Die Agentur

Sag mal… – vom Versuch, ein Hörspiel zu produzieren

Limetown, LifeAfter und Homecoming, der Caiman Club oder der brandneue Anliker: Sie alle garantieren Spannung pur – und das ganz ohne Bild. Es sind Hörspiele, die den Hörer ohne Vorwarnung in ihren Bann ziehen. Ich habe sie mir alle angehört. Immer wieder. Bis es für mich nur noch eines zu tun gab: Selbst ein Hörspiel zu produzieren. Was mir dazu noch fehlt? Du!

Was passiert, wenn eine Gruppe Demonstranten, die Stadtpolizei und die Interessen von Medien, Politik und Öffentlichkeit aufeinanderprallen?

In «Nachtschicht» versucht eine junge Medienschaffende das Chaos einer ausufernden Nacht in Newsmeldungen zu verpacken. Zwischen Meldungen von Hausbränden und Massenentlassungen mischen sich Informationsfetzen über Bombendrohungen, Polizeiwillkür und Ökoterrorismus.

Das klingt spannend? Cool! Denn wie sich herausgestellt hat, ist es gar nicht so einfach, in Quarantäne ein Hörspiel zu produzieren. Sarina und ich haben den Versuch trotzdem gewagt und schon mal ein Skript geschrieben. Die Journalistin Noah Balsiger schlägt sich darin während einer Nacht mit O-Tönen von Pflegemitarbeitern, Nachbarn und Demonstranten herum – und auch mit dem gelegentlichen Anruf eines unzufriedenen News-Protagonisten. Dabei tragen Zeitdruck, Sensationsdrang und ein Mangel an eindeutigen Informationen dazu bei, dass die Konturen der Nacht immer mehr verschwimmen. Am Ende sind die Geschehnisse der Nacht – zusammengefasst in ein paar kurzen Newsmeldungen – nicht klarer zu greifen, als die Dunkelheit der Nacht selbst.

Klingt das nach was? Na dann mach mit! Sarina und ich habe unsere Fühler kräftig ausgestreckt auf der Suche nach Sprechern. Trotzdem fand sich bisher noch niemand, der sich bereit erklärt hätte, in seiner Wohnung mal kräftig rumzuschreien und die Parolen der unzufriedenen Demonstranten einzusprechen. Und noch viele andere Sprechrollen gilt es zu besetzen. Falls du also das Zeug zum wütenden Nachbarn oder zum gleichgültigen Dorfbewohner hast oder du gleich mit deiner ganzen WG ein Trommel- und Pfeifkonzert aufnehmen willst, dann melde dich unbedingt bei mir!

Falls du noch unsicher bist, leisten Sarina und ich gerne ein bisschen Überzeugungsarbeit. Hör dir einfach das Intro von Nachtschicht an. Oder das Streitgespräch zwischen Noah und dem Firmenchef Till. Oder aber eine Newsmeldung, gelesen von Noah Balsiger.

Und damit du hörst, wie sehr deine Stimme uns fehlt, hier ein Hörbeispiel: Einmal mit und einmal ohne Gegenspieler.

Und nun das Telefongespräch ohne Manfred Till:

Worauf wartest du noch? Die Zeit drängt! Zur vollen Stunde erwartet der Hörer die News. Also schick mir eine Mail an michelle.blatter@stud.fhgr.ch.

So bist auch du verantwortlich dafür, dass die Schweiz informiert ist!

(hil)

Kritik
von Michelle Blatter und Sarina Höppner

Eigentlich war die Geschichte rund um eine Newsagentur als Roman geplant. Doch wie so viele Romane, sollte auch dieser nie das Licht der Welt erblicken. Die Idee gärte also eine ganze Weile lang in den Notizen meines Handys vor sich hin, bis es ihr schliesslich den Deckel hob, als ich realisierte, dass sich ein Ton-basiertes multimediales Produkt ja ganz toll für die Zeit der totalen sozialen und technischen Abgeschiedenheit eignen würde.

Als Aufnahmegerät stand mit nämlich zuerst bloss ein Handy (Jahrgang 2017) zur Verfügung. Daneben eine Autobahn als 24/7 Soundeffekt und eine Mitbewohnerin, die im Homeoffice gerne ca. acht Stunden am Tag ihre Ruhe hätte.

