen, angefangen bei den Grössten. (Bei einem Gesicht wäre das z. B. die Stirn.) Zu den kleineren Flächen und Details vorarbeiten.
  3. Mit verschiedenen Pinselarten und -dicken experimentieren, um eine lebendige Textur zu erhalten und z. B. Haarstrukturen erzeugen zu können.
  4. Mit verschiedenen Weiss- und Grautönen spielen, um die unterschiedlichen Helligkeiten wiederzugeben.
  5. Wenn ein Helligkeits-Relief gelegt ist, langsam mit der Ausarbeitung der dunklen Partien beginnen. Ebenfalls zuerst wieder flächig, dann scharfe Details wie Augen, Nasenlöcher etc.

Der Vorteil dieser Methode gegenüber «klassischem» Zeichnen: Anstatt das Bild über Umrisse aufzubauen, was vielen Leuten Mühe bereitet, kann mit Flächen gearbeitet werden. Dies ist einfacher, gleichzeitig aber auch natürlicher. Kein Gegenstand hat Umrisslinien. Durch das Arbeiten mit Helligkeitsflächen wird man der dreidimensionalen Struktur besser gerecht. Schwarz-weiss wird deshalb empfohlen, weil sich Grautöne leichter ausdifferenzieren lassen als echte Farben. Selbst wenn das Ergebnis dann nicht genauso aussieht wie die Vorlage, lässt es sich allein meist trotzdem sehen.

Der Vorteil gegenüber einem normalen Blatt Papier dürfte offensichtlich sein. Während das Prinzip ähnlich ist, steigert sich die Schwierigkeit auf schwarzem Papier enorm. Radieren ist da fast unmöglich. Im Procreate hingegen lassen sich Linien einfach rückgängig machen. Zudem kann mit Ebenen gearbeitet werden – die Möglichkeiten sind endlos…

Ist die App einmal geschlossen, sind die eigentlichen Aufgaben zwar genauso wenig erledigt wie zuvor. Das Gewissen muss aber nicht mehr ganz so schlecht sein. Wenn es jetzt mit der Schule oder dem Job nicht klappt – dann ja vielleicht mit der Kunst.

(le)

Kritik
von Maja Gobeli

Idee

Die Publikation ist ein eigentlicher «Erlebnisbericht» in aufgepepptem Kleid. Die Idee zum Beitrag entstand daraus, dass es mir aktuell genau so ergeht – ich weiss, was ich tun sollte und mache alles andere, nur nicht das Notwendige. Trotzdem empfinde ich Procreate als eine der weniger reueverbundenen Arten, seine Zeit zu verschwenden. Nur konsumieren macht passiv – hingegen zu produzieren, sei es auch nicht das, was man eigentlich liefern sollte, kann einen motivierenden Effekt haben.

Aus dieser Erfahrung heraus entwickelte sich das Wortspiel mit der App, Apples «Pro»-Geräten und dem Prokrastinieren auf «professionellem Niveau» – damit lag für mich ein Beitrag auf der Hand.

Umsetzung

Am Anfang stand natürlich meine Zeichnung. Ich habe noch keine grosse Erfahrung mit der App und habe einfach mal drauflos gespielt. Dass ich mir ein Schwarzweiss-Bild ausgesucht habe zum Abzeichnen, war reiner Zufall. Dadurch habe ich aber entdeckt, dass es so viel leichter hinzukriegen ist – darauffolgende Versuche mit Farbbildern sind eher gescheitert. Diese Technik schien mir also teilenswert.

Ich wollte bewusst kein Tutorial für die App selbst machen, denn solche gibt es zu Hauf und gleichzeitig bin ich selbst viel zu wenig geübt damit, um jemandem den professionellen Umgang lehren zu wollen. Stattdessen sollte es über das Beispiel «jedem» möglich werden, mit der App zu prokrastinieren. Das sollte im Beitrag humorvoll-ironisch verpackt sein. Schliesslich schafft sich niemand ein iPad an, nur, um eine Aufgabe aufschieben zu können. Auch die «Anleitung» ist mit einem Augenzwinkern zu lesen. Die Technik erleichtert definitiv den Einstieg ins Zeichnen. Ob es aber ganz ohne Übung oder etwas Talent ganz so leicht klappt, sei nicht garantiert.

Das Video ist eine Live-Aufzeichnung aus der App. Im Unterschied zu den meisten Zeichen-Tutorials kommt es nicht abschreckend professionell daher, sondern bildet ab, wie sich ein Anfänger mit dem Tool verhält und was trotzdem daraus entstehen kann.

Auf das Abbilden der Zeichnungsvorlage wurde aus Urheberrechtsgründen verzichtet.

Das Headerbild hingegen sollte ansprechend professionell daherkommen, weshalb ich den Schriftzug von Procreate zu imitieren versucht habe. Das Bild ist einerseits ein Teaser für die Zeichnung und andererseits visualisiert es durch den Bildausschnitt/die Position das "Gefühl", das hat, wer etwas vor sich herschiebt.

Für die Musik habe ich etwas Schnelles, aber Gleichmässiges gewählt, weil das Video durch die verschnellerte Abspielung auch schnell daherkommt. Die Musik bestimmt den Stil mit, in welchem das Bild daherkommt. Da es schwarzweiss ist und ein eher kühles Motiv hat, passt ein weicher Sound weniger.

Equipment

Apple iPad Pro + Pencil

Reflexion

Meiner Meinung nach fügt sich der Beitrag relativ gut in den gegenwärtigen Trend der Zeitraffer-Tutorial-Videos ein. Leider entstand er noch vor dem Update der App, die es ermöglicht, den ganzen Screen aufzunehmen, anstatt nur die Zeichnungsfläche. Für Leute, die den Stil kopieren möchten, wäre es bestimmt interessant, die Verwendung von Ebenen etc. mitverfolgen zu können. Wie erwähnt war jedoch nicht mein Ziel, ein Tutorial über die App zu machen, sondern die Zeichentechnik – und diese kommt meiner Meinung nach auch in diesem Video anschaulich herüber. Die erweiterte Funktion hätte auch einen Text oder eine Anleitung verlangt, die mehr ins Detail geht über die verschiedenen Funktionen. Es ist ein leichter und unanspruchsvoller Beitrag, der trotz dem Einstieg über die App eher einen Zeichentipp vermitteln und schlussendlich einfach unterhaltend sein soll.

Die Zeichnung selbst ist weit entfernt, perfekt zu sein und müsste für Tutorials anderer Art stark verbessert werden. Im Sinnrahmen der Publikation geht es jedoch genau nicht um Perfektion und vor allem nicht um das grosse Können.

Übrigens: Prokrastinieren ist ein echtes Wort. Word kennt es nicht, aber der Duden.

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