Social Media – Wie viel Photoshop darf’s sein?

«Social Media macht unglücklich», so zumindest lauten die Schlagzeilen einiger Studien, die man im Internet finden kann. Wenn wir auf sozialen Plattformen unterwegs sind, sehen wir oft perfekte Bilder an perfekten Locations, welche viele Likes und dadurch Aufmerksamkeit erlangen. Mehr oder weniger verspüren auch wir dann den Drang, solche Bilder zu posten, um die Sonnenseite unseres Lebens online zu teilen. Doch all zu oft vergessen wir, dass hinter diesen Bild-Fassaden, bei denen Leute in die Kamera lächeln, nicht immer alles so fröhlich ist, wie es scheint. In einer Experiment-Reihe wurde deshalb das Thema, wie viel Photoshop denn auf Social Media ethisch vertretbar ist, aufgegriffen. 

Bei der Erarbeitung der Fragestellung stellte sich schnell heraus, dass es schwer ist, zu verallgemeinern, was online ethisch «korrekt» ist und was nicht. Bei einer Befragung im Freundeskreis ergab sich, dass einige die Fotos ausschliesslich unbearbeitet auf soziale Netzwerke hochladen, andere höchstens Filter wie beispielsweise bei Instagram nutzen und wieder andere ihre Fotos sehr stark bearbeiten. Es ist also das ganze Spektrum vertreten.

Fakt ist jedoch, dass es unzählige Gratis-Apps gibt, mit denen man im Handumdrehen Pickel retuschieren, Gesichter weichzeichnen und Körper schlanker machen kann. Und genau darin liegt der gefährliche Trend auf Social Media: Selbst wenn wir einen absolut grauenvollen Tag hatten, posten wir auf Social Media nur dieses eine Foto von uns, mit einem durch einen Filter perfekt in Szene gerückten Sonnenuntergang, am besten noch mit einer Caption wie «good vibes», und niemand wird vermuten, dass es uns an diesem Tag eigentlich richtig schlecht ging.

Das Experiment:

Basierend darauf wurde eine Experiment-Reihe erstellt. Die Idee dahinter: Fotos von Freunden werden mit Photoshop bearbeitet und in drei verschiedenen Stadien gespeichert: Original, Extrem & Mitte.

  • Original: Foto in unbearbeiteter Version.
  • Extrem: Foto so stark durch Photoshop verzerrt und verändert wie nur möglich, bezogen auf heutige Beauty-Standards.
  • Mitte: Der Versuch, ein Mittel-Ding zwischen dem Original und dem Extrem zu finden. Ein Bild, das zwar bearbeitet, für soziale Medien aber noch für einen Grossteil ethisch vertretbar sein könnte.

Die einzelnen Fotos werden dann auf die Instagram-Seite des Experiment-Verantwortlichen gestellt und zum Schluss analysiert, welches nun mehr Likes oder Zuspruch der Follower erhält.

Erstellung der Fotos: 

Die Fotos entstanden sehr spontan an einer Geburtstagsparty. Wie es für die meisten Fotos auf typischen Social Media Profilen üblich ist, wurde nicht mit Softboxen oder Ähnlichem gearbeitet. Lediglich ein Weissabgleich und das passende Einstellen der ISO-Werte sowie der Brennweite wurde vorgenommen.

Für die Bearbeitung war zuerst geplant, nur Photoshop zu nutzen. Allerdings ist es realistischer, die auf Social Media häufig genutzten Gratis-Programme miteinzubeziehen, da nicht nur Photoshop genutzt wird. Die Wahl fiel neben Photoshop auf das beliebte Online-Gratis-Programm «Picmonkey» und das Programm «Photoscape», das man gratis herunterladen kann.

Gerade für die Extrem-Version war es nicht einfach zu bestimmen, was überhaupt zu den heutigen Beauty-Standards zählt, da auch hier jeder eine eigene Meinung hat, was «schön» ist. Aus eigener Sicht und kurzer Recherche wurde eine Bild-Bearbeitungs-ToDo-Liste erstellt, nach deren Kriterien die Fotos für die Stadien Mitte & Extrem bearbeitet wurden.

Ergebnisse der Fotos: 

Hier folgen nun die Fotos in den drei verschiedenen Stadien, inklusive der Zwischenschritte.

Andrea: Vom Original bis zur extremen Version:

Andrea: Vom Original bis zur mittleren Version:

Oskar: Vom Original bis zur extremen Version:

Oskar: Vom Original bis zur mittleren Version:

Yannik und Lia: Vom Original bis zur extremen Version:

Yannik und Lia: Vom Original bis zur mittleren Version:

Bei der extremen Version wurden Bearbeitungsschritte wie Schlanker machen, einzelne Gliedmassen verzerren, Nase richten, Pickel und Rötungen entfernen, Augen färben, Lippen röten, Zähne weisser machen, Bild schärfen, Hintergrund blurren, Haare färben, Haut weichzeichnen, Augenbrauen richten etc. vorgenommen. Fast alles, was bearbeitet werden kann, wurde bearbeitet.