Für einen ersten Entwurf habe ich mich dann bei freesound.org bedient. Verschiedenste Piepgeräusche und Klingeltöne konnte ich so bequem zu einer Geräuschkulisse zusammenmischen. Nachstellbare Geräusche wie Türknallen, Schritte und Papierrascheln habe ich aber in Eigenregie produziert.

Als sich die ersten Umrisse der Geschichte abzuzeichnen begannen, fragte ich Sarina für eine Zusammenarbeit an. Sie hat seither einen Jingle für den O-Ton-basierten Info Channel 4 produziert, sowie den Intro-Sound für das Hörspiel.

In meinem Konzept sah ich anfänglich vor, Kollegen als Sprecher für die verschiedenen Rollen zu engagieren. Um das ganze Lockdown-konform und möglichst niederschwellig zu gestalten, sollte das gesamte Hörspiel mit dem Handy und via WhatsApp Voicemails aufgezeichnet werden. Was zuerst vielversprechend aussah, fror dann plötzlich quasi ein: Sprecher mit designierten Rollen zogen sich in die (digitale) Isolation zurück, waren nicht mehr erreichbar oder fühlten sich doch nicht ganz wohl dabei, ihre Stimme ab Band zu hören.

Deswegen fokussierte ich ganz auf das Schrieben eines vollständigen Skripts und das Aufnehmen einiger weniger Ausschnitte als verlockende Beispiele (wie den grossartigen Lukas Wyttenbach alias Manfred Till), um weitere interessierte Stimmen anzuheuern. Denn obwohl sich meine Idee als doch nicht ganz so Lockdown-tauglich herausgestellt hat, will ich die Story doch auf keinen Fall verwerfen. Ich habe zu viel Zeit, Herzblut und 'Wie-würde-das-klingen' in den Text investiert, um nicht doch an dem Projekt festzuhalten. Deswegen habe ich – anstatt eines fertigen Hörspiels – einen Aufruf produziert.

Hier noch ein paar Beispiele dazu, worüber ich mir beim Schreiben Gedanken gemacht habe und zu welchem Schluss ich jeweils kam:

  • Wie mache ich eine News-Agentur hörbar? --> Indem sie nur mit O-Tönen arbeitet. Diese werden von Passanten (im Stil von 'Leserreportern') geliefert und sind deshalb von variierender Soundqualität.
  • Wie will ich diese News-Agentur (hier nur verkörpert durch Noah) überhaupt darstellen? Reisserisch? Engagiert? Inkompetent? Ehrlich? Unehrlich? --> Ich habe versucht, die Agentur zu 'vermenschlichen'. Noah ist nur ein kleines Rädchen in dem ganzen Geschehen. Sie ist genervt, gestresst, bloss während weniger Stunden als Nachtschicht für die News verantwortlich. Sie ist eine Einzelperson, über deren Verantwortung gegenüber den Hörern und deren Bewusstsein über diese Verantwortung man sich streiten könnte.
  • Und was sage ich damit über Medien allgemein aus?
  • Wie will ich die Polizei darstellen?
  • Wie stelle ich die Demonstranten dar?
  • In welcher Stadt lasse ich die Ereignisse geschehen? --> Ich lasse die Ereignisse der Nacht in der 'Hauptstadt' passieren. Trotzdem ist von der Stadtpolizei die Rede (die es in Bern so nicht mehr gibt). Ich hoffe, der Geschichte dadurch einen stärkeren fiktionalen Anstrich zu geben.

Um nur einige zu nennen.

Und um noch ein bisschen Selbstkritik zu üben:

Es spricht zwar alles dafür, dass ich mich mit dem Format (Länge, Thematik, Rollen) gewaltig übernommen habe. Ich habe aber trotzdem nicht vor, von nun an kleiner und vernünftiger zu arbeiten. Kurzhörspiele (Schreckmümpfeli, drei Frauen unter einem Dach, etc.) haben für mich ihren ganz eigenen Charme und stellen ganz andere Herausforderungen, als ein Stück, dass der Geschichte Zeit gibt, sich zu entfalten. Es sind aber nicht die kurzen und knackigen Geschichten, die mich reizen, sondern eben gerade diese Entfaltungsmöglichkeiten, die Platz für Motive, musikalische Themen und Charakterentwicklung lassen. Ich werde also in Zukunft nicht kleiner anfangen, sondern koordinierter arbeiten und mehr Verbündete ins Boot holen.

P.s.: Die sympathische Stimme im Intro gehört Leony Malthaner.

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