Doch wie ist der Alltag auf einer Rega Basis? Wie funktionieren die Abläufe und was macht die Crew nebst ihren Einsätzen?
Im Rahmen eines Praktikums bei der Rega bekam ich die Gelegenheit eine Rettungscrew während eines Tages zu begleiten. Dies war möglich, da der Mediendienst der Rega Filmaufnahmen zu Marketingzwecken geplant hatte und im Begleithelikopter des Kameramannes noch ein Platz frei war. Diese Chance nutzte ich für die Produktionsplattform Digezz und beschrieb diesen Tag in dieser Erlebnis-Reportage.
Wenn Kühe Helikopter fliegen –
Ein Tag auf der Rega Basis Zweisimmen
Eine Erlebnis-Reportage von Matthias Rutzer
Es ist ein warmer Augustmorgen im Berner Oberland. In meinem Hotel in der Nähe von Gstaad packe ich meine Kamera und mache mich auf den Weg nach Zweisimmen zur Rega Basis. Ich bin gespannt und freue mich darauf, eine Rettungscrew für einen Tag bei ihren Einsätzen zu begleiten.
Auf der Basis in Zweisimmen angekommen, werde ich von Karin Hörhager, der Mediensprecherin der Rega, in Empfang genommen. Sie begleitet mich und einen bereits eingetroffenen Kameramann in das Gebäude und bittet uns, im Aufenthaltsraum neben dem Hangar zu warten. Als ich mich umblicke wird mir sofort klar, dass die Menschen die hier arbeiten, ein Stück weit auch hier wohnen und leben. Die Räumlichkeiten sind so gemütlich eingerichtet, dass ich fast das Gefühl habe, mich in einer urchigen Skihütte zu befinden. Mir fällt auch auf, wie modern die ganze Umgebung ist. Erst kürzlich, im November 2013, ist die neue Rega Basis in Zweisimmen eröffnet worden. Als Karin Hörhager wieder zu mir stösst, bestätigt sie mir meine Vermutung, dass hier mehr als nur gearbeitet wird. Sie weist mich darauf hin, mich rücksichtsvoll im Hangar zu bewegen, da die Crewmitglieder dieses Gebäude als ihr zweites Zuhause ansehen. Eine Rega Basis ist kein gewöhnlicher Arbeitsplatz – hier wird nicht nur gearbeitet, sondern auch geschlafen, gegessen und gelebt.
Im Briefing Raum komme ich ein erstes Mal mit der diensthabenden Crew in Kontakt. Ein Einsatzteam der Rega besteht immer aus drei Personen, einem Piloten, einem Arzt und einem Paramedic. Sie begrüssen mich herzlich und teilen mir dabei gleich mit, welche Funktion sie in der Crew wahrehmen. Wie gut sich das Team untereinander versteht fällt sofort auf. Es wird gelacht, gefachsimpelt und über vergangene Diensttage diskutiert. Eine Atmosphäre in der ich mich sofort wohlfühlte.
Nach ein paar Minuten stossen zwei weitere Männer zur Gruppe. Es sind der Pilot und der Flughelfer des Begleithelikopters für die Filmaufnahmen. Die Firma Bohag, die den Begleithelikopter zur Verfügung stellt, ist im selben Gebäude wie die Rega untergebracht. Das macht es für die Dreharbeiten einfacher, denn bei einem Alarm ist der Begleithelikopter sofort zur Stelle.
Für den Einsatz bereit sein
Vor Dienstbeginn kommen alle Beteiligten für ein Briefing zusammen. Der Leiter des Briefings ist der Regapilot, der gleichzeitig auch Basenleiter von Zweisimmen ist. Nachdem er der Crew alle wichtigen Informationen des Tages mitgeteilt hat, kommt er zu mir und dem Kameramann. Er erklärt uns ausführlich, was wir dürfen und was nicht. Oberstes Gebot ist natürlich der Rettungscrew bei einem Einsatz auf keinen Fall in die Quere zu kommen.
Um 07:30 Uhr, eine halbe Stunde vor Dienstantritt, beginnen die letzten Vorbereitungsmassnahmen. Der Pilot kontrolliert die Maschine, der Paramedic bereitet den Hangar vor und der Arzt befüllt den Patientenraum des Helikopters mit Medikamenten und dem Rettungsmaterial. Mit einem kleinen Traktor wird der Helikopter anschliessend auf die Startposition vor dem Hangar transportiert.
Nach den Vorbereitungsmassnahmen beginnt für die Crew das Warten auf den ersten Einsatz. In dieser Zeit werden allerdings keine Däumchen gedreht. Neben den Einsätzen gibt es für die Mitarbeiter einer Basis viel zu tun. Unter anderem werden Einsatzrapporte geschrieben, der Hangar auf Vordermann gehalten, Inventar geführt und regelmässig Seilwinden-Einsätze geübt.