Bei der mittleren Version wurde versucht, nur «legitime» Dinge zu bearbeiten, wie der Einsatz von Farbfiltern, Kontrast, Helligkeit, Sättigung und Farbtemperatur, Bildausschnitt etc.

Ergebnisse des Publizierens: 

Die drei Versionen «Original, Mitte & Extrem» der drei Szenerien wurden nach und nach auf Social Media, genauer gesagt auf Instagram, veröffentlicht. Die Ergebnisse der Likes waren erschreckend. In allen drei Fällen hatte das ganz offensichtlich sehr stark bearbeitete Bild fast doppelt so viele Likes (ca. 50 Likes) wie die unbearbeiteten Originale (ca. 25 Likes). Die Likes der Mittel-Versionen fanden sich zwischen denen der originalen und der extremen Version. Niemand hat eine Bemerkung zu den stark veränderten Fotos in Form eines Kommentars hinterlassen. Die einzigen Reaktionen waren Likes, welche dafür haufenweise verteilt wurden. Einer Person würde dies so die Bestätigung geben, ab jetzt immer ihre Fotos zu verzerren, was bei den Leuten, die das gepostete Bild sehen, ganz falsche Werte vermittelt.

Fazit des Experiments:

Wie viel Photoshop ist denn nun auf Social Media vertretbar? Darauf kann man abschliessend keine definitive Antwort geben. Nicht jeder bearbeitet seine Fotos auf Social Media gleich stark und nicht jeder findet das Bearbeiten von Fotos gleich «schlimm». Trotzdem sollte man aufpassen und gewarnt davor sein, dass Nutzer auf Social Media meist nur die Sonnenseite ihres Lebens teilen. Davon sollte man sich nicht irritieren lassen.

Gibt man auf Social Media nur für Likes vor, jemand zu sein, den man im realen Leben gar nicht ist, dann ist das sicherlich nicht mehr vertretbar. Gemessen an den drei Bilderreihen sind die extremen Versionen definitiv nicht für Social Media geeignet, auch wenn sie die meisten Likes erhalten haben. Die betroffenen Personen darauf haben sich selbst kaum mehr wiedererkannt und waren schockiert, was theoretisch auch sie mit Gratis-Tools verändern könnten. Die mittleren Versionen zeigen einen meist gelungenen Versuch einer noch gut vertretbaren Bearbeitung auf. Gerade mit Farbfiltern, Helligkeit und Kontrast kann man schon viel erreichen. Eine Rötung oder einen Pickel über Photoshop abzudecken, kann kaum als verwerflich betrachtet werden.

Der Appell sollte darin bestehen, dass sich Leute auf Social Media so zeigen können oder sollen, wie sie sind. Einen Farbfilter über ein Bild zu setzen oder den Kontrast zu verändern ist absolut nichts Verwerfliches und gehört quasi zur künstlerischen Freiheit, aber man selbst muss sich auf Fotos keinen Schönheitsidealen anpassen. Denn wenn sich alle Leute nur noch den Schönheitsidealen nachempfunden für Social Media bearbeiten, werden wir unsere eigene Persönlichkeit verlieren.

(ae)

Kritik
von Joel Dähler

Idee / Motivation: 

Die Idee entstand dadurch, dass ich hin und wieder Photographie- & Bearbeitungs-Aufträge übernehme. Dabei ist mir sehr stark aufgefallen, wie verzerrt die Wahrnehmung vieler Kunden ist. Viele zogen ein extrem bearbeitetes Foto mit schlankeren Körpern, weisseren Zähnen, weicherer Haut etc. klar einer natürlicheren Version vor. Dabei stellte ich mir die Frage, bis zu welcher Grenze solch eine Bearbeitung denn noch vertretbar ist, gerade wenn solche Fotos dann auf Social Media Profilen der Betroffenen landen. Ebenso wollte ich herausfinden, ob denn niemand etwas dazu sagt, wenn sie eine ihnen bekannte Person so verfremdet auf Social Media entdecken.

Erstellen der Bilder: 

Wie bereits im Beitragstext erwähnt, wurden die Fotos relativ spontan aufgenommen an einer Geburtstagsfeier. Die genutzte Kamera ist eine Spiegelreflexkamera (Nikon D5500). Auf Softboxen oder dergleichen wurde verzichtet, da ein durchschnittlicher Instagram-User, der ein cooles Foto von sich auf einer Party online posten will, sicherlich auch kein Licht mit dabei hat. Ein Weissabgleich wurde gemacht und die ISO-Werte und die Brennweite wurden eingestellt; mehr nicht, damit es einem regulären Foto auf Social Media ähnlich bleibt. Ein grosses Danke an der Stelle an Oskar, Andrea, Yannik und Lia für die Erlaubnis, die Fotos im Rahmen dieses Digezz-Projektes zu verwenden, zu bearbeiten und online zu posten.

