Im August 2015 haben sich zwei Studenten intensiv mit dem Nationalratswahlkampf auseinandergesetzt. Für die Kampagne von Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes und mittlerweile FDP-Nationalrat, leisteten sie beratende Dienste und setzten sechs Kurzvideos um.
Was bringen solche Testimonials in einer Kampagne wirklich? Diese Frage beschäftigt Kommunikationsspezialisten wie auch die Kandidaten selbst.
Bigler, für den die sechs Videos produziert wurden, schätzt diese als sehr wertvoll ein. Grund für diese Einschätzung dürfte wohl die hohe Reichweite sein. „Man kann mit wenig Geld einen sehr hohen Adressatenkreis erreichen“, sagt er auf Nachfrage. Im Vergleich zu den Printinseraten könne man bei den Onlinevideos auch sagen, wie viele Menschen die Videos effektiv gesehen haben. Bei einem Printinserat wisse man nur die Auflage der entsprechenden Zeitung, nicht aber wie viele Menschen das Inserat effektiv gesehen haben, sagt Bigler weiter.
Ähnlich schätzt das die mit der Kampagnenführung beauftragte Agentur, Enigma, ein. Die sechs Videos mit den Testimonials, in Fürsprache für Bigler, seien auf Facebook sehr gut gelaufen. So habe man mit sehr tiefen Kosten eine sehr hohe Klickrate erreicht. Die Videos seien nicht nur konsumiert, sondern auch weiterverwendet worden.
Die Kommunikationsspezialisten von Enigma und Bigler sind sich einig: „Es ist schwierig zu sagen wie viele Menschen, die die Videos gesehen haben, auch effektiv für Bigler und die FDP gewählt haben.“
Beide sehen in Videos dieser Art ein enormes Potenzial für die Zukunft: „In Zukunft werden Wahlvideos dieser Art sicher an Bedeutung gewinnen“, sagt man bei Enigma.
Bigler selbst hat aus dem vergangenen Wahlkampf seine eigenen Schlüsse gezogen. „Printinserate und Zeitungsartikel auf Facebook zu teilen funktioniert auf die Dauer nicht mehr.“ In Zukunft würden die Wahlkampagnen wohl interaktiver werden und vermehrt auf den Social Media präsent sein, schätzt er die Lage ein.
<< Lesen Sie den Beitrag unter den Wahltestimonials weiter >>
Wahltestimonial Astrid Furrer, Ingenieurin HTL Önologie und Kantonsrätin der FDP Zürich
Wahltestimonial Thomas Heiniger, Marathonläufer und Regierungsrat FDP Zürich
Wahltestimonial Filippo Leutenegger, Stadtrat FDP Zürich
Wahltestimonial Martin Naville, Präsident des Zoo Zürich
Wahltestimonial Andri Silberschmidt, Working Student und Präsident der Jungfreisinnigen Zürich
Wahltestimonial Marianne Zambotti, e. Präsidentin KMU-Frauen Zürich und Leiterin Betriebswirtschaft Schweizerische Metall-Union
Statistik Wahltestimonials
Aus den Statistikwerten von Facebook lassen sich nur Vermutungen anstellen. Auffällig ist, dass die Personen, welche im Kanton Zürich eher zu der Kategorie „Person des öffentlichen Interesses“ zählen, tendenziell eine weitere Reichweite erzielten als die Personen, die eher aus dem Hintergrund heraus wirken.
Im Bezug auf die Plays der verschiedenen Videos zeichnet sich ab, dass Filippo Leutenegger, ehemals Medienschaffender und bekannter Kopf in und weit über Zürich heraus, enorm oft geschaut wurde. Auch Andri Silberschmidt, Präsident der Jungfreisinnigen und sehr präsent auf Twitter, hat eine hohe Anzahl Plays erhalten.
Facbeook hat zwei Möglichkeiten an Statistikwerte zu gelangen. Die eine ist die schnelle Auswertung, welche direkt auf der Page angezeigt wird. Die andere Möglichkeit besteht darin zu ausgewählten Posts eine Excell-Datei mit umfassenden Werten und detaillierteren Aufstellungen herunter zu laden. Allerdings steht diese Möglichkeit nur dem Seiten-Administrator zur Verfügung. Die Auswertung der Excell-Datei gab uns einige Fragezeichen auf – da die Zusammenstellungen fast zu detailliert und in eigenen „Mappen“ aufgestellt waren. Die Deutung dieser Zahlen bleibt also grösstenteils den professionellen Analysten überlassen.
Wenn man aufgrund der aufgezeigten Werte eine These aufstellen müsste, welche Faktoren zu einer breiten Streuung beitragen, wäre es wohl: Je bekannter die werbende Person ist, desto mehr Reichweite erreicht deren Botschaft.
Dabei darf man nicht vergessen, dass Facebook sehr schnell, basierend auf den ersten Reaktionen zu einem Post die Reichweite steuert. Das aufstellen einer These ist also ein menschlicher Versuch die abstrakte Welt der Big Data zu durchschauen.
Zum Werbewert passt die genannte These tendenziell also eher, als zur generellen Kampagnenführung mittels Facebook. Selbst Fachspezialisten sehen das Durchschauen der Big Data Welt als nobelpreisträchtig an. Die komplexen Rechenvorgänge von Facebook sind für Menschen dementsprechend schwierig zu prognostizieren.
Was sind also die Schlüsse in Bezug auf die zukünftige Führung interaktiver Onlinekampagnen?
- Personen des öffentlichen Interesses erzielen mehr Aufmerksamkeit und dadurch eine grössere Reichweite.
- Einen Kandidaten mittels Testimonials zu charakterisieren und den Menschen hinter der Politik zu präsentieren scheint bei dem Zielpublikum gut anzukommen.
- In der Kürze liegt die Würze. Die Videos dürfen für eine Onlinekampagne nicht länger als eine Minute sein.
- Politisierenden Menschen empfiehlt es sich, für solche Videos etwas Geld einzusetzen. Semiprofessionelle Videos werden online schnell ins lächerliche gezogen, während besser produzierte Videos grosse Aufmerksamkeit geniessen.
Prägnantes, humorvolles und simples Storytelling wird besonders im Bezug auf politische Themen und Kandidaten immer wichtiger. Obwohl weder Kandidaten noch Agenturen genau sagen können, wie viele der Stimmen an der Urne aufgrund der Onlinekampagne zustande kommen, gewinnt eben dieses Medium, aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung, an Wichtigkeit.
Die Interaktion mit den Usern über Videos, persönlich geschossenen Fotos, Statements und laufenden Diskussionen sind zwar Zeitaufwändig, dürften aber in Zukunft vermehrt Teil des täglichen Wahlkampfgeschäftes sein.
Dank der Realtime-Auswertung von Facebook und den ständig aktuellen Statistikwerten kann man den Erfolg der Kampagne zu jedem Zeitpunkt festhalten. Flexiblen Agenturen, Kandidaten, Kampagnenführern und Medienproduzenten ist es also möglich von Post zu Post die Tonalität, den Inhalt und das Design anzupassen und zu optimieren. Demjenigen, der sich auf das Abenteuer einlasse, immer wieder von Neuem zu lernen, was im aktuellen Zeitpunkt die höchste Wirksamkeit zeige, sei der Erfolg garantiert, sagt man dazu bei Enigma.