Wenn tote Kühe fliegen lernen
Um 09:00 Uhr klingelt im Büro des Hangars das Telefon. Der Pilot nimmt ab und erklärt uns nach dem kurzen Telefonat, dass eine Kuh eines Bergbauers abgestürzt sei. Ich verstand zuerst nicht, was dies mit der Rettungsflugwacht zu tun hat. Doch auch das ist Rega. Als eingetragener Gönner der Rega hat man Anrecht auf die Rettung seines Rindviehs. Das ist historisch bedingt und für den “Durchschnitts-Gönner“ natürlich nicht bedeutend. Als Bauer oder Pferdebesitzer ist diese Dienstleistung jedoch enorm wichtig. Im Rega-Jargon wird die Rettung eines Rindviehs als Contadino-Einsatz bezeichnet. Contadino heisst auf italienisch Bauer und weist damit darauf hin, für wen diese Einsätze hauptsächlich geflogen werden. Die Zeiten in der die Kühe aber noch mit einem Rega-Helikopter gerettet oder geborgen wurden, sind allerdings vorbei. Zu wertvoll ist ein freier Rettungshubschrauber. Es kann nicht riskiert werden, dass ein in Not geratener Mensch keine Hilfe bekommt, nur weil sich eine Kuh in den Bergen verirrt hat. Diese Einsätze werden deshalb im Auftrag der Rega von privaten Helikopterunternehmen geflogen. Für die Basis in Zweisimmen übernimmt das die Firma Bohag, die an diesem Tag auch den Begleithelikopter für die Drehaufnahmen zur Verfügung stellt. Da auch dieser Einsatz spannend ist, entscheidet sich Karin Hörhager dazu, diesen mit dem Kameramann und mir zu begleiten. Während wir uns hinten im Helikopter neben dem Flughelfer bereit machen, startet der Pilot die Maschine. Ich merke, dass der ganze Ablauf schnell und routiniert von statten geht. Jeder Handgriff sitzt und die Kommunikation zwischen Pilot und Flughelfer funktioniert reibungslos. Bereits in der Luft wird uns über Funk mitgeteilt, dass die Kuh tot sei. Für die Crew heisst das, dass die Kuh nicht mit Traggurten, sondern lediglich mit einem Seil geborgen wird.
Wir fliegen mit hoher Geschwindigkeit über die Berge des Berner Oberland. Ich geniesse für einen kurzen Moment den Flug und die atemberaubende Aussicht. Nach wenigen Flugminuten sind die Koordinaten des Unfalls schon erreicht. Die fünfköpfige Besatzung macht sich auf die Suche nach der verunglückten Kuh. Aus grosser Höhe ist es äussert schwierig einen kleinen, leblosen braunen Punkt als Kuh zu identifizieren. Wir drehen mehrere Runden über dem mutmasslichen Unfallort, bis wir sie endlich entdecken. Es ist zu erkennen, dass die Kuh in ein trockenes Bachbett gefallen ist.
Jetzt geht alles sehr schnell. Der Pilot setzt auf dem Boden neben der Kuh auf und weist uns alle an, den Helikopter zu verlassen. Während dem wir uns in einen sicheren Abstand bewegen, befestigt der Flughelfer ein Seil an der Kuh und dem Hubschrauber. Als der Pilot wieder in die Luft steigt wird erkennbar, dass mit toten Kühen bei ihrer Bergung nicht zimperlich umgegangen wird. Die Kuh hängt lediglich am Bein befestigt unter dem Helikopter. Es ist ein gewöhnungsbedürftiger Anblick der mir kurz die Lust an der abendlichen Grillade genommen hat.
Auf einem Kiesweg neben der Unfallstelle ist bereits der Bauer mit einem Anhänger zur Stelle. Ich frage mich noch wie wir die Kuh in diesen kleinen Anhänger bringen sollen, doch dann zeigt uns der Pilot sein ganzes Geschick. Gleich beim ersten Versuch befördert er die Kuh ohne Probleme auf die Ladefläche. Der Flughelfer löst das Seil von der Kuh und dem Helikopter und ohne Zeit zu verlieren befinden wir uns alle wieder auf dem Weg zurück zur Basis. Ich bin beeindruckt von der Effizienz eines solchen Einsatzes, denn zwischen Start und Landung sind keine 30 Minuten vergangen.
In wenigen Minuten vom Herd in die Luft
Vor dem Mittag merke ich nochmals, dass das Zusammenleben auf einer Rega Basis einer Wohngemeinschaft sehr nahe kommt. Während der Paramedic den Tisch deckt, bereitet der Arzt das Mittagessen zu und der Pilot kümmert sich um die Gäste. Die Atmosphäre ist gelassen und ohne die roten Anzüge der Crew würde ich fast vergessen, wo ich mich befinde. Diese Ruhe ist allerdings nur oberflächlich. Als mitten während des Kochens der Alarm ertönt, “switchen“ alle sofort um. Gespräche werden unterbrochen und die Herdplatten abgestellt. Jedes Crewmitglied geht routiniert einem Ablauf nach – ruhig und sehr schnell. Beim Notruf handelt es sich um ein Kind, das in einem Ferienresort im Kanton Freiburg verletzt wurde.