Bearbeiten der Bilder: 

Ich konnte nicht einfach drauf los photoshopen. Ich musste mir zuerst überlegen, was den relevant ist und was den heutigen Beauty-Standards entspricht. Daraus habe ich dann folgende Liste erarbeitet, die ich für die extremen Foto-Versionen (und Teile davon für die mittleren Versionen) verwendet habe:

Photoshop:

  • Personen grösser machen (Liquify)
  • Muskeln bei Männern stärken (Puppet Warp)
  • Körperglieder gleichmässig machen (Puppet Warp)
  • Personen schlank machen (Liquify & Puppet Warp)
  • Farbfilter RGB (Color Curves)
  • Kopf-Form & Nase korrigieren (Liquify & Puppet Warp)
  • Pickel entfernen (Spot Healing Tool)
  • Rötungen entfernen (Selective Color: Rotanteile entfernen)

PicMonkey:

  • Lippen röten
  • Kontrast einstellen
  • Helligkeit erhöhen
  • Farbtemperatur einstellen
  • Schärfefilter einsetzen
  • Zähne weisser machen
  • Augenfarbe hervorheben
  • Bildausschnitt wählen
  • Haare nachfärben, wenn nötig
  • Pickel und Rötungen wegretuschieren
  • Augenbrauen richtigen/färben
  • Farbfilter nutzen

Photoscape:

  • Unschärfe Background (Effect Brush)
  • Haut smoothen (Effect Brush)
  • Clone Stamp Korrekturen
  • Raumebenen korrigieren (Clone Stamp)
  • Behaarung Haut entfernen
  • Bildausschnitt wählen

Wie bereits im Beitrag erwähnt, wurden zur Bearbeitung auch zwei Gratis-Programme miteinbezogen, um aufzuzeigen, wie einfach auch ungeübte Personen ihre Fotos stark verfremden und bearbeiten können, da der herkömmliche User seine Fotos nicht unbedingt mit dem Programm Photoshop bearbeitet, sondern eher mit kostenlosen Online-Tools arbeitet.

Gerade das Liquify-Tool, aber auch der Puppet Wrap-Layer waren sehr einfach in der Bedienung und haben schnell gute Resultate hervorgebracht, wenn es darum ging, Personen schlanker erscheinen zu lassen. Besondere Vorsicht ist dabei aber geboten, da sich der Hintergrund oft mit verzieht. Gerade beim Postkarten-Hintergrund war das ein grosses Problem. Alle Postkarten sahen auf dem Foto plötzlich nur noch krumm und schief aus. Das zu korrigieren, war ein sehr mühsamer und langer Prozess, indem ich durch das Clone Stamp Tool Raumebenen wieder gerade biegen musste und mit einem Effect Brush den Hintergrund so lange geblurrt habe, bis die schiefen Ebenen nicht mehr erkennbar waren. Das war definitiv nicht einfach. Vor einem Hintergrund mit weniger Parallelen wäre dies sicherlich ein kleineres Problem gewesen.

Online auf Instagram:

Online gestellt wurden die Bilder auf meiner eigenen Fotographie-Instagramseite. Dabei wurden von jeder Szene die drei verschiedenen Stadien Extrem, Mitte und Original in einigen Abständen zu einander immer um die gleiche Uhrzeit gepostet. Leider schrieb niemand etwas in die Kommentare der Bilder, jedoch zeigten die Likes, die bei allen drei Szenerien gleich verteilt waren (am meisten Likes für die extreme Variante, am zweitmeisten Likes für die Mitte und am wenigsten Likes für das Original), ein klares Bild davon, was ich schon vermutet habe. Die Fotos wurden mittlerweile auf Wunsch der Fotografierten und aus Rücksicht den Betroffenen gegenüber wieder von Instagram gelöscht.

Fazit:

Schlussendlich bin ich vor allem mit den mittleren Versionen sehr zu frieden und freue mich auch darüber, dass diese Version bei den Fotografierten sehr gut ankam. Die Raumebenen zu korrigieren war sicherlich noch etwas schwierig und mühsam, weshalb ich im Nachhinein eher einen anderen Hintergrund gewählt hätte. Wichtig war es mir, mit diesem Projekt einen Appell nach Aussen zu tragen, um zu zeigen, dass Likes nicht das Wichtigste sind und die Leute auf dieses wichtige Thema der überschönten Selbstdarstellung, die uns alle betreffen kann, aufmerksam zu machen und ich glaube, dies ist mir gelungen.

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