Zeitgleich starten die beiden Piloten die Maschinen und wir heben ab. Dieser Flug ist beeindruckend. Da der Kameramann Filmaufnahmen des Rega Helikopters machen möchte, fliegen wir nahe an diesen heran. Bei geöffneter Seitentür und auf gleicher Höhe, können wir so den Rettungshubschrauber in Aktion erleben.
Wegen der spektakulären Bilder merke ich erst im Sinkflug wieder, dass ich einen Einsatz begleite. Vor uns taucht das Ferienresort auf, bei welchem das Kind verunglückt ist. Nach dem ersten Eindruck der Umgebung bespricht die Crew über Funk das weitere Vorgehen nach der Landung. Auf einer Wiese in der Anlage steht bereits eine Person, die den Rettungshelikopter mit winkenden Armen einweist. Rund um die Wiese sammelt sich schnell eine grosse Menschenmenge an, da die beiden Helikopter wohl für grosse Aufregung sorgen. Nachdem der Regahubschrauber sicher gelandet ist und der Arzt zusammen mit dem Paramedic zum Unfallort losgerannt sind, setzen auch wir auf der Wiese auf. Aus dem Helikopter ausgestiegen befinde ich mich in einer merkwürdigen Situation. Ich verstehe natürlich, dass Menschen von der Landung eines Helikopters gleichermassen fasziniert wie neugierig sind und sich über das Spektakel freuen. Aber ein Regahubschrauber bedeutet auch immer verletzte Personen, Unglück und Leid. Als ich den Piloten sehe wird mir jedoch klar, dass diese Szene wohl zum Alltag der Rega gehört. Er spricht ruhig und sachlich mit Karin Hörhager und lässt sich den Trubel nicht anmerken.
Es vergehen einige Minuten bis die Rettungscrew mit dem Kind auf der Trage zurück zum Helikopter kommt. Wieder geht dann alles extrem schnell. Der Patient wird eingeladen und kurz darauf dröhnen schon wieder die Rotoren. Wir begleiten die Rega noch ein Stück weit auf dem Flug ins Spital, bevor wir in Richtung Basis abdrehen. Meine Gedanken begleiten dabei das verunfallte Kind noch eine ganze Weile
Zurück in Zweisimmen bin ich von den ganzen Eindrücken des Einsatzes fasziniert. Wiederum haben mich das eingespielte Teamwork der Crew und der schnelle Ablauf, vom Notruf bis zur Rettung, immens beeindruckt.
Eine Viertelstunde nach unserer Landung ist auch die Rega-Crew zurück auf der Basis. Ein Einsatz ist nach der Rückkehr vom Krankenhaus aber noch nicht zu Ende. Gebrauchtes Rettungsmaterial und Medikamente werden ersetzt, Berichte werden verfasst und der Helikopter für den nächsten Notruf vorbereitet.
An diesem Tag ertönt die Alarmsirene nicht mehr. Ich wäre zwar gerne noch bei weiteren Einsätzen dabei gewesen, doch bedeutet kein Alarm, auch keine Menschen in Not. Ich verbringe noch ein paar Stunden auf der Basis und höre mir Erzählungen vergangener Einsätze der Crew an. Es sind eindrückliche Berichte die mir aufzeigen, wie spannend und abwechslungsreich das Berufsleben auf einer Rega Basis ist. Gerne hätte ich mir noch weitere Anekdoten der drei Männer angehört, doch als die Schicht des Teams zu Ende ist, mache auch ich mich auf den Heimweg.
Mehr als nur Kollegen
Als ich am Abend im Zug nach Hause sitze lasse ich den Tag noch einmal Revue passieren. Da ich noch nie etwas Vergleichbares erlebt hatte, bin ich von den vielen Erlebnissen fasziniert. Mir ist klar geworden, dass die Mitglieder einer Rega-Crew mehr als nur Arbeitskollegen sind. Sie müssen einander blind vertrauen und immer wissen, wie die anderen reagieren. Ohne diese Kommunikation wären Einsätze nicht möglich, da jede Notfallsituation anders ist. Am Unfallort bleibt keine Zeit für lange Besprechungen. Jede Handlung muss sitzen, damit dem Patienten möglichst schnell geholfen wird.
Natürlich habe ich mich gefreut, diese Einsätze zu begleiten. Im Hinterkopf bleibt aber das verletzte Kind. Mir würden die Rettungen, von teils schwer verletzten Personen, enorm zusetzen. Ich habe deshalb grossen Respekt vor den Menschen, die täglich mit solchen Situationen konfrontiert sind.